Die britische Premierministerin May zu Besuch in Indien. Sie hofft, dass es nach dem Brexit einfacher wird, Verträge mit dem schnell wachsenden Markt zu schließen. Foto: AFP

Welches Verhältnis wird Großbritannien nach dem Brexit zur EU haben? Für die Wirtschaft ist das eine zentrale Frage. Die Investoren haben eine klare Präferenz.

London - Schweiz oder Norwegen? Das ist eine der zentralen britischen Brexit-Fragen. Für die meisten Investoren besteht kein Zweifel: sie wollen, dass sich Großbritannien bei den Verhandlungen über den Austritt aus der Europäischen Union am eidgenössischen Vorbild orientiert. Das ergibt eine aktuelle Umfrage von FTI Consulting unter 154 globalen institutionellen Investoren, die zusammen über mehr als zehn Billionen Dollar an Vermögenswerten verfügen. Ihre größte Sorge ist der Verlust der Handelsprivilegien, die sie bis jetzt in der Londoner City genossen haben. „Welche Art von Handelsbestimmungen zwischen Großbritannien und dem Rest der Welt bestehen werden, ist die Eine-Billion-Pfund-Frage“, betont Louise Harvey, Vorsitzende von FTI Consulting Brussels, und verweist somit auf das jährliche Handelsvolumen des Vereinigten Königreichs.

Hoffen auf das Schweizer Modell

Über die Hälfte der befragten Firmen hoffen auf ein Abkommen nach Schweizer Vorbild. Das heißt, dass für jedes Vertragskapitel ein extra bilaterales Abkommen zwischen London und Brüssel geschlossen werden müsste. Bern musste über 100 solcher zwischenstaatlichen Übereinkommen abschließen, um Zugang zum EU-Mark zu erhalten und die Zusammenarbeit mit gemeinschaftlichen Agenturen wie Europol zu sichern. Das war eine sehr langwierige Angelegenheit, allein die ersten großen Handelsgespräche dauerten acht Jahre. So viel Zeit wird Großbritannien allerdings nicht bleiben. London wird nur zwei Jahre Zeit haben, ein EU-Abkommen zu erreichen, nachdem es mit Artikel 50 den Austrittprozess endgültig eingeläutet haben wird.

Norwegen ist aus dem Rennen

Die Brexit-Befürworter warben vor dem Referendum stets für Beziehungen nach norwegischem Vorbild. Das skandinavische Land ist Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und damit weit in die EU-Strukturen integriert. Durch den EWR nimmt Norwegen am Europäischen Binnenmarkt teil. Das Land ist auf der anderen Seite allerdings auch verpflichtet, in diesem Bereich alle von der EU festgelegten Bestimmungen (Acquis communautaire) zu übernehmen. Der Nachteil: an der Festlegung der Regeln kann Norwegen nicht mitarbeiten, weil es kein EU-Mitglied ist. Diese „norwegische Variante“ des Brexit wird laut FTI-Umfrage von den Investoren allerdings eher abgelehnt. Nur 14 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus.

Große Sorge um die Privilegien

Fast 70 Prozent der Investoren machen sich allerdings Sorgen, dass Großbritannien seine lukrativen finanziellen Rechte des Europäischen Passes verlieren könnte. Der Europäische Pass gestattet es Firmen, die im EWR verzeichnet sind, Geschäfte in jedem anderen EWR-Land abzuwickeln, ohne eine Genehmigung der einzelnen Staaten einholen zu müssen. Für multinationale Unternehmen und ihre grenzüberschreitenden Geschäftsaktivitäten ist dieser Mechanismus von unschätzbarem Wert, da er Unmengen von Papierarbeit verhindert. Dass Großbritannien diese Rechte im Rahmen des EU-Austritts einbüßen könnte, ließ die Befürchtung aufkommen, Unternehmen und Banken würden sich lieber ans Festland halten und London somit seine Position als bedeutendes europäisches Finanzzentrum verlieren.

Louise Harvey betont, dass die Lösung der Handelsfragen im Hinblick auf den Brexit von zentraler Bedeutung beim Austritt ist. Wie viel auf dem Spiel steht, zeigen die nackten Zahlen. 2014 betrug das britische Handelsvolumen knapp eine Billion Pfund. Rund 50 Prozent davon gingen auf den Handel mit EU-Ländern zurück.

Rückschläge für die Regierung

Vor dem tatsächlichen Austritt aus der EU liegen für London aber noch sehr viele Unwägbarkeiten. Den ersten wirklich großen Rückschlag mussten die Brexit-Befürworter in diesen Tagen einstecken. Ein Gericht hatte entschieden, dass die britische Regierung den EU-Austritt des Landes nicht ohne Zustimmung des Parlaments erklären darf. Premierministerin Theresa May hielt das bisher nicht für notwendig.

Mit einigem Bangen dürfte die Regierungschefin die fast gescheiterten Ceta-Verhandlungen der EU mit Kanada verfolgt haben. Die kleine belgische Region der Wallonie hatte das Abkommen fast zu Fall gebracht. Spätestens dann dürfte Theresa May erkannt haben, dass Entscheidung über die zukünftigen britisch-europäischen Beziehungen nicht allein in den Händen des Vereinigten Königreiches liegt. Womöglich wird London keine andere Wahl haben, als sich mit dem zufrieden zu geben, was die EU am Ende der Verhandlungen anbietet.