Hagdorn, der größte Tomaten-Produzent im Kreis Ludwigsburg, möchte seine Gewächshäuser in Eberdingen-Hochdorf mit grünem Strom betreiben – und hat dafür ein außergewöhnliches Konzept.
Die meisten Tomatenliebhaber dürften mit offenen Mündern durch die Gewächshäuser des Familienbetriebs Hagdorn in Eberdingen-Hochdorf spazieren. In schier unglaublichen Mengen reifen dort die roten Früchte. Pro Jahr werden etwa 1200 Tonnen geerntet und auf rund vier Millionen Pakete verteilt, die vor allem über Edeka-Filialen in ganz Baden-Württemberg verkauft werden. Hagdorn ist damit die Nummer eins in Sachen Tomatenproduktion im Landkreis Ludwigsburg – und will jetzt für 24 Millionen Euro zwei Windräder bauen.
Eine Entwicklung des Familienunternehmens war so kaum abzusehen. Erst in den 1980er-Jahren stellte der Vater von Heiko Hagdorn, dem heutigen Inhaber, von Viehhaltung auf Gemüseanbau um, allerdings unter freiem Himmel. 2008 erfolgte dann die entscheidende Weichenstellung mit dem Bau eines ersten Gewächshauses vor den Toren Hochdorfs auf vier Hektar und der Spezialisierung auf Tomaten. „2016 haben wir um ein zweites Gewächshaus auf einer Fläche von zwei Hektar erweitert. Dieses Mal mit einer Belichtung, sodass wir praktisch an 365 Tagen im Jahr Tomaten ernten können“, erklärt Heiko Hagedorn, der den Betrieb mit seiner Frau Karin managt.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass diese Anbaumethode eine Menge Energie frisst. Bis zum vergangenen Jahr setzte die Familie dabei auf vier Blockheizkraftwerke (BHKW). Darin wurde Biomethan verfeuert. Ein Prozess, der die dringend benötigte Wärme und obendrein elektrische Energie freisetzt. Die Zulieferer des umweltfreundlichen Gases hätten jedoch Insolvenz angemeldet, sagt Hagdorn. Die Verträge seien somit geplatzt. Er musste von Öko-Methan auf konventionelles Erdgas als Treibstoff für die BHKWs umsatteln.
Das Problem dabei: Für den überschüssigen Strom, der ins allgemeine Netz eingespeist wird und die Anlagen wirtschaftlich erst attraktiv machte, sank ohne das Bio-Label die Vergütung. Hagdorn reagierte umgehend. Er ließ zwei der BHKWs abbauen und an derselben Stelle Wärmepumpen installieren, die im Betrieb tomatenfreundliche Temperaturen generieren und direkt über den Strom aus den verbliebenen Kleinkraftwerken betrieben werden. Es falle in der Konstellation kein Netzentgeld an, sodass sich das ganze Modell noch rechne.
So wird es aber wohl nicht bleiben. „Die CO 2-Abgabe, die beim Erdgas on top kommt, steigt jedes Jahr und soll sich im Vergleich zu heute verdoppeln“, sagt Hagdorn. Also grübelte er, wie eine zukunftsfähige Lösung ausschauen könnte. Dabei kam ihm die Idee, zwei Windräder zu bauen. Was sich für Außenstehende im ersten Moment wie ein ziemlich kühnes Unterfangen anhören mag, ist inzwischen gar nicht mehr weit von einer Umsetzung entfernt.
Die passenden Grundstücke hat Heiko Hagdorn an der Hand. Die Areale befinden sich auf einem Feld zwischen Hochdorf und Vaihingen-Enzweihingen auf Vaihinger Gemarkung und liegen in einer Zone, die der Verband Region Stuttgart im Dezember nach Lage der Dinge als Vorranggebiet für Windräder ausweisen wird. Ein Standort wäre etwa drei, der andere rund 1,8 Kilometer von den Gewächshäusern entfernt.
Jeder kann ein Stück vom Kuchen abbekommen
Hagdorn wird die Areale weder kaufen noch pachten. Stattdessen soll der Zugriff über einen so genannten Flächenmodell-Nutzungsvertrag geregelt werden. Jeder einzelne Eigentümer in dem gesamten Vorranggebiet kann damit ein Nutzungsentgelt erhalten, selbst wenn sich die Windräder am Ende nur auf einem kleinen Teilbereich drehen sollen. Doch theoretisch hätte man die Anlagen eben auch auf anderen Flurstücken in dem ganzen großen Korridor errichten können, weshalb finanziell gesehen niemand in die Röhre schauen soll. Zudem müssen die Lastwagen Bauteile anliefern, was ohne die Überfahrt mehrerer Flurstücke unmöglich wäre.
Der fünffache Familienvater hat beim Landratsamt Ludwigsburg bereits einen immissionsschutzrechtlichen Antrag zum Bau und Betrieb der Anlagen gestellt. Sollte er vom Kreishaus grünes Licht bekommen und seine Wunschfläche im Regionalplan als Windkraftvorranggebiet tatsächlich festgezurrt werden, könnte es ganz schnell gehen. „Realistisch wäre es dann, zuerst das Fundament zu bauen und die Zuwegungen vorzubereiten und die Windräder später nacheinander aufzustellen und Ende 2027 in Betrieb zu nehmen“, sagt der Gärtnermeister. Rund 24 Millionen Euro würde er dafür in die Hand nehmen. Die Anlagen sollen bis zur Nabe 175 Meter hoch sein und jeweils bis zu 14 Gigawatt Strom pro Jahr produzieren.
Refinanzierung über Stromverkauf
Die Refinanzierung soll über den Verkauf des Stroms gelingen. Stand jetzt dürfte Hagdorn pro Kilowattstunde rund 6 Cent einstreichen. Sein Betrieb würde ungefähr die Hälfte abnehmen, der Rest ins öffentliche Netz fließen. „Die Finanzierung basiert allerdings auf dem Status quo, wonach es im Südwesten wegen der geringeren Windleistung eine Prämie von 2,4 Cent auf jede Kilowattstunde gibt, also in Summe 8,4 Cent. Streicht die Politik diese Zusatzvergütung, müssten wir die Sache neu beleuchten“, sagt Hagdorn.
Aus Sicht des 47-Jährigen hat die Förderung aber ihre Berechtigung, weil die Alternative ebenfalls ihren Preis hätte: „Dann müsste der Strom aus dem Norden über Trassen hierher transportiert werden. Das kostet mehr“, erklärt er.
Familienbetrieb mit 70 Angestellten
Vermarktung
Der Familienbetrieb Hagdorn produziert mit rund 70 Angestellten hauptsächlich Cocktail-Rispentomaten und Snacktomaten. Die Tomaten werden über den Gemüsering Stuttgart an die Edeka-Südwest vermarktet, ein Teil auch im eigenen Laden in Eberdingen-Hochdorf verkauft.
Hummeln
Die Tomaten wachsen in zwei Gewächshäusern. Eines davon ist mit LED-Leuchten ausgestattet, sodass die Früchte völlig unabhängig von der Jahreszeit herangezogen werden können. Bestäubt werden die Pflanzen von Hummeln, die eigens für diesen Zweck in den Gebäuden herumschwirren.