NSU-Opferanwälte fordern den Rückzug des Grünen-Obmanns und Parlamentarischen Geschäftsführers Hans-Ulrich Sckerl aus dem NSU-Untersuchungsausschuss. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

NSU-Opferanwälte fordern den Rückzug des Grünen-Obmanns und Parlamentarischen Geschäftsführers Hans-Ulrich Sckerl aus dem NSU-Untersuchungsausschuss.

Stuttgart - Anwälte von Opfern und Hinterbliebenen fordern den Rückzug des Grünen-Obmanns Hans-Ulrich Sckerl aus dem Untersuchungsausschuss, der sich mit den Morden der mutmaßlichen Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) beschäftigen soll. „In diesem Gremium geht es ganz besonders um Glaubwürdig- und Wahrhaftigkeit. Werte, mit denen der Name Sckerl nun wirklich nicht mehr verbunden werden kann“, sagt Yavuz Narin, der die Ehefrau des 2005 in München ermordeten Theodoros Boulgarides im Verfahren gegen Beate Zschäpe und ihre wahrscheinlichen Unterstützer vertritt.

Ihm pflichtet Mehmet Daimagüler bei, der für die Familie des 2004 in Rostock erschossenen Mehmet Turgut im Münchener NSU-Verfahren arbeitet: „Die Arbeit des Untersuchungsausschusses sollten auch die Grünen als Neubeginn auffassen – auch eines personellen. Mit mehr Distanz zur inzwischen ruhenden Enquetekommission, die ich nur von hinten bis vorne als verkorkst beschreiben kann.“

Sckerl hatte Anfang Oktober den damaligen Ausschussvorsitzenden Willi Halder (Grüne) dazu gedrängt, ein Rechtsgutachten der Landtagsverwaltung zurückzuhalten und es den anderen Parteien des Gremiums nicht auszuhändigen. Der Parlamentarische Geschäftsführer wollte offenbar das Ergebnis der Expertise verändern: Eine Mitarbeiterin der Fraktion beauftragte er zu prüfen, an welchen Stellen das Gutachten wie „nachgebessert werden“ sollte. Als unsere Zeitung über dieses Vorgehen berichtete, stiftete Sckerl seine Fraktionskollegen dazu an, sich wahrheitswidrig zu dem Vorfall zu äußern. Beim Lügen erwischt, trat der Ausschussvorsitzende Halder zurück, der Grünen-Obmann Daniel Lede-Abal entschuldigte sich. Sckerl selbst log sowohl in Interviews wie auch in einer Rede vor dem Parlament bei der Darstellung der Affäre.

Die Juristen der NSU-Opfer sahen den umfangreichen E-Mail-Verkehr Sckerls in der sogenannten Gutachtenaffäre ein. Und kommen zum Schluss, dass der Grünen-Frontmann die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses beschädigt. Walter Martinek vertritt den einzigen Überlebenden der Mordserie, den Polizisten Martin Arnold. Er wurde im April 2007 in Heilbronn heimtückisch niedergeschossen. Seine Kollegin Michèle Kiesewetter wurde ermordet. Martinek ist überzeugt: „Sckerl hat die Enquetekommission nach allen vorliegenden Informationen für Ränke- und Intrigenspiele missbraucht. Es ist notwendig, den Untersuchungsausschuss nicht mit einer Personalie zu belasten, die den Blick auf das Wesentliche verstellt: die Opfer des Heilbronner Anschlags.“

Die Opferanwälte bezweifelten immer, dass die in Baden-Württemberg eingesetzte Enquetekommission geeignet war, um sich mit den Morden zu beschäftigten. Bei denen erschossen mutmaßlich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zwischen 2000 und 2007 neun Menschen türkischer und griechischer Herkunft sowie die Polizistin Kiesewetter. „Mich wundert, dass auch Sckerl davon überzeugt war, dass eine Enquete das geeignete Instrument war, um die Ermittlungsarbeiten zum Heilbronner Polizistenmord zu überprüfen“, sagt Jurist Martinek. Die Politiker sollten sich, appelliert Anwalt Daimagüler, „auf die vielen offenen Fragen gerade im Zusammenhang mit dem Mord in Heilbronn konzentrieren“, statt auf eine Diskussion um Glaubwürdigkeit.

Zumal der Zeitplan des Ausschusses, sagt Yavuz Narin, „ein mehr als ambitionierter ist“. Bis zum 31. Oktober 2015 wollen die Abgeordneten dem Parlament einen Bericht vorlegen. Narin, der als ausgewiesener Kenner der Ermittlungsakten gilt, ist überzeugt: „Das ist nicht zu schaffen. Erst recht dann nicht, wenn eine derartige Personaldiskussion die Arbeit überschattet.“

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