Weil immer mehr Krankenhäuser auf dem Land schließen, soll die Luftrettung in Baden-Württemberg in den nächsten Jahren deutlich ausgebaut werden. Ein Gutachten schlägt zusätzliche Hubschrauber und die Verlegung von Standorten vor.
Stuttgart - Der Ort war ungewöhnlich – und doch passend gewählt. Die Vertreter der Stadt- und Landkreise hatten in der Fahrzeughalle der Bruchsaler Landesfeuerwehrschule Platz genommen. Die Einsatzfahrzeuge wurden in die Ecke gefahren, damit genug Platz entsteht für die Einzeltische bei der Landrätekonferenz. Dort kam am Montag ein Thema auf den Tisch, bei dem es zwar nicht um die Feuerwehr direkt, aber doch um Rettungseinsätze geht. Und zwar die von oben. Denn die Landesregierung hat das lange erwartete Gutachten zur Luftrettung in Baden-Württemberg vorgelegt.
Die Ergebnisse, zu denen die Experten vom Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement am Klinikum der Universität München kommen, haben es in sich. Sie schlagen eine umfangreiche Neustrukturierung der Luftrettung im Südwesten vor. Künftig sollen zehn statt bisher acht Rettungshubschrauber stationiert werden. Statt einem soll es zwei geben, die auch nachts unterwegs sind. Diverse Maschinen sollen für eine bessere Verteilung der Standorte verlegt werden.
„Unser Ziel ist, die rettungsdienstliche Versorgung weiter zu verbessern. Die Standorte der Rettungs- und Intensivtransporthubschrauber in Baden-Württemberg sind seit den 1970er Jahren historisch gewachsen“, sagt Wilfried Klenk, Staatssekretär im Innenministerium. Den heutigen Erfordernissen entsprechen sie nicht mehr überall.
Zuviel Hilfe aus der Schweiz und Bayern
Das zeichnet sich schon länger ab. In den vergangenen Jahren ist zum Beispiel regelmäßig rund ein Fünftel der Einsätze im Land von Stationen außerhalb Baden-Württembergs geflogen worden, meist aus Bayern oder der Schweiz – Tausende Flüge. „Die Struktur der Luftrettung muss so geschaffen sein, dass eine Grundversorgung der Notfälle tagsüber auch ohne Luftrettungsmittel aus benachbarten Ländern sichergestellt ist“, heißt es dazu im Gutachten. Sprich: Das Land muss zunächst einmal so aufgestellt sein, dass es seine Bürger selbst versorgen kann. Das ist derzeit nicht der Fall.
Dazu kommt eine weitere Entwicklung. Seit Jahren werden gerade im ländlichen Raum immer mehr Kliniken geschlossen. Das bedeutet für die Retter am Boden immer weitere Anfahrtswege. Dadurch sind sie lange gebunden, die Patienten lange unterwegs. Gerade bei kritischen Notfällen vergeht zu viel Zeit bis zur Behandlung im Krankenhaus. Diese klaffenden Lücken sollen aus der Luft geschlossen werden.
Die Experten haben als Prämisse angesetzt, dass die Hubschrauber tagsüber alle potenziellen Einsatzorte innerhalb von 20, nachts innerhalb von 30 Minuten erreichen müssen. Auf dieser Basis kommen sie zum Schluss, dass zwei zusätzliche Standorte notwendig sind. Einer soll im Bereich Osterburken liegen, um den Hohenlohekreis und den Neckar-Odenwald-Kreis besser abdecken zu können. Der andere soll zur Versorgung von Ortenau und Nordschwarzwald in Lahr angesiedelt werden.
Leonberg soll seinen Standort verlieren
Damit ist es aber nicht getan. Der Hubschrauber mit der Kennung Christoph 54 soll von Freiburg wegverlegt werden in den Bereich Kirchzarten oder Todtnau. Christoph 45 soll Friedrichshafen in Richtung Norden gen Landkreis Ravensburg verlassen. Leonberg soll Christoph 41 in Richtung Tübingen verlieren. Und Christoph 51 in Pattonville (Landkreis Ludwigsburg) soll künftig auch nachts fliegen. Damit wäre er neben Christoph 11 in Villingen-Schwenningen der zweite 24-Stunden-Hubschrauber im Land. Christoph 43, derzeit interimsweise in Baden-Baden stationiert, soll wieder nach Karlsruhe kommen. Christoph 22 in Ulm und Christoph 53 in Mannheim sollen unverändert bleiben.
Von den Betreibern der Stationen gab es am Montag nur zurückhaltende Reaktionen. Man müsse sich mit den Ergebnissen des 221 Seiten starken Gutachtens erst einmal im Detail befassen, hieß es etwa bei der DRF Luftrettung in Filderstadt. Sie betreibt bisher sieben der acht Stationen im Land, für die achte ist die ADAC Luftrettung zuständig. Ganz so einfach dürfte die Umsetzung der Pläne auch nicht werden. Die Kündigungsfristen laufender Verträge müssen ebenso berücksichtigt werden wie europäische Vergabevorschriften, Genehmigungsverfahren – und die Finanzierung. Das Innenministerium will jetzt auf die Krankenkassen als Kostenträger zugehen. „Die Umsetzung wird deshalb wohl zwei bis fünf Jahre in Anspruch nehmen“, schätzt Klenk.
Dann werden wohl keine Feuerwehrfahrzeuge die Kulisse für die Vertreter der Politik bilden. Sondern ein paar Hubschrauber.