Günther Oettinger bei der Verdi-Landesbezirkskonferenz – nicht ganz so entspannt wie gewohnt. Foto: dpa

Überschattet von der „Schlitzaugen“-Affäre stellt sich EU-Kommissar Günther Oettinger bei Verdi der Kritik der Gewerkschaft – ohne auf seinen umstrittenen Auftritt in Hamburg direkt einzugehen. Fragen zum Maulkorb von Kommissionspräsident Juncker wehrt er mürrisch ab.

Leinfelden-Echterdingen - EU-Kommissar Günther Oettinger wirkt pikiert. Was er denn dazu sage, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ihm die Vorgabe gemacht habe, sich nur noch zu seinem eigenen Aufgabengebiet zu äußern: „Deswegen bin ich heute hier“, bemerkt er knapp. Es gehe um Europa, Wirtschaft und Arbeitsplätze. Ohne weitere Fragen abzuwarten, begibt er sich in den Saal zur Verdi-Landesbezirkskonferenz. Sein Auftritt in Leinfelden-Echterdingen ist der erste auf heimischem Boden seit Ausbruch der sogenannten „Schlitzaugen“-Affäre.

Der neue Verdi-Landesvorsitzende Martin Gross empfängt den CDU-Politiker, der sich auf der Bühne erst einmal auf eine Sessellehne hockt, mit der gleichen Kritik wie am Vormittag. Da hat er Oettingers Mahnung aufgegriffen, wonach man mit Rentenerhöhungen den Wettbewerb nicht gewinne. Gross dazu: „Das ist genau der neoliberale Wind, der uns in alter und eisiger Frische ins Gesicht bläst.“ Altersarmut dürfe kein Wettbewerbsvorteil sein. Nun wiederholt er dies in abgeschwächter Form.

„Rote Karten gegen Homophobie“

Für einige Verdi-Funktionäre waren die Äußerungen Oettingers sogar ein Anlass, seine Ausladung von der Landesbezirkskonferenz zu beantragen. Doch eine größere Debatte darüber konnte Gross ebenso verhindern, wie er auch den Protest der Verdi Jugend erfolgreich eindämmte. Folglich hielten etwa zwei Dutzend Delegierte für eine knappe Minute Schilder und Karten hoch mit Aufschriften wie „Rote Karte gegen Rassismus“ oder „Rote Karte gegen Homophobie“. Ein stummer Protest. Der Gescholtene lässt es – noch immer auf der Sessellehne hockend, um nicht wie ein Schulbub dazustehen – über sich ergehen.

Dann ist es an Oettinger, seine Sicht der Dinge einzubringen. In Hamburg hat der EU-Kommissar Wirbel damit ausgelöst, dass er im Zusammenhang mit Chinesen über „Schlitzohren und Schlitzaugen“ gelästert hatte sowie mit der Aussage: „Die deutsche Tagesordnung mit Mütterrente, Mindestrente, Rente mit 63, Betreuungsgeld, der komischen Maut, die aber nicht kommen wird, bald noch mit der Pflicht-Homoehe, wenn sie eingeführt wird – die deutsche Tagesordnung genügt meiner Erwartung an deutsche Verantwortung in keiner Form.“ In Leinfelden geht er indirekt darauf ein und versucht, seine Hamburger Äußerungen mit den „dramatischen Veränderungen“ weltweit zu begründen. Europa sei der Kontinent mit der unsichersten Nachbarschaft. Angesichts der globalen Probleme werde die deutsche Debatte über die Rente mit 63 zum Beispiel „der großen Verantwortung für die Welt nur eingeschränkt gerecht“. Soll heißen: Die Deutschen diskutieren zu kleinteilig, anstatt sich der tatsächlichen Herausforderungen anzunehmen.

Oettinger Vorliebe für Bonmots

Ansonsten spricht Oettinger über sein aktuelles Kerngebiet, die Digitalisierung – zunächst etwas verkrampft und damit nicht gerade „frei von der Leber“, wie er vor Tagen den Hamburger Auftritt verteidigte. Erst im weiteren Verlauf wird er lockerer. „Wenn wir nicht mehr ins Digitale investieren, fallen wir zurück wie der VfB“, sagt er. Fortan garniert er die frei gehaltene Rede dann doch mit ein paar Anekdoten, die diesmal aber eher auf eigene Kosten gehen als zu Lasten der Chinesen. Zum Beispiel über seinen 18-jährigen Sohn, der nur noch dann ZDF schaue, „wenn der Papa verarscht wird, am Freitagabend in der ,Heute-show’“. Ein Kalauer, den man schon mehrfach von ihm gehört hat. Der frühere Ministerpräsident liebt solche Bonmots – sein Pech in Hamburg war, dass er dabei gefilmt wurde.

Etwas ungehalten wird er, als ihm ein Delegierter unter anderem seine Haltung pro Ceta massiv vorwirft und den CDU-Politiker das „beste Argument für einen früheren Renteneintritt“ nennt. „Ich hätte auch absagen können, um heute Abend Skat zu spielen“, erwidert Oettinger. „So vergnügungssteuerpflichtig ist das auch nicht.“ Er wolle aber in den Dialog mit Verdi treten. Der Verdacht, er sei ein „Undercover-Agent für irgendeine Macht“ (der Wirtschaft), sei jedenfalls falsch. Vielmehr sei er immer ein Liberaler gewesen – diejenigen, die ihn kennen, würden dies bestätigen. „Sie kennen mich nicht.“

Haushaltskommissar vom 7. Januar an

Gen Ende wird er vom Moderator gefragt, warum er künftig vom Digital- in das Haushaltsressort wechseln wolle. „Dieses Angebot kann man nicht ablehnen“, sagt der zur Beförderung anstehende CDU-Mann. Er werde sich nun auf die neue Aufgabe vorbereiten, um im Dezember vom EU-Parlament „gegrillt“ zu werden. Wenn es gut laufe, werde er am 7. Januar das neue Amt des Haushaltskommissars übernehmen.

Nachdem Oettinger sich wieder gen Brüssel aufgemacht hat, lobt Verdi-Chef Frank Bsirske im Nachgang, es sei sehr gut gewesen, den Dialog mit ihm zu suchen und dennoch den Protest deutlich zu machen. Der Spagat ist geschafft. Der EU-Kommissar denkt wohl ähnlich, sonst hätte er den Landesbezirksvorstand nicht noch beim Herausgehen nach Brüssel eingeladen.