Kretschmanns heikles Unterfangen: Grün-Rot will im Wahljahr verstärkt abschieben. Foto: dpa

Nur ein Bruchteil der 20.000 ausreisepflichtigen Flüchtlinge musste bisher tatsächlich gehen. Das soll sich ändern: Grün-Rot will Abschiebungen forcieren. An erster Stelle steht jedoch eine Hoffnung.

Stuttgart - Das Land will Flüchtlinge ohne offensichtlichen Asylgrund systematisch zur Heimreise drängen. „Damit schaffen wir mehr Platz und mehr Motivation für die Unterbringung und Integration der von Verfolgung und Krieg bedrohten Menschen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).

Sollten die Armutsflüchtlinge nicht freiwillig gehen, will Innenminister Reinhold Gall (SPD) sie nach abgelehntem Asylantrag in großem Stil abschieben lassen: „Wir wollen ab Jahresende eine Sammelrückführung pro Woche machen.“ Laut Gall leben derzeit rund 20 000 ausreisepflichtige Menschen im Land. Etwa die Hälfte kann wegen Krankheit, fehlender Papiere oder anderer Hindernisse aber nicht heim geschickt werden.

Für das „Rückkehrmanagement“ hat die Landesregierung im Innenministerium eigens einen Arbeitsstab eingerichtet. Sein Konzept sieht unter anderem ein Beratungsteam vor, das Flüchtlinge über Rückkehrmöglichkeiten berät, noch ehe sie einen Asylantrag gestellt haben.

Kretschmann und Gall rechnen damit, dass Druck wirkt

Das soll vor allem im zentralen Verteilzentrum in Heidelberg geschehen, wo rund drei Viertel aller Flüchtlinge im Südwesten registriert werden. Aber auch in einigen der 29 Erstaufnahmestellen im Südwesten wird das Beratungsteam auftauchen.

„Wir werden ihnen sagen, dass die freiwillige Ausreise ihnen Unannehmlichkeiten erspart“, sagte Gall weiter. In diesem Fall müssten sie mit „Stress“ rechnen, ergänzte Kretschmann, betonte aber auch, die Menschen würden „geordnet und respektvoll“ zurückgeführt: „Wir schieben nicht einfach ab.“

Kretschmann und Gall rechnen damit, dass dieser Druck wirkt. Der Arbeitsstab werde aber auch die bestehenden Hindernisse für Abschiebungen angehen, kündigten sie an und äußerten die Hoffnung, dass künftig leichter Passersatzpapiere ausgestellt werden.

Abschiebung ohne Ankündigung

Das neue Asylrecht sehe außerdem vor, dass Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden dürfen. Für das Rückkehrmanagement will Grün-Rot im Nachtragshaushalt für 2015/2016 zusätzlich 65 Personalstellen schaffen.

Die Opposition im Landtag reagierte mit Skepsis auf die Ankündigung. „Schon, dass die Landesregierung jetzt etwas tun will“, erklärte CDU-Landeschef Thomas Strobl: „Wir haben sie daran in der Vergangenheit nicht gehindert.“ Bei Abschiebungen gebe es „gewaltig Luft nach oben“. Grün-Rot habe dabei viel zu lange die Zügel schleifen lassen.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hält es für unglaubwürdig, wenn der Innenminister konsequentere Abschiebungen ankündigt, Grünen-Staatsrätin Gisela Erler aber gleichzeitig in einem Hand- buch den Flüchtlingen das Kirchenasyl. empfiehlt. Baden-Württemberg hat in diesem Jahr bis zum 30. September 1630 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben. Das waren bereits deutlich mehr als im gesamten Jahr 2014 (1080). Das geht aus einer Statistik des Bundesinnenministeriums hervor.

Attacke auf Palmer

Gemessen an den absoluten Zahlen lag das Land damit an dritter Stelle nach Nordrhein-Westfalen (2936) und Bayern (2718). Insgesamt wurden bis Ende September 13 464 Menschen aus dem Bundesgebiet zurück in ihre Heimat gebracht, weil ihr Asylantrag keinen Erfolg hatte.

Hart ins Gericht ging Kretschmann mit seinem Parteifreund, dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Dieser hat jüngst dafür plädiert, eine Beschränkung des Familiennachzugs für Flüchtlinge nicht von vornherein auszuschließen. „Ich verstehe, dass Palmer darüber diskutieren will, doch er stellt immer Fragen, die er dann auch nicht beantworten kann“, sagte Kretschmann.

Kretschmann einig mit Merkel

Es mache keinen Sinn, schon jetzt Beschlüsse über den Familiennachzug zu fassen, noch ehe die anderen Beschlüsse des jüngsten Asylkompromisses überhaupt umgesetzt seien. Statt in Hektik zu verfallen, müsse die Politik vielmehr „Ordnung in das Verfahren“ bringen. Man könne nicht ständig nur Signale setzen, von denen man nicht einmal wisse, wie diese sich auswirken.

Eine generelle Lösung des Flüchtlingsproblem habe im Moment niemand, sagte Kretschmann. Darin sieht er sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel einig.