Mit Wasserwerfern geht die Polizei in Istanbul gegen Demonstranten vor. Foto: dpa

Nach dem Grubenunglück von Soma mit hunderten Toten richtet sich die Wut der türkischen Bevölkerung gegen Regierungschef Erdogan. Der lässt Demonstrationen mit Wasserwerfern unterbinden. Viele deutsche Politiker sind deshalb dagegen, dass Erdogan am Samstag in Köln auftritt.

Nach dem Grubenunglück von Soma mit hunderten Toten richtet sich die Wut der türkischen Bevölkerung gegen Regierungschef Erdogan. Der lässt Demonstrationen mit Wasserwerfern unterbinden. Viele deutsche Politiker sind deshalb dagegen, dass Erdogan am Samstag in Köln auftritt.

Köln/Istanbul - Nach dem Grubenunglück in Soma haben sich deutsche Politiker parteiübergreifend gegen einen geplanten Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Köln ausgesprochen.

Politiker von CDU/CSU, SPD und Grünen warfen Erdogan vor, ungeachtet der Katastrophe in der Türkei mit mehr als 300 Toten Wahlkampf in Deutschland betreiben zu wollen. Bei den Ermittlungen zum Unglück in der Türkei wurden am Sonntag Medienberichten zufolge 19 Menschen festgenommen, darunter auch Führungskräfte der Betreibergesellschaft Soma Holding.

Die Regierung hatte die Bergungsarbeiten am Samstag für beendet erklärt. Nach ihren Angaben kamen bei dem schwersten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei 301 Kumpel ums Leben, 485 Menschen überlebten. Türkische Medien berichteten am Sonntag, der Zugang zu der Grube sei zugemauert worden. Zu dem Areal hätten nur noch Experten Zutritt, die den Vorfall untersuchten.

Die Betreibergesellschaft Soma Holding und die Regierung wiesen jede Verantwortung für das Grubenunglück zurück. Nach der Katastrophe kam es in mehreren Städten zu Protesten, bei denen Demonstranten den Rücktritt der Regierung forderten. In Istanbul setzte die Polizei am Samstagabend Wasserwerfer und Tränengas gegen Hunderte Demonstranten ein. In Soma war die Polizei am Freitag gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen. Dort blieb die Stimmung angespannt.

Türkische Medien berichteten, in Soma seien am Samstag mehrere Anwälte, die Familien der Opfer beraten wollten, vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen worden. Die Behörden hätten Demonstrationen in Soma am Samstag verboten. Die Polizei habe Checkpoints auf den Zufahrtsstraßen errichtet.

Erdogan will in Köln sprechen

Ministerpräsident Erdogan will am kommenden Samstag in der Kölner Lanxess-Arena sprechen. Kritiker gehen davon aus, dass der 60-Jährige türkischer Präsident werden und in Köln um Stimmen werben will. An der Präsidentenwahl am 10. August dürfen erstmals auch die im Ausland lebenden Türken teilnehmen.

Vor dem Hintergrund der Katastrophe in Soma sei der Auftritt Erdogans in Deutschland das "völlig falsche Signal", sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), der "Bild"-Zeitung (Montag). Der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thomas Strobl, kritisierte: "Es ist nicht in Ordnung, dass Erdogan in Deutschland Wahlkampf macht."

Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) sagte der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (Samstag): "Der Besuch kommt einem Missbrauch des Gastrechts nahe." Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte, mit seiner Reaktion auf das Grubenunglück in der Türkei verwandele Erdogan die tiefe Trauer vieler Türken in Wut. Der Regierungschef könne jetzt nicht einfach Wahlkampf machen.

Für Kritik hatte nach dem Grubenunglück unter anderem das harte Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten in Soma gesorgt. Empörung rief auch ein Erdogan-Berater hervor, der in Soma auf einen am Boden liegenden Demonstranten eintrat. Erdogans Verhalten beim Besuch im Katastrophengebiet war als taktlos kritisiert worden.

Erdogans Partei AKP hat betont, der Auftritt in Köln sei keine Wahlkampfveranstaltung, sondern würdige das zehnjährige Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD).

Der SPD-Außenpolitiker Dietmar Nietan sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ("FAS"), die große Koalition solle das Verhalten Erdogans nach dem Unglück zum Anlass nehmen, um "unsere Strategie gegenüber der Türkei zu überdenken". Deutschland müsse die Kräfte stärken, die sich in der Türkei für Demokratie und eine starke Zivilgesellschaft einsetzten.

Erdogan hatte Ende vergangenen Monats empört auf Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Türkei-Besuch reagiert. Gauck hatte Demokratiedefizite in der Türkei beklagt. Erdogan warf dem Bundespräsidenten daraufhin Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes vor.