Die gesetzliche Rente, prophezeien die Sozialforscher, wird einem Großteil der Mensch in Zukunft nicht mehr zum Leben reichen. Doch schon jetzt steigt die Zahl der Senioren in Stuttgart deutlich, die Grundsicherung im Alter erhalten.
Stuttgart - Über Geld spricht man nicht, schon gar nicht, wenn man zu wenig davon hat – und alt ist. Aber auch in Stuttgart lassen die Zahlen keine Zweifel zu: Die Altersarmut wächst. 2004 lag die Zahl der Rentner, die eine Grundsicherung im Alter bezogen haben, in der Landeshauptstadt bei 2796. Zehn Jahre später waren es schon 4536. Das entspricht einer Zunahme von 62 Prozent. Und die Tendenz ist weiter steigend.
Bis zu 110 Personen besuchen jeden Tag Evas Tisch in der Büchsenstraße, ein Großteil gehört der älteren Generation an. Beim sogenannten Offenen Sonntag der Evangelischen Gesellschaft (Eva), bei dem es alle zwei Wochen ein kostenloses Angebot mit Kaffee, Kuchen und Kultur gibt, kommen sogar bis zu 130 Personen. Und es werden Jahr für Jahr mehr Besucher. „Die Zahl nimmt zu“, sagt Peter Meyer. „Über die individuellen Facetten ihrer Armut reden sie aber wenig“, so Meyer, der die Stadtmission der Eva seit einigen Jahren leitet.
4,2 Prozent der Rentner bekommen Grundsicherung
Ähnlich sind die Erfahrungen von Simone Pape. „Geld ist ein Tabuthema, darüber spricht man nicht direkt“, sagt die Leiterin der Begegnungsstätte an der Büchsenstraße. Allenfalls indirekt lasse sich auf die Verhältnisse der Menschen schließen, etwa wenn jemand sage, er könne nicht kommen, „weil die Rente noch nicht da“ sei. Im ehrenamtlichen Helferkreis, der Demenzkranke betreut, lasse sich seit einigen Jahren eine Tendenz bei den Älteren feststellen, sagt die Sozialpädagogin: „Wir haben viele Anfragen von Leuten, die etwas zu ihrer Rente dazuverdienen müssen.“
Dass die Bedürftigkeit von Rentnern auch in Stuttgart zugenommen hat, ist keine Frage. Im Jahr 2004 haben hier 2,7 Prozent aller Menschen über 65 Jahre eine Grundsicherung im Alter bekommen, 2013 – das Jahr der jüngsten Datenauswertung – lag diese Quote schon bei 4,2 Prozent. Frauen sind mit einem Anteil von 57 Prozent stärker betroffen als Männer.
Quartiersprojekte sollen Angebote für Ältere verbessern
Und die Entwicklung, dass älteren Bürgern die Altersbezüge nicht mehr reichen, geht weiter. „Wir gehen auch in Stuttgart von einer weiteren Erhöhung aus“, sagt die städtische Sozialplanerin Gabriele Reichhardt. Der erwartete Zuwachs werde aber „nicht so stark“ ausfallen wie in anderen Gebieten der Republik. Die Situation sei allerdings dank der günstigeren Arbeitsmarktlage im Süden des Landes nicht so dramatisch wie etwa im Osten der Republik, wo geringe Einkommen, prekäre Arbeitsverhältnisse oder lange Erwerbslosigkeit viel häufiger seien.
Aber auch die Stuttgarter Sozialverwaltung stellt sich auf eine Verschärfung der Lage ein. So sind die Schaffung und Förderung von Begegnungsstätten in allen Stadtbezirken seit Längerem ein Schwerpunkt der Aktivitäten. „Fast überall gibt es auch einen Mittagstisch“, sagt Gabriele Reichhardt. Und die Stadt arbeitet darauf hin, dass dort stets neben ehrenamtlichen Helfern auch eine Fachkraft anwesend ist, die sich um die Belange der Besucher kümmert und sie gegebenenfalls auf Hilfsangebote hinweist. Durch Quartiersprojekte sollen die Angebote gerade auch für arme Senioren verbessert werden. In diesem Jahr sind Wangen und der Stuttgarter Norden an der Reihe – wie schon der Süden mit dem Projekt „Heslach im Blick“.
Noch immer hohe Dunkelziffer
Nach wie vor gibt es bei der Altersarmut eine Dunkelziffer – dass also bedürftige Senioren Hilfen, die ihnen zustehen, gar nicht nutzen. Eine repräsentative Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergab vor einigen Jahren, dass noch zwei Drittel aller Berechtigten eine Grundsicherung im Alter gar nicht in Anspruch nehmen.
In den Pflegeheimen wird der Bedarf an finanzieller Unterstützung von Senioren immer offenkundiger. „Etwa 30 Prozent der Menschen benötigen Sozialhilfe“, sagt Karolin Hartmann. Für die Pressesprecherin der evangelischen Heimstiftung, die im Land 83 Pflegeheime unterhält, ist dieser Umstand ein Indiz für die Unterfinanzierung der Altenpflege: „Es kann doch nicht sein, dass Pflegebedürftigkeit im Alter das Armutsrisiko Nummer eins ist.“