Insektenköche lockten die Besucher an – hier probiert eine Frau eine geröstete Heuschrecke. Foto: dpa

Auf der Grünen Woche in Berlin setzt das Partnerland Finnland ökologische Maßstäbe – mit kleinen Schönheitsfehlern. Das große Thema: Wie können wir eine wachsende Bevölkerung ernähren und dabei die Natur mehr respektieren?

Berlin - Manchmal schlägt die Natur selbst in den Messehallen auf der Grünen Woche unerbittlich zurück: In der Tierhalle, wo Pferde, Rinder und Schafe mehr Platz haben als die Menschen im Gedränge, greift ein Kleinkind in einen am Gatter klebenden Kuhfladen. „Nicht so schlimm“, sagt sein Vater und wischt die Hand des verblüfften Kindes mit einem Papiertuch ab. Der Fladen stammt von Condor, einem 1200 Kilogramm schweren und fünf Jahre alten Stier, den die Firma Baygen ohne Hörner gezüchtet hat.

Überhaupt schlägt die Natur der Landwirtschaft gelegentlich ein Schnippchen. Wegen der offenbar aus Osteuropa eingeschleppten Afrikanischen Schweinepest fehlen dieses Jahr die süßen Ferkel – aufgrund der Ansteckungsgefahr dürfen Schweine nicht auftreten. Am Stand des ökologisch aufwachsenden Schwäbisch-Hällischen Hausschweins, eines Dauergasts der Grünen Woche, sitzen deswegen Stofftiere herum. Auch an anderen Ständen müssen Attrappen herhalten. Das weckt nicht immer Begeisterung.

Show der Illusionen - und der Kritiker

Die Grüne Woche ist verschrien als große Show der Illusionen, dabei gibt sie den Kritikern und Umweltschützern, die am Samstag wieder zu Zehntausenden gegen die Agrarindustrie protestierten, selbst ein Podium. Diesmal ist Finnland das Partnerland, ein zu 72 Prozent bewaldetes Land, das eine erstaunlich quicklebendige Landwirtschaft besitzt. „Aus der Wildnis“ heißt das clevere Motto der Finnen. Sie werben mit einer ökologischen Haferproduktion und sind bei diesem Produkt zweitstärkstes Exportland der Welt. Sie verkaufen glutenfreien Pfannkuchen mit Brennnesseln, Waldbeeren, Lachs und Stör aus Aquakulturen sowie Elchfleisch aus der freien Wildbahn. Die Finnen appellieren ans Gefühl, sie versprechen in ihren Hochglanzbroschüren „pure Stille“. Auch Juha Marttila, Rentierzüchter und Präsident des Verbandes der Landwirte und Waldbesitzer, spricht auf Pressekonferenzen romantische Gefühle an: „Meine Rentiere können sich das Polarlicht anschauen – im Einklang mit der Natur.“ Das klingt noch nicht mal ironisch. Die klarste Luft der Welt, ein sauberer Boden und enorme Wasserressourcen seien der Grund für die „reinsten Lebensmittel“, sagt Marttila. Auch das Tierwohl habe das Land im Blick, die Ringelschwänze der Schweine würden nicht abgeschnitten – in Deutschland geschieht das immer noch –, und Antibiotika in der Landwirtschaft setze man nur bei akuter Erkrankung ein, nicht vorbeugend.

Warum Finnland ein Öko-Vorbild ist

Also alles gut? Die Finnlandhalle ist ein Muss unter den schätzungsweise 400 000 Grüne-Woche-Besuchern. Dort kann Elchfleisch probiert und für neun Euro die 300-Gramm-Dose käuflich erworben werden. Jedes Jahr dürfen in Finnland in einer dreimonatigen Jagdperiode 50 000 Elche geschossen werden, das helfe auch dem Erhalt und der Verjüngung des Bestandes von 400 000 Tieren, sagt Klaus Flörchinger von der Metzgerei Herttua, der seit 20 Jahren im finnischen Jyväskylä lebt und arbeitet. Und ergänzt: „Übrigens verursachen die Elche viele Verkehrsunfälle, die tödlich enden. Die laufen einfach über die Straße.“

Die Finnen bemühen sich um eine klimafreundliche Landwirtschaft, und eine Firma bietet den Bauernhöfen einen Biocode an, mit dem sie ihren ökologischen Fußabdruck errechnen können. Deutsche Agrarwissenschaftler, etwa Tanja Runge vom Thünen-Institut in Braunschweig, zollen der arktischen Landwirtschaft im Norden hohen Respekt: Die Finnen unterschieden in der Klimadiskussion bereits zwischen mineralischen Böden, also normalem Ackerland, und organischen Böden , etwa Mooren, als starken CO2-Speichern. Und auf ihrem Grünland hätten sie einen großen Wildkräuteranteil, sie setzten auf die proteinreiche Kleeproduktion – eine wichtige Alternative zu wenig ökologischen Importen von Soja-Kraftfutter.

Eine nachhaltige Landwirtschaft, einen Beitrag zum Klimaschutz, eine umweltverträgliche und ressourcenschonende Wirtschaftsweise – das wollen mittlerweile alle auf der Grünen Woche. Oder sie werben zumindest damit. Das reicht vom Rosenöl aus Marokko über das vor allem Bratwurst anbietende „Thüringer Öko-Herz“ bis zum Landmaschinenhersteller Fendt, der seinen neuen Mähdrescher Ideal – 700 000 Euro teuer, 20 Tonnen Gewicht – vermarkten will und mit seiner smarten Technologie einen „wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung“ verspricht.

Baden-Württemberg sucht Marketing-Vorbild

Auch die Schwaben und Badener schwimmen mit im Mainstream. Die Baden-Württemberger teilen sich eine Messehalle mit Mecklenburg-Vorpommern und machen mit ihrem naturnahen Feeling den Finnen Konkurrenz: Sie haben einen Biergarten mit edlen Massivholztischen und -bänken aus Weißtanne für 100 Personen aufgebaut. Für VIPs hat man eine sogenannte Waldoase errichtet, ein Rückzugsbüro, in dem Gespräche mit Vogelgezwitscher untermalt werden. Dazu sind erstmals die Naturparks und der Nationalpark Nordschwarzwald – wo Landwirtschaft nur eingeschränkt möglich ist – als „Highlight“ mit in der Ausstellung. Agrarminister Peter Hauk (CDU) sitzt inmitten von Maultaschen essendem und Wein trinkendem Volk und sagt, dass man vom finnischen Marketing lernen könne: „Natürlich ist dieses dünn besiedelte Land mit uns nicht vergleichbar, aber sie haben eine klare Profilierung ihrer Produkte und gehen mit hohem Selbstbewusstsein in den Markt.“ All das will der Südwesten mit seinem Schwerpunkt auf der Vermarktung qualitativ hochwertiger Produkte auch.

Wie wird sich die Welt eines Tages ernähren? Und wie kann die Landwirtschaft dabei Forderungen nach Nachhaltigkeit erfüllen, die auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer Fachtagung einforderte? 300 Veranstaltungen drehten sich darum, wie dieser Spagat gelingen soll. Dabei ging es um Fragen wie: Welche Kuh hinterlässt den besseren ökologischen Fußabdruck – die 12 000 Liter im Jahr produzierende Milchkuh, die mit importiertem Soja gefüttert wird, oder die nur 6000 Liter erzeugende auf Grasland gehaltene Milchkuh?

Insekten statt Fleisch

Zu viel Fleisch essen schadet dem Klima, da herrscht Konsens auf der Grünen Woche. Auch deswegen ziehen Insektenköche die Besucher an, egal, ob sie Grashüpfer, Ameisen oder Würmer anbieten. Sebastian Kreßner (29) von der Firma Native Food in Brandenburg bietet Chips, hergestellt aus Buffalo-Mehlwürmern, an: „Auch die Welternährungsorganisation hat gesagt, wenn wir 2050 alle Menschen ernähren wollen, sollten wir auf proteinreiche Insekten zurückgreifen.“ Ein Biss in einen Wurm-Chip zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit Knäckebrot oder Kartoffelchips – und schmeckt nicht übel.

Auch bei den Finnen ist nicht alles nachhaltig und öko, was so scheint. Rund zwölf Prozent der finnischen Treibhausgasemissionen stammen aus der Landwirtschaft, ein Prozent mehr als aus der Industrie. Dazu fehlten viele „Tausende von Arbeitskräften“, sagt ein Bauernfunktionär. Mit Arbeitern aus Bosnien oder der Ukraine versuche das Land die Lücken zu füllen. Auch in den Messehallen war die Schau der Finnen nicht so ganz ökologisch makellos: Bei den Empfängen gab es Einweggeschirr aus Holz und Plastik. Suvi Antilla vom finnischen Marketingverband Pro Agria kommentierte das ganz knapp: „Ja, das ist nicht richtig.“