Nach den Rücktritten an der Bundesspitze ist die Grüne Jugend in Aufruhr, so scheint es. Wirklich? Bei der Grünen Jugend im Südwesten scheint einiges anders zu laufen.
Die Neuordnung an der Parteispitze sorgt für Unruhe bei den Grünen. Doch ausgerechnet die Grüne Jugend in Baden-Württemberg zeigt sich mehr als stabil: 21 Austritten seit Ende September stehen nach Angaben der neuen Landessprecher 45 Eintritte gegenüber. Wenige Tage, nachdem der Bundesvorstand der Grünen-Jugendorganisation zurückgetreten war, wurde Anfang Oktober im Landesverband ganz nach Plan die neue Spitze gewählt. Tamara Stoll (26) und Tim Bühler (24), die beiden neuen Landessprecher, sagen im Interview, was sie nun von der Partei erwarten.
Zuletzt hat eine Austrittswelle an der Spitze des Bundesvorstands die Grüne Jugend erschüttert. Wie sieht es in Baden-Württemberg aus?
Tamara Stoll Wir hatten die glückliche Situation, dass bei uns der Landesvorstand relativ stabil geblieben ist. Wir hatten einen Austritt aus dem Landesvorstand. Das war sieben Tage vor der Mitgliederversammlung mit Neuwahlen. Deswegen ist das bei uns sehr stabil weitergelaufen. Wir haben in Baden-Württemberg immer noch relativ wenige Austritte. Aber auf Bundesebene sind einzelne Funktionsträger ausgetreten. Das wird auf der Erfahrungsebene eine Herausforderung für uns. Wir blicken jetzt mit dem neuen Bundesvorstand nach vorn.
Warum hat das Beben Baden-Württemberg nicht erreicht?
Tim Bühler Ich glaube, dass wir als Grüne Jugend in Baden Württemberg ein Alleinstellungsmerkmal haben: Wir in Baden Württemberg kennen die Situation als Regierungsjugend und die Herausforderungen, die damit einhergehen und natürlich auch die Rolle, da kritisch auf Regierungsarbeit zu schauen. Deshalb sind wir stabiler aufgestellt als andere Landesverbände.
Wie stehen Sie zur Landesregierung und zur Regierungsfraktion?
Tamara Stoll Die Kontakte bauen sich erst so langsam auf, wir sind erst gut zwei Wochen im Amt. Aber wir werden auf jeden Fall die gute Arbeit von unseren Vorgängerinnen weiterführen. Wir werden weiterhin die kritische Stimme sein, die die Mutterpartei und Regierung begleiten wird.
Die Grüne Jugend hat in den vergangenen anderthalb Jahren hart und auf Parteitagen auch mal laut um einen Kurs in der Migrationspolitik gerungen. Im Moment scheint es nicht so, als würde sie mit ihren Positionen durchdringen.
Tim Bühler Ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir Sicherheitspolitik und Migrationspolitik nicht gleichsetzen. Und das wird gerade immer wieder gemacht, wenn man darüber spricht, dass eine schärfere Migrationspolitik Kriminalität oder Radikalisierung verhindert. Und da sagen wir klar: das ist sie nicht. Wir brauchen auch eine bessere Integration, wir müssen den Menschen Zugänge zum Arbeitsmarkt schaffen, wir müssen sie in die Gesellschaft integrieren und nicht einfach eine härtere Migrationspolitik fahren, Grenzen dichtmachen. Dadurch lösen wir die Probleme nicht.
Das ist unsere Kritik: Wir verschieben diese Debatte immer weiter nach rechts. Und unsere Partei beteiligt sich daran. Das ist nicht die Lösung. Wir brauchen wirkliche Lösungsansätze. Wir müssen wirklich auf die Probleme, auch auf die Zukunftsängste junger Menschen blicken. Die Klimakatastrophe – und auch die sozialen Ängste, die Preissteigerungen, die Mietsteigerung. Da müssen wir Antworten formulieren und die dann auch umsetzen.
Tamara Stoll Ich glaube, dass genau da der Rücktritt vom Bundesvorstand der Grünen Jugend ein Weckruf für die Partei sein sollte. Viele Mitglieder sind vom aktuellen Kurs der Anschlussfähigkeit an die vermeintliche Mitte und den damit geschlossenen Kompromissen enttäuscht.
Wird ein Spitzenteam mit Franziska Brantner als Co-Bundesvorsitzenden und Robert Habeck als Spitzenkandidaten Ruhe in die Partei bringen? Fühlt sich da die Parteilinke mitgenommen?
Tamara Stoll Es wird auf jeden Fall eine große Herausforderung, wenn die inhaltlichen Diskrepanzen einfach immer größer werden und es dann natürlich auch schwieriger wird, Kompromisse zu finden.
Tim Bühler Das wird die Aufgabe, des neuen Bundesvorstands der Grünen, alle Mitglieder der Partei irgendwie mitzunehmen. Wenn man einem relevanten Teil der Mitglieder das Gefühl gibt, sie sind irrelevant, sie haben keine Wirksamkeit mehr, dann laufen sie uns davon.
Sehen Sie da nur die Partei in der Pflicht oder müssen sich auch diejenigen in Regierungsverantwortung bewegen?
Tim Bühler Absolut. Das muss auch Aufgabe der entsprechenden Regierungsvertreter und von uns sein. Dass Parteitagsbeschlüsse, die wir jetzt in Baden Württemberg fällen, von einer grünen Landesregierung nicht umgesetzt werden oder nicht ernst genommen werden, das ist für Mitglieder, die sich vielleicht auch gerade in der Partei engagieren, ein Schlag ins Gesicht.
Es wird erwartet, dass Cem Özdemir bald seine Bewerbung als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2026 ausspricht. Welche Erwartung haben Sie an ihn?
Tim Bühler Ich glaube, da ist es zentral, dass es eben nicht nur ein Spitzenkandidat ist und der macht, was er möchte, sondern dass es eine starke Partei braucht, die da dahintersteht und eine relevante Rolle hat.
Zur Person
Tamara Stoll
ist 26 Jahre alt. Sie studiert nachhaltige Unternehmensführung an der Universität Ulm. Das Thema Klimaschutz hat sie zur Grünen Jugend gebracht.
Tim Bühler
ist 24 Jahre alt und studiert Politik und Rhetorik an der Uni Tübingen. Ihn treibt das Thema Klimagerechtigkeit.