Kommentare zur Landespolitik gibt Günther Oettinger noch immer gern ab, doch er selbst will nicht mehr in diesen Ring steigen. Foto: Leif Piechowski

Er gilt als Kernkraftbefürworter – doch was heißt das schon? In Europa ist er da in guter Gesellschaft. Aus der Brüsseler Distanz macht EU-Energiekommissar Günther Oettinger bei der deutschen Energiewende einige Fehler aus.

Stuttgart - Sollte der Mann nicht in Brüssel sein? Für einen EU-Kommissar ist Günther Oettinger bemerkenswert oft in Deutschland unterwegs. Jedes zweite Wochenende tourt er durch die Republik, hier eine IHK, dort ein Industrieverband – und immer will das Publikum wissen: Wird das denn gutgehen mit der Energiewende?

 

Am Freitagmorgen hat er in Weimar dazu die Ministerpräsidenten beraten. Danach fährt er nach Stuttgart und stellt sich den Fragen unserer Redaktion. „Gerade jetzt, wo Europa infrage steht, müssen wir Kommissare raus“, sagt der 59-Jährige, der in Brüssel das Energieressort leitet.

Nun wird Europa zwar nicht an der Energiepolitik scheitern, doch dass es rund liefe auf diesem Gebiet, davon kann auch keine Rede sein. Mit Respekt, Neugier, aber auch Skepsis verfolgten die Europäer den deutschen Atomausstieg, sagt Oettinger und referiert in gewohntem Staccato die aktuellen Probleme: Der Strombedarf steigt, die Produktion aus Sonne und Wind ebenfalls – doch es gibt keine Möglichkeiten, ihn zu speichern oder zu transportieren.

„Rheinland-Pfalz sollte lieber Spätburgunder exportieren und Strom importieren“

„Die Länder müssen den Ausbau stärker koordinieren“, empfiehlt er, „denn 16 deutsche Pläne gehen in der Addition nicht auf.“ Das hat er am Morgen auch den Regierungschefs nahegebracht – und wohl auch kein Hehl daraus gemacht, dass er von der Absicht mancher Landesfürsten, Strom zu exportieren, nichts hält. „Rheinland-Pfalz sollte lieber Spätburgunder exportieren und Strom importieren“, rät er Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), mit dem er befreundet ist. Dann bleckt er die Zähne zum typischen Oettinger-Lachen.

Sollte Baden-Württemberg also bremsen beim Bau neuer Windräder? Nein, zehn Prozent erneuerbare Energie bis 2020 seien in Ordnung. Doch insgesamt plädiert er beim Ausbau für eine „Geschwindigkeitsbegrenzung“. Deutschland müsse den Zubau zumindest mit den Transport- und Speicherkapazitäten abstimmen. „Es gibt keine einzige Leitung von Norden nach Süden.“

Zuversicht schöpft er aus dem neuen Planungsrecht, das im ersten Quartal des kommenden Jahres in Kraft treten und den Bau von neuen Leitungen erleichtern soll: „Man sollte die Planungen in wenigen Jahren hinbekommen.“ So wie man nach der Wende den Bau der Infrastruktur im Osten beschleunigt habe, müsse man dies jetzt für den Bau von Stromleitungen tun.

Vor allem die Entwicklung des Strompreises bereitet ihm Sorgen. „Ich bin froh, dass diese Debatte endlich in Deutschland angekommen ist“, sagt er süffisant. Nun spricht der Europäer, der die Entwicklung auf dem Weltmarkt im Auge hat. Wenn der Ölpreis an den internationalen Börsen steige, belaste dies alle Industriestaaten, der deutsche Strompreis entstehe aber nicht am Weltmarkt, sondern sei hausgemacht – und zwar „zu 50 Prozent politikgetrieben“.

„Ohne EEG-Änderung steigt der Strompreis“

Er wäre ja schon froh, wenn die Politik nicht ständig neue Abgaben und Steuern erfände, sagt er. Doch das heißt für ihn auch: Die Einspeisevergütung muss sinken. In den ersten Jahren sei das Gesetz „herausragend“ gewesen. Doch nun hält er eine drastische Korrektur für nötig: „Ohne EEG-Änderung steigt der Strompreis.“

So wie man in den 90er Jahren die hohen Arbeitskosten eingedämmt habe, müsse man nun die Stromkosten senken – im Interesse des Produktionsstandorts. Dass die energieintensive Industrie von den Belastungen ausgenommen ist und der Bürger die Stromkosten zahlt, räumt er zwar ein, sagt aber: Viele Firmen seien eben nicht ausgenommen, es gehe um Arbeitsplätze.

Schon jetzt seien doch über 50 Prozent aller Fotovoltaikflächen der Welt in Deutschland installiert: „Entweder machen die anderen etwas falsch oder wir.“ Und dann redet er sich in Rage: Da würden Platten aufgeschraubt, die seien in fünf Jahren veraltet, aber gleichzeitig gebe der Staat eine Abnahmegarantie auf 20 Jahre.

Oettinger ist ein Vollblutpolitiker

Da kommt er also zum Vorschein, der Kernkraft-Liebhaber, den Grüne und Umweltschützer so gern als Feindbild haben. Doch so einfach ist es mit dem EU-Kommissar nicht. Der frühere Landespolitiker spricht nämlich nun für 27 Staaten – und mit dieser Perspektive relativiert sich die deutsche Position. „Wir haben 14 Länder mit Kernkraft und 13 ohne“, sagt Oettinger, „wenn Deutschland raus ist, wird Polen drin sein.“

Er erwartet zwar europaweit einen Rückgang der Stromproduktion aus Kernkraft, aber keinen generellen Ausstieg. Und dann rechnet er genüsslich vor, dass Frankreichs Staatspräsident François Hollande bald den Meiler Fessenheim abschaltet – eines von insgesamt 58 Kernkraftwerken im Nachbarland. Das entspreche zufällig genau dem Wähleranteil der Grünen in Frankreich. Und wieder bleckt er die Zähne.

Nein, ein EU-Beamter sitzt hier nicht, sondern ein Vollblutpolitiker. Und einer, der sich als Sachwalter der deutschen Interessen sieht. Zum Beispiel beim Streit um die Lastenverteilung beim Klimaschutz innerhalb der Automobilindustrie. „Es geht nur um die Verteilung, nicht um die Gesamtmenge, der Klimaschutz kann sich zurücklehnen“, sagt er in seiner typischem Bildersprache. Da habe er sich eben für den Standort Deutschland starkgemacht. Das sei bei den übrigen EU-Kommissaren auch nicht anders.

„Für Depression gibt es keinen Grund“

So sehr er deutsche Interessen im Blick hat, so stark achtet er aber auch auf die europäischen. So plädiert er zum Beispiel dafür, dass die Türkei auch weiterhin „nach Europa blickt“. Er würde es deshalb begrüßen, wenn Brüssel die ersten Kapitel der Beitrittsverhandlungen aufschlagen würde. Soll heißen: Höchste Zeit, dass die EU damit beginnt, den Beitritt zu prüfen. Am Ende allerdings müsse man die Gretchenfrage beantworten: „Wollen wir den Beitritt oder nicht?“ Reinen Wein einschenken, nennt er das. Ein Ende mit Schrecken sei besser als ein Schrecken ohne Ende.

Und was sagt der Geopolitiker zu den Niederungen seiner heimatlichen CDU? Nun ja, aus der Distanz urteilt er milde. Alles nicht so schlimm. Der Tiefpunkt wäre für ihn erst erreicht, wenn es zu einem Lagerstreit käme, meint er, oder wenn der Landesvorsitzende Thomas Strobl mit dem Landtagsfraktionschef Peter Hauk im Clinch läge. „Aber das Team ist intakt“, befindet der frühere Partei- und Regierungschef und rät seinen Freunden zu Demut und Gelassenheit: „Für Depression gibt es keinen Grund.“

Bis zur nächsten Landtagswahl fließe außerdem noch viel Wasser den Neckar hinunter. Wenn die CDU gelassen bleibe und nicht zu früh mit der Kandidatendebatte beginne, werde sie „gute Chancen“ haben, prophezeit der 59-Jährige. Kein Wort von Defiziten oder gar Fehlern. Der Altvordere spendet den Jungen Trost.

Nur bei Grün-Rot, da lodert die landespolitische Flamme noch einmal auf

Was Stuttgart anbelangt, so sei es dem Kandidaten Sebastian Turner einfach nicht gelungen, die CDU-Wählerschaft zu mobilisieren, befindet Oettinger, enthält sich ansonsten aber einer Wertung der OB-Wahl. Nur bei Grün-Rot, da lodert die landespolitische Flamme noch einmal auf. Dass die Koalition bei diesem Konjunkturhoch so viele Kredite aufnehme, sei nicht in Ordnung: „Wenn wir im nächsten Jahr noch Schulden machen, wann machen wir dann keine Schulden?“ Doch dann zügelt er sich wieder. Auch aus Respekt vor Ministerpräsident Winfried Kretschmann, „den ich mag“.

Juckt es ihn da nicht, selbst noch einmal in den landespolitischen Ring zu steigen? Oettinger bleckt die Zähne und sagt: Wenn er in sieben Jahren in den Ruhestand trete, kandidiere er gerne für den Stuttgarter Gemeinderat, um OB Fritz Kuhn in Ehren zu verabschieden. Doch dann wird er ernst: Nein, seine Karriereplanung sei abgeschlossen. Nur eine zweite Amtszeit in Brüssel, die schließt er ausdrücklich nicht aus.