Bahnchef Grube mit Heiner Geißler. Die Kosten für die Nachbesserungen aus den Schlichtungsvereinbarungen will Grube nicht aus dem "Risikopuffer" finanzieren. Foto: dapd

Grube: Anfallende Kosten für Stresstest außerhalb des 4,5-Milliarden-Budgets finanzieren.

Rüdiger Grube lässt keinen Zweifel am Bau von Stuttgart 21. Nach der Schlichtung "werden wir jetzt die Bremse lockern", sagt der Bahn-Chef im Interview mi den Stuttgarter Nachrichten. Drohten infolge des Stresstests neue Investitionen, will Grube diese außerhalb des genehmigten 4,5-Milliarden-Budgets finanzieren.

Herr Grube, mit dem Abstand von rund zwei Wochen gefragt: War Heiner Geißlers Schlichtung aus Ihrer Sicht erfolgreich? Die Demonstrationen gehen weiter. Immer wieder gibt es Tumulte und Konfrontationen.

Ich werte die Schlichtung als Erfolg. Sie hat zu einer Versachlichung des Themas geführt. Und ganz ehrlich, als wir an jenem 30. November in die Mittagspause gingen, wusste ich selbst nicht, wie das Thema ausgehen würde.

Aber Sie haben in der Nacht vorher nicht schlecht geschlafen?

Es hat mich auf jeden Fall beschäftigt. Ich war durchaus besorgt, dass das doch zu einem aus unserer Sicht falschen Ergebnis führen könnte. Trotzdem habe ich gut geschlafen, wie sonst auch.

Fanden Sie es gut, dass die Öffentlichkeit die Schlichtung live verfolgen konnte?

Im Nachhinein ja, am Anfang war ich durchaus skeptisch. Aus der Fülle der Informationen konnte sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Das hat eine Transparenz geschaffen, die mir bisher aus einem anderen Großprojekt nicht bekannt ist. Das hätten wir ohne die öffentliche Schlichtung sicherlich so nicht geschafft.

Na klar, Sie wollten nicht, dass Ihnen jemand in die Pläne schaut.

Nein, sondern deswegen, weil wir die Planfeststellungsverfahren und damit das Baurecht haben. Damit ist der Prozess bis zum Baubeginn eigentlich ja abgeschlossen.

Was hat die Schlichtung Ihrer Meinung nach gebracht?

Mit dem Faktencheck haben wir erfolgreich belegt, dass wir nichts zu verstecken hatten. Die Schlichtung hat uns auch noch einmal sensibilisiert, dass man mit Großprojekten künftig anders verfahren muss.

"Wir sind von der höheren Leistungsfähigkeit des Durchgangsbahnhofs überzeugt"

Allerdings ist Ihnen auch in sechs Wochen Schlichtung der Nachweis nicht gelungen, dass der neue Bahnhof wirklich 30 Prozent leistungsfähiger ist als der alte. Das ist doch ein Armutszeugnis für Ihre Truppe.

Ich habe eher damit gerechnet, dass wir bei den Kosten oder der Geologie kritische Fragen bekommen würden. Da waren wir aber eher überzeugend. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit ist eine sehr komplexe. Aber wir sind von der höheren Leistungsfähigkeit des Durchgangsbahnhofs überzeugt, und deshalb muss sich hier auch keiner von uns verstecken.

Wie geht es jetzt weiter?

Nun führen wir als Erstes den Stresstest durch. Es war die Bitte der Gegner, dass dies gemacht wird und die Ergebnisse von einem unabhängigen Institut geprüft werden. Wir werden attestiert bekommen, dass wir die geforderte Leistung bekommen, davon gehe ich zurzeit aus. Aber nun lassen Sie uns doch einfach erst einmal an die Arbeit gehen.

Was passiert, wenn Ihr Projekt beim Stresstest durchfällt?

Dann gibt es mehrere Möglichkeiten für eine Optimierung. Eine davon ist das neunte und zehnte Gleis im Stuttgarter Durchgangsbahnhof. Wir gehen aber davon aus, dass da nicht der Engpass ist. Wenn es Engpässe geben sollte, würden sie eher im Zulauf zum Bahnhof liegen. Eine Möglichkeit, dem zu begegnen, könnte die sogenannte Option P, P wie Pragsattel, sein. Das ist die Verbindung der Zulaufstrecken von Feuerbach her mit dem Zulauf von Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof. Und dann gäbe es noch die Möglichkeit, die Wendlinger Kurve zweigleisig und kreuzungsfrei zu bauen.

Das sind die Vorgaben von Geißler...

...an die wir uns auch voll halten werden, wenn es notwendig wird. Wir werden alles machen, dass das Projekt zu einer leistungsfähigen, fortschrittlichen und nachhaltigen Schieneninfrastruktur führt. Wenn wir jetzt feststellen sollten, dass die Simulation Verbesserungen notwendig macht, dann werden wir uns darum kümmern. So wie beim zweiten Gleis in der Fortführung zum Flughafen.

"Wir haben fest vor, das zweite Gleis zu bauen"

Dieses Gleis war von dem Schweizer Beratungsunternehmen SMA gefordert worden. Werden Sie das umsetzen?

Das zweite Gleis kostet ungefähr 35 Millionen Euro. Wir haben fest vor, es zu bauen, weil es allemal sinnvoll ist. Das muss aber noch zwischen den Projektpartnern Bund, Stadt, Land, Region und Bahn offiziell beschlossen werden. Dem will ich nicht vorgreifen.

Wird es einen Bau- und Vergabestopp geben, bis der Stresstest ausgewertet ist?

Nein. Wir hatten bis Schlichtungsende keinen Baustopp, zum Beispiel haben wir im Gleisvorfeld weiter gearbeitet, um den Termin des Fahrplanwechsels am 12. Dezember 2010 nicht zu gefährden. Wir wollten uns aber nicht nachsagen lassen, dass wir im Rahmen der Schlichtung schon den Beton in den Boden gebracht und Aufträge vergeben haben. Wir haben den Fortschritt der Bauarbeiten so gestaltet, dass wir im Zeitraum nach der Schlichtung die wesentlichen Arbeiten stattfinden lassen. Jetzt werden wir die Bremse lockern. Ich verspreche aber, dass wir keine Nacht-und-Nebel-Aktion machen werden. Wir werden die Bevölkerung hier in Stuttgart rechtzeitig und ausführlich informieren, wo wir was wie machen.

Also ist dieses Projekt weniger denn je zu stoppen?

Richtig. Aber wenn der Schlichterspruch anders ausgegangen wäre, wäre es sicherlich schwieriger für uns geworden, einfach so weiterzumachen. Denn wir sind ja nicht irgendein Unternehmen. Der Staat ist unser Eigentümer, und da kann man sich nicht so benehmen, wie man das vielleicht in der freien Wirtschaft machen würde, wenn ein Projekt offiziell genehmigt ist.

Als Daimler-Manager haben Sie die Einführung der S-Klasse erlebt, die ein Problem mit der Zuladung hatte. Später bestand die A-Klasse den Elchtest nicht. Jetzt konnte die Bahn die Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs nicht nachweisen. Ist das für Sie der Elchtest im Quadrat?

Da ist jeder Fall anders, übrigens war ich weder für die S-Klasse noch für den Elchtest zuständig. Und trotzdem haben sie eines gemeinsam: Man lernt, wie man mit Krisen umgeht. Die größte Herausforderung für mich war die Trennung von Chrysler und Daimler. Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm hat aber eine völlig andere Dimension, weil die Öffentlichkeit eine so große Rolle spielt. Eine ähnliche Situation habe ich allenfalls in meiner Funktion beim europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen EADS erlebt, als in Hamburg die firmeneigene Startbahn im Mühlenberger Loch ausgebaut werden sollte. Da lernte ich, wie heftig die Kritik der Öffentlichkeit sein kann, wenn die Bürger auf die Straße gehen. Aber in dieser massiven Art wie bei Stuttgart 21 habe ich das noch nicht erlebt.

"Für Großprojekte gibt es bei mir künftig eine Checkliste"

Haben Sie in diesem Prozess auch Fehler gemacht?

Wer kann von sich schon behaupten, immer alles richtig zu machen? Ich hätte mich beispielsweise nicht zu den Demonstrationen äußern sollen, und vielleicht hätte ich auch nicht fragen sollen, ob es richtig ist, wenn Schüler morgens um 10.30 Uhr trotz Schulpflicht demonstrieren gehen.

Was haben Sie für sich daraus gelernt?

Projekte dieser Größenordnung wird es mit mir nur noch mit einer Checkliste geben. Und darauf steht ganz oben: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Ein Stuttgart 21 brauchen wir nicht noch einmal. Am Beispiel der Rheintalstrecke will ich jetzt zeigen, wie man es auch anders machen kann. Ich fuhr gegen den Willen meiner Berater dorthin und bin sehr erfreut darüber, wie die Bevölkerung im Rheintal die Initiativen aufnimmt.

Sie sind also seit der Schlichtung wie Ihr Infrastruktur- und Technikvorstand Volker Kefer von Demut erfüllt?

Ja, auf jeden Fall. Da breche ich mir auch keinen Zacken aus der Krone. Ich finde, man kann auch eingestehen, dass man etwas dazugelernt hat. Demut ist ein ganz wichtiges Thema.

Wie würden Sie denn Ihr persönliches Verhältnis zum Tübinger Grünen-OB Boris Palmer beschreiben?

Da liegt eine gegenseitige Wertschätzung vor. Herr Palmer und ich haben die gesamte Zeit Kontakt gehabt. Und da legen wir beide auch Wert darauf. Ich persönlich, weil er ein Freund der Bahn ist. Das ist ja schon mal etwas Positives. Er ist auch schon bei mir in Berlin gewesen. Ich habe ihn in Tübingen besucht. Er reist viel mit der Bahn und schreibt mir per SMS über seine Erlebnisse. Das finde ich klasse, und ich mag seine engagierte Art.

Hatten Sie das Gefühl von der Landesregierung richtig unterstützt zu werden?

Ihre Zustimmung war immer da. Seit Sommer habe ich sehr häufig mit Ministerpräsident Mappus über Stuttgart 21 gesprochen, als die heiße Phase am Nordflügel des Empfangsgebäudes begann. Da haben wir uns fast täglich telefonisch abgestimmt. Was das Land betrifft, hätte die Unterstützung nicht besser sein können.

Und wie war das mit der Bundesregierung?

Im Bund hat die Unterstützung ein paar Tage gedauert - bis sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Öffentlichkeit klar für Stuttgart 21 aussprach. Was die Bundespolitik betrifft, war das der entscheidende Tag. Die Kanzlerin hat uns wirklich sehr den Rücken gestärkt. Ich bin mehrfach bei ihr gewesen. Sie hat mich persönlich angerufen und mich zu sich gebeten. Ich bin überrascht gewesen, wie viel Zeit sie in das Projekt investierte. Das Gleiche kann ich aber auch von unserem Verkehrsminister Peter Ramsauer sagen, der mich von Tag 1 an unterstützt hat.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster?

Ich kenne Wolfgang Schuster schon sehr lange, noch aus meiner Zeit als Daimler-Vorstand in Stuttgart. Er ist ein absolut verlässlicher Mensch. Aber leider konnte die Stadt das eine oder andere Thema in der Kommunikation nicht richtig vermitteln. Man muss aber auch sagen, Herr Schuster ist in der Vergangenheit streckenweise von der Bahn alleingelassen worden, zumindest war die Unterstützung nicht immer sichtbar.

Schauen wir uns Stuttgart 21 plus an. Sparen Sie schon mal Geld für die Zusatzausgaben?

Nein, der Stresstest kostet kein Vermögen.

Der Stresstest nicht, aber vielleicht die Umsetzung der Erkenntnisse.

Ich kenne noch keine konkreten Zahlen. Aus der Erfahrung heraus würde ich sagen, 500 Millionen Euro sind viel zu viel. Die Größenordnung von 150 bis 170 Millionen Euro, die vonseiten des Umweltministeriums genannt wurde, erscheint mir realistischer.

Wo kommt das Geld im Zweifel her?

Das Projekt Stuttgart 21 ist mit 4,088 Milliarden Euro und einem Risikofonds von rund 430 Millionen geplant. Sollte tatsächlich beim Stresstest herauskommen, dass wir nachbessern müssen, dann müssen wir uns wie unter normalen Menschen hinsetzen. Wir müssen schauen, was es kostet und wie wir uns die Kosten aufteilen. Aber das machen wir dann, wenn wir wissen, ob und welche Option wir ziehen müssen. Jetzt zu spekulieren, daran beteilige ich mich nicht.

Die Aufteilung der Kosten wird also kein Knackpunkt sein?

Nein. Man muss doch bei Finanzierungsfragen zwischen den beiden Projekten Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm unterscheiden. Bei der Neubaustrecke ist die Finanzierung folgendermaßen. Da zahlt das Land 950 Millionen Euro und wir zahlen 150 Millionen. Zusätzlich haben wir als Deutsche Bahn noch einmal eine Zwischenfinanzierung von 130 Millionen bis zum Jahr 2016 zugesagt. Danach übernimmt der Bund die Finanzierung.

Und bei Stuttgart 21?

Wir haben heute schon Puffer eingebaut. In den 4,088 Milliarden Euro sind über 300 Millionen Euro für eventuelle Kostensteigerungen enthalten. Zusätzlich haben wir noch den eigentlichen Risikopuffer von rund 430 Millionen Euro. Die Sollbruchstelle war ja immer 4,526 Milliarden Euro. Ich möchte aber nicht, dass wir den Puffer für mögliche Nachbesserungen verwenden. Das wäre nicht verantwortungsvoll. Der Puffer ist dafür da, um mögliche Mehrkosten der Maßnahmen auszugleichen, die schon beschlossen wurden. Nicht für neue Maßnahmen. Wenn nach dem Stresstest zusätzliche Aufgaben zu finanzieren wären, werden sich die Projektpartner über deren Aufteilung verständigen. Wir sollten nicht den Fehler machen, dass wir den Puffer aufzehren.

Gehen wir die Maßnahmen doch einmal durch. Warum ist man erst jetzt auf die Idee gekommen, die Gäubahn nicht abzubauen?

Ich bin der Meinung, wenn wir heute eine Trasse haben, dann sollten wir sie nicht so schnell aufgeben. Denn es ist heute wahnsinnig schwierig, eine neue Trasse zu bekommen. Und bei der Gäubahn werden wir mit der Stadt Stuttgart besprechen, wie wir eine spätere Nutzung gestalten können.

Dann gibt es die Zuläufe Feuerbach und Bad Cannstatt. Das könnte richtig teuer werden.

Das würde sicherlich teurer als das zweite Gleis oben am Flughafen.

Am Geld scheitert das also nicht?

Ich bleibe dabei, wenn das vernünftige Maßnahmen sind, die dazu beitragen, dass das Projekt noch besser wird, dann sollte es daran nicht scheitern. Ich will nur kein Planfeststellungsverfahren aufmachen müssen, was die Umsetzung des Projekts blockieren würde. Aber lassen Sie uns jetzt erst einmal anfangen, dann wissen wir auch mehr über die möglichen Kosten.

Für den Tiefbahnhof gibt es eine Baugenehmigung für acht Gleise. Wenn man den jetzt auf neun oder zehn Gleise erweitern müsste, wäre das mit einer Änderung eines Planfeststellungsverfahrens verbunden?

Wir müssten ein Planänderungsverfahren durchführen. Aber wenn es tatsächlich zu so etwas kommen sollte, dann braucht man ja möglicherweise nicht gleich das neunte und zehnte Gleis zu bauen. Man würde dann nur die Vorkehrungen treffen, dass wir die im Nachhinein noch installieren können.

Wie wird man sich dann über die Bezahlung unterhalten?

Der Finanzierungsvertrag, der am 2. April 2009 unterschrieben worden ist, hat keine Ausstiegsklausel. Er hat eine Sprechklausel, die aber nur bis zum 31. 12. 2009 lief. Das heißt, sie besteht gar nicht mehr. Alle Projektpartner sind jetzt verpflichtet, dieses Projekt zu realisieren. Wenn es etwas Unvorhergesehenes gibt, dann setzt man sich an einen Tisch und muss darüber im Lenkungskreis reden.

Unvorhergesehen wurde nach der Schlichtung bekannt, dass die Bahn vor der Finanzierungsvereinbarung Ihren Partnern die um fast eine Milliarde Euro erhöhten Kosten für Stuttgart 21 verschwiegen hat. Viele sehen damit die Legitimation des Projekts endgültig zerstört.

Der Bericht der Wirtschaftsprüfer enthält einen Zwischenstand im Prozess der Nachkalkulation zu Stuttgart 21. Die Entwurfsplanung, also die Kostenermittlung auf Basis der einzelnen Gewerke, lag erst im Juli 2009 vor und nicht Ende 2008. Danach haben wir diese überprüft und im Dezember 2009 den aktualisierten Kostenstand von 4,088 Milliarden Euro ermittelt. Die in der Presse zu lesenden Unterstellungen sind also haltlos.

Die Stimmung wird schon wieder emotionaler. Und mit einer neuen Landesregierung könnte es für Sie noch schwerer werden.

Darüber möchte ich nicht spekulieren.

Der 27. März und die Landtagswahlen spielen in Ihren Planungen keine Rolle?

Nein. Infrastrukturprojekte sind langlebiger als eine gewählte Regierung. Wir dürfen sie in Deutschland nicht von Wahlperioden abhängig machen. Sonst kriegen Sie niemals so ein Projekt auf die Reihe. Ob diese Regierung auch nach dem 27. März in der Verantwortung ist, entscheidet das Wahlvolk. Ich kann nur eines sagen: Wer auch immer die Regierung darstellt - wir sind ein verlässlicher Partner.

Und das erwarten Sie sich von der nächsten Regierung auch?

Es ist auch üblich, dass eine Nachfolgeregierung bestehende Verträge einhält. Das war und ist guter Stil.