Wohin führt der Weg der grün-roten Koalition? Kretschmann und Schmid beim symbolischen Rucksacktausch im April dieses Jahres Foto: dpa

Die Landtagswahl 2016 rückt immer näher. An diesem Wochenende wollen SPD und Grüne bei Parteitagen Stärke zeigen. Aber das Koalitionsklima ist keineswegs störungsfrei. Wie die Regierungsparteien Grüne und SPD miteinander umgehen

Stuttgart - Es war am Dienstag dieser Woche, mittags kurz nach zwölf in Stuttgart. Winfried Kretschmann saß wie jeden Dienstag vor den Journalisten der Landespresse und beantwortete Fragen. Diesmal zum Finanzausgleich, zur Flüchtlingskrise, zum Feiertagstanzverbot. Wie immer freundlich im Ton, detailliert in der Sache, ab und zu mit einer ironischen Spitze versehen. Als es aber auf die VW-Affäre, die Auswirkungen für Baden-Württemberg und den Streit innerhalb der grün-roten Koalition um die geplanten Abgastests kommt, gewinnt die Stimme des Ministerpräsidenten an Schärfe. „Wir müssen alles dafür tun, dass das Desaster, das VW angerichtet hat, begrenzt wird. Denn bei uns in Baden-Württemberg hängt jeder vierte Arbeitsplatz von der Autobranche ab. Deshalb werden wir diese Tests auch machen.“ Gerhard Schröder hätte jetzt „Basta“ gesagt. Die Botschaft Kretschmanns ist dieselbe: Da wird jetzt nicht lange gefackelt, das wird durchgezogen.

Die klare Ansage darf nicht nur als Rückendeckung für Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verstanden werden, sondern auch als Verweis an SPD-Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel. Der hatte am Wochenende die Test-Idee des Verkehrsministers scharf kritisiert und damit hinter den Kulissen der Koalition heftige Diskussionen ausgelöst. „Bei der SPD liegen die Nerven blank. Die greifen jetzt nach jedem Strohhalm, um sich zu profilieren“, sagt ein führender Koalitionär. Nach außen mag das natürlich niemand zugeben. „Alle versuchen Harmonie zu demonstrieren. Man will jetzt fünf Monate vor der Landtagswahl keine Angriffsfläche bieten“, heißt es.

In der grün-roten Koalition knirscht es

Aber Attacken wie jene von Schmiedel zeigen, wie es um das Koalitionsklima bestellt ist. Seitdem die jüngste Umfrage von Infratest dimap den Grünen satte 26 Prozent, der SPD aber nur 17 Prozent prophezeite, wenn am Sonntag Landtagswahl wäre, wächst die Unruhe. Die SPD will den Grünen keine Zugeständnisse machen, die Grünen wiederum stecken in der Zwickmühle. Einerseits wollen sie mit den Sozialdemokraten nach der Landtagswahl am 13. März 2016 weiterregieren, andererseits will man die Sozis nicht starkreden. Sonst könnte es nach dem Wahltag eine Große Koalition unter Führung von Ministerpräsident Guido Wolf (CDU) geben. „Manchem wäre das vielleicht nicht unrecht“, sagt ein führender SPD-Mann und liefert die Erklärung gleich mit: „Das Regieren wäre mit der CDU deutlich einfacher.“ Neulich zeigte sich Schmiedel schon mal demonstrativ bei der CDU – und sorgte für mittelschwere Wutausbrüche im Lager der Grünen.

Dabei gibt es auch ohne diesen Vorfall Belege zuhauf, dass es seit Monaten in der grün-roten Koalition knirscht. Das Chancengleichheitsgesetz wurde nahezu bis zur Unkenntlichkeit heruntergestrippt, beim Straßenbau würde die SPD gerne mehr tun als die Grünen. Die wiederum scheitern an der SPD beim Plan, Polizisten zu kennzeichnen. In Sachen Finanzpolitik hat der zuständige SPD-Minister Nils Schmid gleich mehrfach die Grünen-Spitze brüskiert – unter anderem, als er öffentlich kundtat, dass man die Nullverschuldung viel früher als geplant erreichen könnte. Im Umfeld von Sparfuchs Kretschmann, so berichtet ein Insider, „haben sie gekocht“. Und jüngst muss Schmid, so erzählt man sich, die Ausgabenwünsche von Umweltminister Franz Untersteller und Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (beide Grüne) für den bevorstehenden Nachtragshaushalt einfach vom Tisch gewischt haben. Als ob das nicht schon reicht, sorgte Europaminister Peter Friedrich (SPD) für Irritationen, als er offenbar ohne regierungsinterne Abstimmung vor wenigen Tagen die Pläne für eine Patenschaft des Landes mit dem Nordirak verkündete. Vorläufiger Schlusspunkt der Nickligkeiten: Schmid soll Kretschmann nahezu händeringend gebeten haben, in seiner Regierungserklärung zum Thema Flüchtlinge keine Wohnungsbauinitiative anzukündigen – um dann kurz darauf unter seinem eigenen Namen einen Wohnungsbaugipfel für den 14. Oktober zu planen. „Solche Dinge heben nicht unbedingt die Stimmung unter den Regierungspartnern“, meint ein Grüner. Offene Kritik aber wird vermieden. „Die Stimmung ist ohnehin schon gereizt, da frisst man lieber Kreide.“

SPD steckt fest im Umfragetief

Allein, trotz aller Tricks, die SPD kommt nicht aus dem Tief heraus. „Die Umfragewerte sind natürlich furchtbar“, wird eingeräumt. Aber was denn tun? Mancher fordert, die Partei müsse die klassischen Themenfelder wie Soziales und Arbeit „stärker bearbeiten“. Andere wünschen sich eine bessere Öffentlichkeitsarbeit und beklagen die farblose Generalsekretärin Katja Mast. „Wir müssen wieder deutlicher machen, dass wir die Schutzmacht der kleinen Leute sind“, sagt ein Genosse. Aber reicht das, um Boden gutzumachen, um das Wahlergebnis von 2011 (23,1 Prozent) wieder zu erreichen?

„Es macht sich eine gewisse Ratlosigkeit breit“, sagt einer aus der Führung der Südwestpartei. Nils Schmid als Minister mache doch „einen guten Job“, er habe in den Umfragen „keine schlechten Werte“, genieße in der Wirtschaft „einen guten Ruf“. Nur, es hilft nicht viel. „Alles andere als ein gutes Wahlergebnis für ihn wäre ein verheerendes Signal“, zittern deshalb manche seiner Wiederwahl zum Landesvorsitzenden heute Abend beim Parteitag in Mannheim entgegen. Man müsse „dem Nils“ den Rücken stärken. Wer nicht sein Kreuzchen bei dem Vize-Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten zu Landtagswahl mache, „der muss suizidale Absichten haben“, meint ein SPD-Parteifunktionär drastisch.

Duell statt Dreikampf

Schmid selbst lässt sich die Schwäche seiner SPD nicht anmerken – zumindest äußerlich nicht. Er eilt von Termin zu Termin, beackert auf Delegationsreisen mit Unternehmern die Auslandsmärkte, versucht in der Koalition ein wenig aus dem Schatten von Übervater Kretschmann herauszutreten. Aber er ist und bleibt halt Juniorpartner in dieser Landesregierung, und sein Einsatz bringt bisher nichts Zählbares. „Er hat doch keine Fehler gemacht, aber seine guten Werte übertragen sich leider nicht auf die Partei“, analysiert ein erfahrener Politstratege. Die Gründe für den Kampf gegen Windmühlen lägen nicht nur in der Person Kretschmann, „der alle wichtigen Themen besetzt hat“, wie es ein Minister etwas resigniert umschreibt, sondern auch an der bundesweiten Schwäche der SPD. „Und so lange Kretschmann keinen Bock schießt, werden wir es auch bis zur Wahl schwer haben“.

Wie verzweifelt die Lage für Schmid und Co. ist, hatte sich im August dieses Jahres gezeigt. Da drängte die SPD den SWR, aus dem traditionellen TV-Duell kurz vor der Landtagswahl zwischen Kretschmann und Wolf doch bitteschön einen Dreikampf zu machen. Die FDP entfachte zurecht einen Sturm der Entrüstung und drohte mit Klage, wenn sie als einzige Partei vom Bildschirm verbannt werde. Am Ende versenkte der ARD-Sender seine Pläne für den Dreikampf im Papierkorb. Der Hohn und Spott von CDU-Wahlkampfmanager Thorsten Frei ist Schmid dennoch sicher. „Die letzte Umfrage zeigt: Die SPD ist weit abgeschlagen und völlig bedeutungslos, sie liegt bei jämmerlichen 17 Prozent. Jeder, der sehen will, erkennt: Der SPD-Spitzenkandidat hat keine Chance, nächster Ministerpräsident zu werden.“ Die Menschen im Land hätten aber das Recht auf ein unmittelbares Zusammentreffen zwischen Amtsinhaber Kretschmann und seinem Herausforderer Wolf – „und zwar ohne störendes SPD-Beiwerk“. Soll heißen: Die CDU will ein Duell. Aber der SWR sagt Nein.

Kretschmann auf Teufels Spuren

Von solchen Scharmützeln halten sich die Grünen fern. Sie treffen sich am Samstag zum Parteitag in Pforzheim, um Winfried Kretschmann zum Spitzenkandidaten zu wählen. Es dürfte eine Krönungsmesse werden. Denn der 67-Jährige ist so populär wie nie. Sein Image als Landesvater – wie einst bei Erwin Teufel – macht ihn bei den Bürgern höchst beliebt. Ja selbst in seiner Partei, wo sie ihm sein Ja zum Asyl-Kompromiss lange verübelt haben, ist er unangefochten. „Die baden-württembergischen Grünen stehen einmütig hinter ihm“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer Hans-Ulrich Sckerl. Es gebe „keine Zweifel“, dass Kretschmann für die gesamte Legislaturperiode antrete – und nicht, wie immer wieder kolportiert – nach ein oder zwei Jahren in Pension gehen wird. Die Grünen-Landeschefs Thekla Walter und Oliver Hildenbrand freuen sich jedenfalls diebisch auf das Treffen in Pforzheim: „Die Wahl unseres Spitzenkandidaten ist ein weiterer Höhepunkt auf dem Weg zur Landtagswahl.“

Wie auch immer die beiden Wahlen ausgehen: Die Koalitionäre werden sich nach dem Wochenende große Treue schwören. „Beide wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind“, meint einer aus der Regierung: „Jetzt müssen sie nur endlich aufhören, Katz und Maus miteinander zu spielen.“