Joachim Petzold hat für das Zollamt in Bad Cannstatt gelebt. Zum Ende des Clubs erinnert er sich mit Weggefährten, Freunden und Kollegen an die schönsten Momente der subkulturellen Bastion.
Bad Cannstatt - Er hat die Ü30-Fete im Club Zollamt erdacht, großgezogen und 14 Jahre sehr erfolgreich geführt. Er ist als Gast in der Morgendämmerung nach durchgefeierten Nächten über das von Schrottplätzen umgebene Areal gewandert und hat Subkultur hautnah erlebt. Während dieser ganzen Zeit hat er den Club Zollamt kennen und lieben gelernt. So sehr, dass er 2012 nicht nur die Geschäftsführung des Clubs übernahm, sondern auch die Kulturinsel aufgebaut hat – mitten in der Industriebrache des Zollamt-Areals in Bad Cannstatt.
Jetzt, im sechzehnten Jahr, nimmt die Ära Zollamt ein Ende, während es mit der Kulturinsel ohne den Club weitergeht. Joachim Petzold blickt zurück auf eine spannende Zeit mit unzähligen Geschichten aus dem Nachtleben: witzige, skurrile, verrückte und romantische Anekdoten aus 16 Jahren Club Zollamt. Das eigene Nähkästchen ist da natürlich zum Bersten gefüllt; für einen würdigen Abschied möchte er in unserer Gute-Nacht-Geschichte aber auch die anderen sprechen lassen. Die Türsteher, Gäste und Veranstalter, die, wie er, seither den Clubbetrieb miterlebt und begleitet haben.
Von gebrochenen Füßen und ostereiersuchenden Gruftis
Ein festes Mitglied unserer Zollamt-Familie ist Michael „Dave“ Lustig. Er ist sozusagen der Papa der Gruftis, die zur Stuttgart Schwarz oder Our Darkness ins Zollamt gepilgert sind. Wenn man ihn nach den besten Storys aus seinen Jahren im Zollamt fragt, hat er gleich eine ganze Palette auf Lager. Ganz gerne mag ich seine aktuellste Geschichte, die gleichzeitig ziemlich witzig, aber auch schmerzhaft ist. Jedes Jahr an Halloween dekoriert Dave an seiner Halloween-Party den Innenhof im Zollamt unter anderem mit einem massiven Marmorgrabstein mit der Aufschrift „Ruhe sanft“. Dieses Jahr hat der Grabstein eher unsanft geruht – und zwar auf Daves Fuß. Ist einfach umgekippt. Der Fuß war gebrochen, aber Dave ist trotzdem noch zwei Stunden im Zollamt herumgehüpft und hat weiter beim Aufbau geholfen. Das nenn’ ich mal Commitment!
Ein anderes Mal, das ist aber schon eine Weile her, 2002 oder so, hat er an Ostern im Biergarten vor dem Club Ostereier versteckt. Aber nicht so larifari, wie man das für Kinder macht. Der hat die richtig gut versteckt. Bestimmt zehn Eier. Zu gewinnen gab‘s Fan-T-Shirts und signierte CDs und all so was. Darauf waren die Gruftis anscheinend richtig heiß, sie haben wie wild gesucht. Das war ein genialer Anblick: Lauter schwarz Gekleidete laufen durch den Biergarten bei hellem Sonnenschein, suchen Ostereier und freuen sich wie Kleinkinder!
Von Brecheisen und Eltern im Club
Seit sieben Jahren steht Anthimos bei Wind und Wetter beim Einlass des Clubs. So viel wie er als Türsteher schon erlebt hat, würde ein Buch füllen. Er hat mir beispielsweise erzählt, dass einmal bei einer Stuttgart-Schwarz-Party in den frühen Morgenstunden ein Pärchen zu ihm kam und nach einem Brecheisen gefragt hat. Da fragt man sich, was zwei Leute mitten in der Nacht mit einem Brecheisen vorhaben. Es hat sich dann herausgestellt, dass die wohl in eiliger Vorfreude aufs Feiern ihren Autoschlüssel im Auto liegen gelassen hatten, woraufhin sich das Auto von selbst abgeschlossen hat. Nach dem Feiern waren sie ziemlich müde und wollten einfach nur heim, deshalb sind sie auf die Idee gekommen, die Autoscheibe einzuschlagen, um an den Schlüssel zu kommen. Weil Anthimos das mit dem Brecheisen nicht so gut fand, hat er ihnen angeboten, den ADAC zu rufen, bei dem er Mitglied ist. Die sind dann auch gekommen, haben das Auto ohne die Scheibe einzuschlagen geöffnet und die zwei konnten nach Hause fahren. Die beiden waren wohl so dankbar, dass sie Anthimos nach seiner Bankverbindung gefragt haben. Ein paar Tage später hatte er 100 Euro auf seinem Konto und eine Danke-SMS, in der stand, wie toll das Zollamt-Personal doch ist.
Ein anderes Mal hat ein älteres Pärchen versucht, sich durch den Hintereingang reinzuschleichen. Anthimos hat sie erwischt und zur Rede gestellt. Dabei kam raus, dass sie ihren Sohn überraschen wollten, der an dem Abend 18 geworden war. Sie wollten nur kurz in den Club, ihn erschrecken – nach dem Motto „Oh Gott meine Eltern sind da!“ – und dann wieder gehen. In dem Fall hat Anthimos natürlich eine Ausnahme gemacht und die beiden an der Schlange vorbei durch den Haupteingang reingelassen. Der arme Sohn hat wahrscheinlich den Schreck seines Lebens bekommen!
Vom Liebesglück und von besonders netten Türstehern
Eine Story, die mich persönlich ganz besonders berührt hat, ist die von einer Besucherin, die uns dieses Jahr eine Mail geschrieben hat. Sie hat sich in der Nachricht ganz lieb bedankt, dass es uns gibt. Sie war wohl vor 13 Jahren mal im Zollamt feiern und hat dabei ihren jetzigen Mann kennengelernt, mit dem sie mittlerweile drei Kinder hat. Nach über zehn Jahren waren sie Anfang 2016 wieder in Stuttgart und wollten mal gucken, was in der Zwischenzeit aus dem Club Zollamt geworden war. Und jetzt muss ich zitieren, weil der Wortlaut einfach so schön ist: „Als wir angekommen sind, waren wir erstaunt, dass noch mehr los war als damals. Uns wurde dann auch erklärt, dass man hier auf Facebook sehen kann, welche Veranstaltungen laufen. Der Mann vorne an der Eingangskontrolle, ein ziemlich großer Südländer (heute nennt man das wohl Türsteher), hat uns dann eine Führung durch den Club gegeben. Nach Jahren war es ein tolles Gefühl, wieder einmal an der Stelle zu sein, an der der erste Kuss fiel. Ein Moment der Nostalgie! Auch bekamen wir zwei Getränke spendiert, weswegen wir uns auch hier bei euch ganz herzlich bedanken möchten, bei den Menschen, die ganz tolle Arbeit leisten, immer höflich und zuvorkommend waren und an den Security-Menschen, dass er sich die Zeit genommen und uns nochmal durch den Club geführt hat.“ Ich kriege jedes Mal Gänsehaut, wenn ich das lese.
Von Celebritys und „Du kommst hier nicht rein“
Ein echtes Urgestein des Clubs ist wohl Berti. Seit der ersten Party vor 16 Jahren ist er Türsteher und macht die Kasse im Zollamt. Berti kennt sie alle: Die Celebrities, die im Club zu Gast waren. Er erzählt gern die Geschichte, wie die No Angels im Personalraum saßen und Erdbeerlimes mit ihm und den anderen getrunken haben. Die wussten damals gar nicht, was das ist, Erdbeerlimes. Jetzt wissen sie es. Oder als Shaham von Brosis wahllos von allen Gästen die Wodka-Energy-Gläser leer getrunken hat und am Ende hackedicht war. Jan Delay war auch mal Gast bei uns. Der hat zwar nichts besonders Lustiges gemacht, aber die Stimme ist ja schon Witz genug. Berti hat auch mal aus Versehen einen seiner damaligen Chefs nicht in den Club reingelassen. Ihm hatte man nur den einen von beiden vorgestellt, der schon drin war. Und als dann der andere Chef kam, meinte Berti zu ihm „Sorry, aber du kommst hier nicht rein.“ Der hat ganz schön geguckt! Danach haben sie drüber gelacht und sich von da an super verstanden.
Von wilden Kissenschlachten und seltsamen Fundstücken
Frank kennt das Zollamt schon ziemlich lange – seit er 16 ist, um genau zu sein. Da war er auf einer der ersten Partys als Gast und ist damals mit seinen Kumpels über den Zaun geklettert. Mit 18 hat er dann angefangen, selbst aufzulegen. Da hieß einer der Floors im Zollamt noch Pussy Cat Club. Während seiner Studienzeit war das Zollamt sein zweites Zuhause und Wohnzimmer. Eine besonders verrückte Party, hat er mir erzählt, war eine Kissenschlacht im Innenhof vor ein paar Jahren. Die sind auf Leitern geklettert, haben Kissen aufgeschlitzt und runter geworfen. Überall waren Daunen – 40 Zentimeter hoch im ganzen Hof verteilt. Riesige Ventilatoren haben die Federn in alle Winde zerstreut und herumgewirbelt. Erst vor Kurzem haben wir Federn in einem alten Lautsprecher gefunden. Während seiner Zeit als Veranstalter im Zollamt hat Frank auch jede Menge verrückte Überbleibsel der Partys gefunden. Beim Aufräumen kommen da schon mal einzelne High Heels oder eine Unterhose neben dem DJ-Pult zum Vorschein. Es sind auch mal ein abgebrochener Rasta-Zopf oder eine Erwachsenenwindel liegen geblieben. Nach Motto-Partys findet man aber die lustigsten Sachen: vom Eisbärkostüm über Taucherflossen bis hin zur Angel ist alles dabei.