Mehr Sport zu treiben, nehmen sich viele Menschen zum Jahreswechsel vor. Foto: dpa-Zentralbild

Zeit für ein kleinen Zwischencheck: Wie sieht es mit Ihren guten Vorsätzen aus? Schon wieder verworfen? Dann sind Sie nicht allein: Die meisten scheitern an zu hoch gesteckten Zielen und übertriebenen Erwartungen.

Stuttgart - Jedes Jahr zum Jahreswechsel dasselbe Ritual: Man schwört sich ein auf das Kommende und verspricht hoch und heilig, im neuen Jahr werde alles anders, alles besser – privat wie beruflich. Weniger Stress und mehr Zeit für die Familie, weniger Alkohol und Fast Food, nicht mehr so oft vor der Glotze hocken und mehr Sport treiben.

Gesagt, getan. Oder doch nicht? Ratgeber, wie man schnell abnimmt, gesünder lebt, sich fit hält und mit den diversen Alltagssünden Schluss macht, gibt es wie Sand am Meer. Wer es sich leisten kann, engagiert einen Personal Trainer, der einem bei der Umsetzung seiner Ziele Dampf macht. Doch schnell merkt man: Nichts ist so schwer, wie schlechte Angewohnheiten abzulegen und gute Vorsätze in die Tat umzusetzen.

An der Jahreswende die bösen Geister zu vertreiben und die Seele von Ballast zu befreien, um Platz für Neues zu schaffen, ist ein uralter Brauch. So ist für Chinesen das Neujahrsfest, das auf einen Neumond zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar fällt, der wichtigste Feiertag. Der Jahreswechsel wird mit viel Lärm eingeläutet, der Glück bringen und böse Geister verscheuchen soll, die besonders zum Jahreswechsel ihr Unwesen treiben. Auch hierzulande schießt man Raketen in den Himmel, lässt Böller krachen und wünscht sich Glück. Entgegen aller Lebenserfahrung hofft man unbeirrt und immer wieder aufs Neue, dass sich Laster und Marotten wie alte Kleider abstreifen lassen.

Zu allen Zeiten haben sich Philosophen mit dem Thema beschäftigt und gefragt, was wohl aus den guten Vorsätzen wird. Der Kirchenlehrer Augustinus (354–430 n. Chr.) beschreibt in seinen „Confessiones“ (Bekenntnisse), wie schwer es für ihn war, sein lustbetontes Leben zu ändern und sich zu Gott bekehren. „Bald, bald wird es geschehen! . . . Fast tat ich’s – und tat’s doch nicht.“

Das Leben ist ein beständiger Kampf gegen den „inneren Schweinehund“

Für den chinesischen Philosophen Konfuzius (551–479 v. Chr.) steht fest: „Der Weg ist das Ziel.“ Ein Edler zu werden und tugendhaft zu leben ist für „Lehrmeister Kong“ das höchste Ziel: Nicht durch einzelne Entscheidungen oder reine Willenskraft kann man es erreichen, sondern nur durch Achtsamkeit, Selbstbildung und Übung.

„La strada dell’inferno è lastricata di buone intenzioni“ – der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert –, sagt ein italienisches Sprichwort. Da genügt es auch nicht wie in der Beichte der Katholischen Kirche, seine Sünden zu bekennen, Reue zu zeigen und den festen Vorsatz zu haben, sein Verhalten zu ändern und Schaden wiedergutzumachen. „Wenn du die Absicht hast, dich zu erneuern, tu es jeden Tag“, rät Konfuzius.

Warum ist es bloß so schwierig, das, was man sich vorgenommen hat, in die Tat umzusetzen? Die zahllosen Antworten auf diese fundamentale ethische Frage lassen sich auf einen kurzen Nenner bringen: Das Leben ist ein beständiger Kampf gegen den „inneren Schweinehund“. Diese Metapher umschreibt, was für eine körperliche und geistige Anstrengung es ist, sich selbst zu überwinden und Vertrautes abzulegen.

Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa machen sich knapp die Hälfte der Deutschen zum Jahresende gute Vorsätze. Die Wünsche variieren von Jahr zu Jahr nur geringfügig. Zumeist geht es darum, die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen und lästige Verhaltensweisen zu korrigieren.

An erster Stelle steht der Wunsch, Stress zu vermeiden (60 Prozent der Befragten), gefolgt von mehr Zeit mit der Familie zu verbringen (55Prozent), sich mehr zu bewegen (55 Prozent) und mehr Zeit für sich selbst zu haben (48 Prozent). Rund die Hälfte der Befragten gibt an, sich vier Monate und länger an die Vorsätze zu halten.

Viele Menschen überschätzen sich

Ob diese Selbsteinschätzung den Tatsachen entspricht, sei dahingestellt. Die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten werden vielfach überschätzt. Anstatt das Lauftraining langsam zu steigern, will man gleich zehn Kilometer schaffen und dreimal pro Woche ins Fitnessstudio rennen. Auch beim Abspecken kann es nicht schnell genug gehen. Selbst wer dem Tod knapp entronnen ist, hält hartnäckig an schädlichen Gewohnheiten fest – wie viele Herzinfarktpatienten, die das Rauchen nicht aufgeben.

Eigentlich wissen wir ganz genau, dass zu hoch gesteckte Ziele und übertriebene Erwartungen zum Scheitern verurteilt sind. Zwar ist unser Gehirn in der Lage, permanent zu lernen und sich auf neue Situationen einzustellen. Doch wenn sich ein Verhalten einmal eingeschliffen hat, ist es schwer, es zu ändern. Zu glauben, man könne Angewohnheiten mit einem Schlag loswerden, grenzt an Selbstbetrug. Selbst kleinste Verhaltensmodifikationen brauchen Zeit.

Und: Der gute Vorsatz allein genügt nicht. Man benötigt auch die Kompetenz, um Motive in dauerhafte und konkrete Handlungen umzusetzen. Ohne kritische Selbstreflexion und Selbsterkenntnis funktioniert das nicht. Wer sein Leben ändern will, muss zuvor in sich gehen und fragen, warum er wider besseres Wissen so handelt und wie er seine Willensschwäche überwinden kann.

Auch sollte er klären, ob es ihm tatsächlich ernst ist mit seinen Vorsätzen und ob diese eigenen Wünschen entspringen oder andere von ihm erwarten, dass er sich ändert. Sollte nämlich Letzteres der Fall sein, ist die eigene Motivation deutlich geringer, und der Erfolg bleibt in der Regel aus.

Veränderungen erfordern Selbstbeherrschung und Konzentration

Psychologen raten deshalb, sich Ziele zu setzen, die einen nicht überfordern. Gewohnheiten – und seien sie auch noch so falsch – haben immer etwas Beruhigendes und Stabilisierendes. „Das Gehirn strebt danach, alles zu routinisieren“, erklärt der Biologe und Hirnforscher Gerhard Roth.

Veränderungen sind anstrengend und erfordern Selbstbeherrschung und Konzentration. Wer beispielsweise mit dem Rauchen aufhören will, weiß das nur zu gut. Der kurze Gang auf den Balkon, der Schwatz mit Arbeitskollegen, der Zug an der Zigarette – all das ist ein ritualisiertes Handeln, das ein Gefühl von Entspannung und Sicherheit vermittelt.

Solche Gefühle lassen sich nur schwer kontrollieren, da sie vielfach unbewusst ablaufen. Nach einem leckeren Neujahressen, satt und zufrieden, sagt es sich leicht: „Ab morgen werde ich fasten!“ Den damit verbundenen Verzicht und psychosomatischen Stress verdrängt man geflissentlich. Die Psychologen Janet Polivy und Peter Herman von der Universität Toronto in Kanada nennen dieses Phänomen „False-Hope-Syndrom“ – Falsche-Hoffnung-Syndrom. Umso erstaunlicher ist es, dass Menschen dazu neigen, auch Vorsätze, die bereits fehlgeschlagen sind, zu wiederholen.

Wer sein Gewicht reduzieren will, fällt immer wieder auf die fantastischen Versprechungen diverser Diät-Ratgeber rein – in der vagen Hoffnung, dass die nächste Schlankheitskur ganz sicher helfen wird. Dabei unterschätzt man nicht nur die eigene Willensstärke, sondern auch den Aufwand und die Ausdauer, die für jedwede nachhaltige Veränderung notwendig sind.

Aufschieben ist der größte Feind guter Vorsätze

Damit ein Vorsatz gelingt, ist vor allem ein gutes Zeitmanagement vonnöten. Der größte Feind guter Vorsätze ist das Aufschieben. Als notwendig oder unangenehm empfundene Aufgaben werden vor sich hergeschoben, anstatt sie sukzessive und zielstrebig zu erledigen. Gerade zum Jahreswechsel wird diese „Aufschiberitis“ gerne als guter Vorsatz getarnt. Die Ziele sind allerdings so hoch gesteckt, dass es von vorneherein völlig unrealistisch ist, sie in einer angemessenen Zeitspanne zu verwirklichen.

Ist der erste Elan erst mal dahin, bleiben selbst dringende Veränderungen unerledigt. Wer zu viel von sich erwartet, wird sich nur selbst enttäuschen. Je weniger gelingt, je schneller sich üble Marotten wieder einschleichen, desto mehr zweifelt man an sich selber, fühlt sich überfordert und ist zu keinerlei Verhaltensänderung mehr fähig. Schließlich gibt man frustriert auf. Der gute Vorsatz ist perdu.

Was bleibt, ist ein schlechtes Gewissen – jenes unangenehme, nagende Gefühl, das sich einschleicht, wenn man wieder mal einem guten Vorsatz untreu geworden ist. Das Gewissen ist die moralische Instanz im menschlichen Bewusstsein, die es drängt, aus ethischen Gründen bestimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen. Wie also kann man guten Gewissens das umsetzen, was man sich vorgenommen hat?

Belohnung für kleinere Fortschritte

Voraussetzung hierfür ist, dass das Handeln zielgerichtet und man selbst motiviert ist. Generalisierende und schwammige Vorsätze nach dem Motto „Im nächsten Jahr wird alles besser“ kann man gleich vergessen. „Gutta cavat lapidem“ – der stete Tropfen höhlt den Stein –, heißt es beim römischen Dichter Ovid (43 v. Chr.–17 n. Chr.). Anders ausgedrückt: Erst wenn ein Verhalten oft genug und in überschaubaren Schritten wiederholt wird, setzt es sich im Gehirn fest.

Auch sollte man nicht vergessen, sich für kleine Fortschritte zu belohnen. Nichts motiviert so sehr wie Erfolgserlebnisse. Wer beispielsweise abnehmen will und seinen Vorsatz, weniger Süßigkeiten zu naschen, konsequent durchhält, belohnt sich selbst mit dem Gang auf die Waage. Gute Vorsätze setzen Disziplin, Durchhaltevermögen und Mühe voraus. In der Praxis hat es sich bewährt, eine Liste zu erstellen und erledigte Punkte abzuhaken. Das dient der Erfolgskontrolle, motiviert weiterzumachen und hilft, Versuchungen zu widerstehen.

Zum Schluss noch ein guter Rat des amerikanischen Schriftstellers Thornton Wilder (1897–1975): „Beginne nicht mit einem großen Vorsatz, sondern mit einer kleinen Tat.“