Noch immer werden in der Grube von Soma tote geborgen. Foto: dpa

Über 300 tote Bergleute sind mittlerweile im türkischen Soma geborgen worden. Die Trauer schlägt indes um in Wut - auf die Regierung und auf die Polizei, die Demonstrationen gewaltsam zu unterbinden versucht.

Über 300 tote Bergleute sind mittlerweile im türkischen Soma geborgen worden. Die Trauer schlägt indes um in Wut - auf die Regierung und auf die Polizei, die Demonstrationen gewaltsam zu unterbinden versucht.

Soma/Istanbul - Die Zahl der Toten bei dem Grubenunglück im türkischen Soma ist auf mehr als 300 angestiegen. Energieminister Taner Yildiz sagte am Samstag, bei der Katastrophe vom Dienstag seien 301 Bergleute umgekommen. Weitere 485 Kumpel seien lebend geborgen worden.

Nach den Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei am Freitag in Soma dauerten die Spannungen dort am Samstag an. Das Grubenunglück hat wütende Proteste gegen die Regierung ausgelöst, der Kritiker eine Mitschuld an der Katastrophe geben.

Augenzeugen berichteten, zwischen 50 und 100 Menschen hätten sich am Samstag in Soma geweigert, Aufforderungen der Polizei Folge zu leisten und ihre Versammlung aufzulösen. Nach einem Wortgefecht hätten Polizisten einige Menschen geschlagen und mehrere festgenommen. Regierungsgegner riefen für Samstagabend in Istanbul zu Protesten auf.

Rücktrittsforderungen werden laut

Am Freitag war die Polizei in Soma mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen gegen Demonstranten vorgegangen. Auch in Istanbul und Izmir kam es zu Zusammenstößen. Demonstranten forderten den Rücktritt der Regierung. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, schärfere Sicherheitskontrollen verhindert zu haben.

Für zusätzliche Brisanz sorgten Vorwürfe, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan habe bei einem Besuch in Soma am Mittwoch einen Mann geohrfeigt, der ihn ausgebuht habe. Das von Regierungskritikern als Beleg für den Vorfall gewertete Video ist in der entsprechenden Sequenz allerdings so verwackelt, dass Erdogans Verhalten nicht klar zu erkennen ist. Erdogans Partei AKP wies die Vorwürfe zurück.

Erdogan war bei seinem Besuch in Soma am Mittwoch von einer Menschenmenge ausgebuht und ausgepfiffen worden. Der Ministerpräsident hatte unter anderem die schlechte Sicherheitsbilanz der Kohlebergwerke in der Türkei heruntergespielt und gesagt: "Solche Unfälle passieren ständig." Für Empörung hatte auch Erdogan-Berater Yusuf Yerkel gesorgt, der bei dem Besuch auf einen am Boden liegenden Demonstranten eintrat. Yerkel entschuldigte sich inzwischen.

Obama bietet Hilfe an

US-Präsident Barack Obama bot der Türkei Hilfe an. In einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül drückte Obama sein Beileid aus. Welche Hilfe genau er dem Land zukommen lassen wollte, blieb in einer Mitteilung des Weißen Hauses zunächst unklar.

Die Bergwerkskatastrophe ist die schwerste in der Geschichte der Türkei. Aus der Unglückszeche trat am Samstagmittag weiterhin Rauch aus, wie ein dpa-Reporter aus Soma berichtete. Im strömenden Regen dauerten die Beerdigungen der vielen Toten an.

Deutsche Politiker kritisierten derweil einen für kommenden Samstag (24. Mai) in Köln geplanten Auftritt Erdogans. Grünen-Chef Cem Özdemir warf Erdogan vor, mit seiner Reaktion auf das Grubenunglück verwandele er die tiefe Trauer vieler Türken in Wut. Der Regierungschef könne jetzt nicht einfach Wahlkampf machen, fügte er mit Blick auf den geplanten Auftritt Erdogans in Köln hinzu.

Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) forderte Erdogan auf, seine Rede in der Lanxess-Arena abzusagen. "Ich halte den Besuch in Ablauf und Inhalt für abwegig und unangemessen", sagte er der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (Samstag). "Der Besuch kommt einem Missbrauch des Gastrechts nahe."

Erdogans Partei AKP hat betont, der Auftritt in Köln sei keine Wahlkampfveranstaltung, sondern würdige das zehnjährige Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Kritiker gehen jedoch davon aus, dass Erdogan türkischer Präsident werden und in Köln um Stimmen werben will. An der Präsidentenwahl am 10. August dürfen erstmals auch die im Ausland lebenden Türken teilnehmen.