Gutenhalde bei Bonlanden: Wechselvolle, skandalträchtige Geschichte Foto: Ines Rudel

Die Gutenhalde, ein Gehöft auf den Fildern, war Lieblingskind von Willy Bürkle. Er wollte dort während der 30er und 40er Jahre ein harmonisches Leben und Arbeiten ermöglichen. Zuletzt schuldete er der Girokasse mehr als acht Millionen Mark.

Stuttgart - Den Dächern fehlt das Reet, ansonsten liegen die Häuser breit und bräsig auf dem Gelände wie niederdeutsche Gehöfte. Die Gutenhalde bei Bonlanden passt architektonisch nicht ins Bild der Filder.

Schauspieler, Filmemacher, Künstler, Architekten machten das Hofgut einst bekannt wie einen bunten Hund – in einer Gegend, geprägt vom bäuerlichen Pietismus, wo Arbeit und Bescheidenheit eine Tugend war. Im Gedächtnis blieb deswegen vor allem der Skandal: Mit Willy Bürkle, dem Gründer und Besitzer der Gutenhalde, sind zwei Mitarbeiter der Girokasse Stuttgart und der damalige Oberbürgermeister Arnulf Klett in den Strudel eines unrühmlichen Konkurses gerissen worden. Das war neun Jahre nach Willy Bürkles erstem Wiesenkauf bei Bonlanden..

Der Kaufmann (*1906 in Stuttgart) betrieb seit 1928 einen Handel mit Speiseöl, der sich zu einer Fabrik und einem Großhandel für Olivenöl und andere Nährmittel in der Sarweystraße am Nordbahnhof mauserte. Bürkle war nach eigenem Bekunden „führend in der Speiseölbranche in Württemberg“, als ihm 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, das Wirtschaftsministerium die Speiseölkontingente strich. Weil er die Mitgliedschaft in der NSDAP abgelehnt habe, gab Bürkle einst zu Protokoll.

Salatsoße vom Handwägelchen

Der Unternehmer aber ist findig, er stellt in Zeiten knapper Rohstoffe den Speiseöl-Ersatzstoff „Saladine“ her und geht damit in Stuttgart hausieren.Der Handel floriert: Erst vom Handwägelchen aus, dann liefert der Stuttgarter 3600 Tonnen Saladine an Wehrmacht, Rüstungsbetriebe und Krankenhäuser. Außerdem produziert er ein Malzextrakt und ein Sirup-Ersatzprodukt, bekannt unter dem Namen „Cerebona“. Bei Danzig stellt er auf Kartoffel-Basis ein Hefe-Extrakt her. Die Geschäfte bringen Gewinn, sodass Bürkle investieren kann, auch in eine Radiofabrik in Tübingen.

In bester Goldgräberstimmung gründet Bürkle 1946 die Eldorado GmbH. Ihr Ziel: Den damals entstehenden Ballungszentren entgegenzuwirken mit der Einheit von Wohnen, Handwerk und Kunstgewerbe in einer überschaubaren Einheit. Er beauftragt den Architekten Paul Heim, einen Altersgenossen, der in Stuttgart bei Paul Schmitthenner und Paul Bonatz studiert hatte. Heim schuf unter anderem den Gutshof im Stil westfälischer Gehöfte und die Töpferei. Den botanischen Garten, die Anlagen um das damals schon bestehende Quellwasserfreibad, Badehäuser und eine Laube legte der renommierte Stuttgarter Gartenarchitekt Friedrich Haag an.

Nur die Töpferei florierte

Mit Investitionen in die Tierhaltung wollte Bürkle die Kette „von der Rohware zum veredelten Endprodukt“, schließen. Stadtarchivar Nikolaus Back kommt in der Filderstädter Schriftenreihe, die sich mit der Gutenhalde beschäftigt, zum Schluss: „Die tatsächliche Kombination beider Produktionszweige bestand vor allem darin, dass die Landwirtschaft die Abfälle der Nährmittelfabrik als Futter verwerten konnte.“

Mehr Erfolg brachte die Keramik aus der Töpferei: Bis zu 80 Menschen arbeiteten dort, darunter zahlreiche Heimatvertriebene, die große Fertigkeiten hatten. Mit ihnen wurde die Gutenhalde zu einem Paradebeispiel für so genannte „Neubürgerbetriebe“ in Württemberg. Aus diesem Grund streift ein Flüchtlings- und Heimkehrer-Dokumentarfilm aus dem Jahr 1949 auch die Gutenhalde-Töpferei. Einer der Schauspieler war Walter Schultheiß. Der gute Ruf lockte zeitgenössische Künstler an: Fritz von Graevenitz lieferte Entwürfe für gegossene Figuren, darunter das Stuttgarter Rössle, Willi Baumeister bemalte eine Vase.

Den Coup wollte Bürkle selbst landen: Er hatte die Idee, ein Radio in einem Tongefäß anzubieten, weil der Ton den Klang übertrage. Das Modell hieß Rondo und versprach „Melodien aus Irdengut“. Die Radio-Industrie setzte allerdings auf Holzgehäuse.

Darbietungen vom Staatstheater

Um seine Ideen voranzubringen, suchte der Fabrikant die Nähe von Unterstützern. Stuttgarts Oberbürgermeister Arnulf Klett habe „eine Tagung seiner bundesdeutschen Kollegen auf Gutenhalde ausklingen“ lassen, berichtet das Magazin „Spiegel“ im August 1950. Aus diesem Anlass sei das Staatstheater „mit seinen hübschesten Tänzerinnen“ gekommen und habe im Freien dargeboten, während sich „leibhaftige Ochsen am Spieß“ gedreht hätten. Das kostete!

Die wirtschaftlichen Verhältnisse hatten sich mit der Währungsreform 1948 verändert, auf dem Nahrungsmittelsektor war für Bürkle kein Blumentopf mehr zu holen, die Tübinger Radio-Fabrik, an der er beteiligt war, stellte ihre Zahlungen ein.

Die schwerste Bürde aber waren die 8,2 Millionen Mark, die Bürkle für die Gutenhalde bei der städtischen Spar- und Girokasse innerhalb von nur zwei Jahren aufgenommen hatte. Trotzdem gewährte der Kreditausschuss der Bank, dem auch OB Klett angehörte, weitere Kredite, um den Untergang des Unternehmers aufzuhalten. Die Warnungen des Verwaltungsratsmitglieds Christian Härle verhallten, er habe sich, schreibt der „Spiegel“, deshalb von seinem Amt entbinden lassen.

Strafen für Banker und OB Klett

Erst 1951 beantragte der Verwaltungsrat die Eröffnung des Konkursverfahrens gegen Bürkle. Der Unternehmer wurde wegen des Verdachts des Konkursverbrechens und des versuchten Betrugs verhaftet und, im Jahr 1953, zu zwei Jahren Haft verurteilt; die beiden Bank-Direktoren zu zweieinhalb Jahren.

Doch wer musste die Schulden zahlen? Der Stuttgarter Stadtrat übernahm eine Ausfallbürgschaft in Höhe von 7,8 Millionen Euro, OB Klett und ein Bürgermeister sollten nach dem Abschluss eines Zivilverfahrens der Girokasse zusammen 400 000 Mark erstatten. 1958 entband das Regierungspräsidium die Verurteilten allerdings wegen „ausreichender Sühne“ von weiteren Zahlungen. Und Bürkle? Er soll sich als Handelsvertreter durchs Leben geschlagen haben. 1973 starb der Visionär.