Auf ein Bier mit Özdemir hieß es am Mittwochabend in Kirchheim/Teck. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz hatte in seinen Heimatwahlkreis geladen. Foto: MARKUS BRAENDLI , Markus Brändli

Auf ein Bier mit Özdemir heißt es bei der Sommertour des Grünen-Spitzenkandidaten. Am Schluss will selbst die Junge Union Selfies

Stadtbrandmeister Michael Briki braucht keine fünf Minuten, um ans Eingemachte zu gehen. Zwischen Lösch- und Rüstfahrzeugen in der Halle der Freiwilligen Feuerwehr von Kirchheim/Teck geht es zunächst nicht um Sorgen und Nöte der Feuerwehrleute. Warum es mit der CDU in Baden-Württemberg zuletzt nach oben gegangen sei und den Grünen nach unten, will der oberste Feuerwehrmann in Kirchheim vom Grünen-Spitzenkandidaten wissen.

 

Özdemir besucht Bäckerei und Kinderhaus

Stadtbrandmeister Michael Briki im Gspräch mit Cem Özdemir. Foto: MARKUS BRAENDLI , Markus Brändli

Cem Özdemir macht gerade das, was Politiker üblicherweise im Sommer tun – und vor allem dann, wenn ein Wahlkampf aufzieht. Eine Woche ist er auf Tour, um mit Land und Leuten in Kontakt zu kommen. An diesem Morgen hat Özdemir schon Brezeln geschwungen in einem nachhaltigen Neubau der Bäckerei Zoller. Mittagessen gab es im freien Kinderhaus, in der alten Seegrasspinnerei in Nürtingen, danach ein Besuch im Elektro-Betrieb des Handwerkspräsidenten Rainer Reichhold, der mit den Grünen übereinstimmt, dass es Verlässlichkeit bei der Wärmewende braucht. Er wolle vor allem zuhören, sagt Özdemir und keine Versprechungen machen – und setzt gleichzeitig sorgfältig seine Botschaften im Vorwahlkampf.

Der Grüne sieht das Rennen zur Landtagswahl offen

Stadtbrandmeister Briki, der SPD-Mitglied ist, liefert die Steilvorlage. Eigentlich ist geplant, solche Fragen später beim Bürgerdialog in der Altstadt von Kirchheim zu beantworten. Doch Özdemir pariert. Erst am Morgen wurde eine bundesweite Umfrage veröffentlicht, in der die Linke die Grünen knapp überholt hat – zum ersten Mal seit acht Jahren. Liegt Özdemir also noch richtig, wenn er – wie vor ein paar Wochen – seine Partei vor einem Linksruck warnt? Auch in Baden-Württemberg haben die Grünen ihren Vorsprung massiv eingebüßt, seit klar ist, dass das Zugpferd Winfried Kretschmann bei der Landtagswahl 2026 nicht mehr antritt. Dabei hat Özdemir als Person hohe Zustimmungswerte. Um die zehn Punkte lagen die Grünen in Umfragen zuletzt hinter der CDU. Doch der Grüne-Spitzenkandidat will darin noch keinen Trend für die Landtagswahl ablesen: Die Entwicklung seiner Partei habe viel mit dem Bundestrend zu tun, mit Fehlern der Ampel-Regierung. Gleichzeitig warnt er: „Die aktuelle Bundesregierung tut auch viel dafür, dass die CDU keinen Rückenwind bekommt.“ Das freue ihn nicht. „Das hilft den Radikalen.“ Er meint die AfD und die Linken.

Sein Terminkalender ist dicht. So richtig unterscheidet sich das nicht von der Zeit als Bundespolitiker. Seit Özdemir Bundestagsmandat und Ministerämter abgegeben hat, um „ohne Rückfahrkarte“ nach Baden-Württemberg zu kommen, wie er betonte, ist er noch mehr im Land unterwegs als zuvor.

Bei Kindern schaltet der Grünen-Kandidat in den Pädagogen-Modus

Ein paar Wochen zuvor besuchte Özdemir das Summer Science Camp der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft in der Carl-Benz-Arena. Geduldig lässt er sich erklären, wie die Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren Videospiele und Roboter programmieren und kleine Hydraulikkräne bauen. Özdemir – der gelernte Sozialpädagoge – kann mit Kindern, das lässt sich immer wieder bei solchen Gelegenheiten beobachten. Als er eine Frage zu einer Programmieranleitung stellt, missversteht ihn ein Junge und liest mühevoll den Text vor. Özdemir schaltet sofort um: „Super gelesen!“, sagt er. Als die Kinder der Frauengruppe in der Alten Seegrasspinnerei in Nürtingen hineindrängen, schlüpft Özdemir in die Rolle des Sozialpädagogen. Freundlich beugt er sich zu den Jungen runter und macht ihnen komplizierte Fingerspiele vor. „Wenn ihr das könnt, könnt ihr meinen Job machen“, scherzt er. Es sind kurze Auszeiten vom Dauer-Repräsentieren.

Auf der Sommertour skizziert er auf der Fahrt zum nächsten Termin, zwischen einem Schnellbriefing durch sein Team und einem kurzen Blick aufs Handy, wie er zu regieren gedenkt: „Ich glaube, dass die Leute die Parteipolitik klassischer Art satt haben.“ Er wolle nach den besten Lösungen suchen und nicht danach schauen, ob die Leute in einer Partei sind. Özdemir blickt dabei auf seine Zeit als Wissenschaftsminister zurück, in der er einen ehemaligen Abteilungsleiter aus CDU-Zeiten zum Staatssekretär machte. Der Grüne erinnert darin ein bisschen an Winfried Kretschmann, der gerne betont, Ministerpräsident für alle Baden-Württemberger und nicht nur für die Grünen-Wähler zu sein.

„Auf ein Bier mit Özdemir“

Überparteilicher Konsens über Sachfragen, das ist auch die Botschaft, die Özdemir kurz darauf zwischen alten Fachwerkhäusern in einem Torbogen am „Platz der kleinen Freiheit“ in Kirchheim Teck setzt. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz, hat dorthin geladen „auf ein Bier mit Özdemir“. Das Publikum nimmt den Spitzenkandidaten in die Mangel: Ein mutmachendes Narrativ fordert der eine, nach Krieg und Wehrdienst fragt der nächste.

Özdemir schafft es immer wieder, in seinen Antworten die Botschaften zu verweben, die er schon tagsüber gesetzt hat. Er wirbt für einen guten Umgang mit politischen Mitbewerbern und geißelt die Bundesregierung für den Aufschub der Stromsteuerabsenkung. Er fordert verlässliche Politik, betont die Bedeutung von guter Bildung und, dass gut integrierte Flüchtlinge bleiben und Straftäter abgeschoben werden sollen. Obwohl er doch nichts versprechen wollte, fällt immer wieder der Halbsatz „wenn ich Ministerpräsident bin“. Ist das schon das Wahlprogramm, dass die Grünen erst im Dezember verabschieden wollen? Er wolle zuhören, um die Ideen der Menschen ins Programm einzuarbeiten, sagt Özdemir. „Das ist doch längst fertig“, raunt es im Publikum.

Vertreter der Jungen Union stehen für Selfies an

Das besteht nicht nur aus Claqueuren – im Gegenteil: Die Junge Union ist mit einer kleinen Abordnung aufgelaufen. Gebietsvorstand Felix Gläser stellt eine der kniffeligsten Fragen: welches Gesetz Özdemir ändern, abschaffen oder umbenennen wolle. Am Ende gibt Fraktionschef Andreas Schwarz die konkretere Antwort mit Ideen, wie Freiflächenfotovoltaik bürokratieärmer an Autobahnen aufgestellt werden könnte und erntet von seinem möglichen künftigen Chef einen angehobenen Daumen. Zum Schluss wollen die Menschen Selfies mit dem früheren Bundesminister. Auch die Vertreter der Jungen Union stehen Schlange. Ihre Prognose für den Wahlkampf? Der werde hart.