Eintracht im Bundestag: Bundeskanzlerin Angela Merkel, der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel (re.) im Bundestag in Berlin Foto: dpa

Am Ende kommt es bei Schwarz-Rot auf Personen an – Merkel, Gabriel und Seehofer sind einen weiten Weg aufeinander zugegangen: Von Nachfolgedebatten, Sachpolitik und politischen Risiken

Berlin - Angela Merkel

Sie kennt das ja alles. Es ist schließlich schon ihre zweite Beziehung mit der Sozialdemokratie. Die kleinen Gesten, die man braucht, um Lockerheit zu schaffen, Vertrauen aufzubauen, Spannung abzubauen – Angela Merkel beherrscht den Knigge der Macht. Am Montag hat sie zum ersten Mal bei der SPD-Fraktion vorbeigeschaut. Sie saß auf dem Platz, auf dem einst Herbert Wehner gesessen hatte. Später Franz Müntefering. Harte Kost für eingefleischte Sozis. Da muss dann eine kleine Anekdote zur Auflockerung her.

Also erzählt sie, wie sie vor vielen Jahren Müntefering gebeten habe, ein Gespräch mit Andrea Nahles führen zu können. Sie wolle mal etwas mehr über die Jusos erfahren. Müntefering habe abgeblockt. Heute könne sie Frau Ministerin Nahles ja jederzeit ansprechen. „Aber ob ich da noch etwas über die Jusos lernen kann, weiß ich nicht.“ Die Fraktion lacht. Ziel erreicht.

Das Ziel erreicht: Das hat sie in jeder Hinsicht. Wie viel Planung in dieser dritten Kanzlerschaft steckt, wird dieser Tage deutlich. Es begann mit dem inhaltsarmen Wahlkampf. Das reichte, weil ihre Persönlichkeit das beste Argument war. Das musste sein, weil die Union für viele mögliche Partner bereitstehen musste. Was nur ein weiterer Hinweis darauf ist, dass Merkel früh mit dem Aus der FDP gerechnet haben dürfte.

Dann die Sondierungen mit den Grünen. Sie sollten nicht zu einer Koalition führen. Merkel wollte vom Wahlabend an ein Bündnis mit der SPD. Nicht aus Liebe – aus Kalkül. Ein Blick auf die Machtverhältnisse im Bundesrat machte klar, dass gegen die Genossen nicht regiert werden kann. Dennoch waren die Gespräche mit den Grünen mehr als eine Schau. Merkel behandelte die Ökopartei respektvoll, baute Vorurteile ab – und eröffnete eine Zukunft. Ganz nebenbei erschwerte sie so den Rückweg der Grünen zu rot-rot-grünen Träumereien.

Zum Schluss die Verhandlungen mit der SPD. Dabei leitete Merkel eine Maxime: Die Sozialdemokraten können nur zu einem verlässlichen Partner werden, wenn sie das ungeliebte Bündnis ohne Minderwertigkeitsgefühl eingingen. Also musste man ihnen auf breiter Front entgegenkommen. Ein Problem? Nicht für Merkel. Sie opferte viel: Die Familienpolitik ist wieder in SPD-Hand, die Migrationsministerin ist eine rote Deutschtürkin. Beides Themen, von denen es in der Union heißt, hier müsse die CDU dringend weiter an Boden gewinnen. Auch die Kapitel Arbeitsmarkt und Sozialpolitik des Koalitionsvertrags sind mit roter Tinte geschrieben. Nur einmal setzte Merkel ein Stoppzeichen – als Unionsfraktionschef Volker Kauder mit ihrer ausdrücklichen Prokura verkünden ließ: keine Steuererhöhungen.

Eine große Mehrheit der Bundesbürger gibt wenig auf die Zusage. 71 Prozent meinen laut einer aktuellen Umfrage, dass während der Zeit der Großen Koalition bis 2017 doch an der Steuerschraube gedreht wird.

Die Kritik der eigenen Partei glaubt Merkel aushalten zu können. Interessant, dass sie den Jungen mit der Auswahl des neuen Generalsekretärs Peter Tauber entgegenkam. Der Wirtschaftsflügel dagegen fühlt sich von der Kanzlerin ziemlich im Stich gelassen. Einige der Gegenstimmen aus der Koalition mögen am Dienstag daraus resultieren. Kann das gutgehen? Sicher. Die Union stützt ihre Kanzler, stürzt sie nie.

Deshalb ist Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die an ihrem neuen Arbeitsplatz mit militärischen Ehren empfangen wurde, ungefährlich für Merkel – auch wenn Nachfolgedebatten zum Hintergrundrauschen der Wahlperiode gehören werden. Uninteressant. Es kommt darauf an, reibungslos zu regieren. Merkel hat den Aufstieg Gabriels zum Superminister zugelassen. Sie ist sogar ehrlich gewillt, die Energiewende, für die er zuständig ist, nicht scheitern zu lassen – schließlich wäre ein Scheitern auch ihr Problem. Sie hat den beschleunigten Atomausstieg eingeleitet. Sie weiß, eine erfolgreiche Koalition gereicht letztlich immer der Chefin zu Ruhm und Stimmen. Was ihr wichtig ist: Wolfgang Schäuble achtet auf die Finanzen, und niemand redet ihr in Europa hinein.

Sigmar Gabriel

Der SPD-Chef ist einen weiten Weg gegangen. Den weitesten der Spitzentroika der Großen Koalition. Man muss nicht daran erinnern, dass er nach seinem kläglichen Scheitern als niedersächsischer Ministerpräsident bereits aus der Politik ausgeschieden war, sein Glück als Unternehmensberater suchte und nicht fand. Auch die jüngste Vergangenheit war nicht angenehm für Gabriel. Im Wahlkampf fuhr er mehr als einmal dem Kandidaten Peer Steinbrück mit unglücklichen Vorstößen in die Parade. Nicht, dass er damit den Grund für das schwache Wahlresultat geliefert hätte. Das meiste hat sich Steinbrück selbst verdorben. Aber noch am Wahlabend wollten die Putschgerüchte gegen den Vorsitzenden nicht verstummen.

Aber auch das hat Gabriel mit SPD-Altkanzler Gerhard Schröder gemein: Mit dem Rücken zur Wand ist er am stärksten. „Seit der Wahl hat er keinen Fehler gemacht“, lobt ihn ein alter parteiinterner Gegner. Das stimmt zweifellos. Zunächst analysierte Gabriel richtig, dass die behagliche Opposition für die SPD keine Alternative sein konnte. Dann organisierte er den ganzen Prozess bis zum Regierungseintritt. Bestens. Das fing mit dem Parteikonvent an, der die SPD-Mindestbedingungen für die Koalitionsgespräche festlegte. Dann wurde gut verhandelt. Sehr gut. Und dann gelingen Gabriel viele kämpferische Auftritte an der Basis und eine glänzende Parteitagsrede. Am Ende kann er mit viel Wasser in den Augen ein überzeugendes Ergebnis verkünden.

Und dieses Spiel auf Risiko geht weiter. Gabriel wählte ein um die Energiepolitik aufgewertetes Wirtschaftsministerium. Warum? Weil er den Verlust der Wirtschaftskompetenz als einen der Hauptgründe ansieht, warum die SPD keine überzeugenden Wahlergebnisse im Bund mehr einfährt. Das will er ändern. Kann das gelingen, wenn er die Energiewende zum Erfolg führt? Derzeit zählen ihm alle eher die Risiken seines Vorhabens auf: die EU, die auf restriktivere Vorgaben bei der Förderung der erneuerbaren Energien dringt; das konservative Ministerium, das sich weder über einen SPD-Minister noch über die neuen Kollegen aus dem alten Umweltressort freut; die Länderinteressen, die er bündeln muss, schließlich hat Schwarz-Rot keine eigene Bundestagsmehrheit. Findet er da keine überzeugende Strategie, falls die Verbraucherpreise steigen, ist ohnehin alles aus.

Immerhin hat er in der SPD nun eine stabile Machtbasis. Auf seinen niedersächsischen Weggefährten Thomas Oppermann, den neuen Fraktionschef, kann er sich blind verlassen. Mehr als auf Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, der ihm misstraute, nun aber mit der Außenpolitik beschäftigt sein wird. So beschäftigt wie Nahles im Arbeitsressort. Und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat sich als künftige Kanzlerkandidatin und als Machtfaktor selbst aus dem Spiel genommen. In einem geschickten Schachzug holte er sich zudem den erfahrenen Rainer Baake als Staatssekretär ins Ministerium. Der ist nicht nur langjähriger Experte, sondern als Grüner auch ein passender Ansprechpartner für störrische rot-grüne Landesregierungen.

„Nur der Dicke kann Kanzler“, hat Schröder über Gabriel gesagt. Jedenfalls will er es. Schafft das Unruhe in der Koalition? Eher im Gegenteil. Soll Gabriels Karriereleiter noch höher hinausführen, muss er Kontinuität und Solidität ausstrahlen. Im Klartext: vier Jahre erfolgreiche Sachpolitik. Das will Merkel auch. Keine schlechte Grundlage.

Horst Seehofer

Der CSU-Chef hat schon so viele Aufstiege und Abstürze miterlebt, dass er die gegenwärtige Situation mit einem entspannten Lächeln verfolgen kann. Er hat in Bayern die absolute Mehrheit für seine CSU zurückerobert. Das ist eine Machtbasis, die ihn Konjunkturschwankungen beim bajuwarischen Einfluss in Berlin locker aushalten lässt. Denn der ist gefühlt zurzeit eher gering. Große Koalitionen verringen immer die bundespolitische Macht der Bayern. Das hat auch diese Regierungsbildung deutlich gemacht. Die Kanzlerin hat der SPD jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Die CSU hat dagegen einen „Downgrade“ mitgemacht, wie Grünen-Chef Cem Özdemir genüsslich anmerkt. Bisher hatten die Bayern zwar auch nur drei Minister, im neuen Kabinett haben sie aber das respektable Innenministerium verloren und als Trostpreis das Entwicklungsministerium bekommen, das im Prestige-Ranking hinterste Ränge belegt.

Seehofer verteidigt tapfer die Ergebnisse der Kabinettsbildung. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus. Die Kanzlerin hat genau beobachtet, dass Seehofer mit seinem brachialen Beharren bei der Pkw-Maut nicht nur im bayerischen Landtagswahlkampf punktete, sondern auch die Koalitionsverhandlungen im Bund belastete. Hatte sich Merkel im TV-Duell mit Peer Steinbrück nicht klar gegen die Maut ausgesprochen? Insofern darf man das Herunterzoomen des CSU-Einflusses in Berlin als Retourkutsche der Kanzlerin werten. Wie gesagt, Seehofer kann darüber schmunzeln. Er weiß: Der bayerische Faktor in der Bundespolitik hängt an ihm persönlich, egal wer da für die CSU am Kabinettstisch sitzt.