Der Gasteig ist seit gut dreißig Jahren ein Markenzeichen für München. Schön ist er nicht. Foto: Gasteig München GmbH / Johannes Seyerlein

München bekommt nicht nur einen Konzertsaal und ein neues Volkstheater, es baut für eine halbe Milliarde Euro nun auch seine größte Kulturmaschine um: den Gasteig. Unter den Preisträgern ist das Stuttgarter Architektenbüro Wulf.

München - So schieben sich die Zeiten zusammen: In Bayreuth ist kürzlich das Markgräfliche Opernhaus wiedereröffnet worden. Gebaut zwischen 1744 und 1748, war dieser barockprächtige Theaterbau – wie man unschwer versteht – „in die Jahre gekommen“ und musste renoviert werden. In München braucht das Kulturzentrum Gasteig, gebaut zwischen 1978 und 1985, schon nach knapp vierzig Jahren eine Sanierung. Eine Überlebensprognose für die nächsten zwei Jahrhunderte erstellt dann immer noch keiner.

Wobei „brauchen“ und „haben wollen“ zwei Paar Stiefel sind. Gewiss: Es gibt heute schärfere Verordnungen zum Brandschutz; der Verschleiß an Bau und Einrichtung ist bei jährlich mehr als zwei Millionen Besuchern enorm, die Haus- und Medientechnik überholt. Beim Herzen des Gasteigs aber gehen die Meinungen der Fachleute extrem auseinander: Ist die Akustik im Großen Konzertsaal der Münchner Philharmoniker wirklich derart mies, dass an einem sündteuren Umbau kein Weg vorbeiführt? Oder ist die Rivalität der „weltbesten“ Klassik-Spielstätten heute so scharf, dass man Verbesserungen noch bis in den äußersten Promillebereich auszureizen versucht? Und schließlich: die Rivalität in den eigenen Mauern. München bekommt demnächst ja auch, vom Freistaat Bayern finanziert, einen ganz neuen, zumindest äußerlich atemberaubenden Konzertsaal. Da will die Stadt mit ihrem Gasteig nicht auf den zweiten Rang zurückfallen.

Wo die Kultur brummt

Der Gasteig ist eine Kultur- und Bildungsmaschine. Die größte ihrer Art in Europa, muss man sagen, weil den Münchnern nicht wohl ist, wenn sie eine ihrer Errungenschaften mal nicht im Superlativ präsentieren können. Im Gasteig sind neben den Münchner Philharmonikern (unter dem Stardirigent Valery Gergiev) die Stadtbibliothek und die Volkshochschule beheimatet; auch die Musikhochschule hat hier einen Standort. Konzerte, Ballett, Vorträge, Kurse, Tagungen gibt es von morgens bis nachts in mehreren Schichten, und die städtische Betreibergesellschaft kann sich vor weiteren Anfragen schier nicht retten. Der Laden funktioniert nicht nur. Er brummt.

Gleichwohl: Geliebt hat den Gasteig noch nie jemand. Der massige Backsteinklotz über der Isar ist keine Augenweide; der neueste Münchner Architekturführer übergeht ihn mit Schweigen. Nun aber soll alles besser werden: Der Wettbewerb zur 450 Millionen Euro schweren Sanierung und zum Umbau des Hauses ist in seiner ersten Stufe entschieden. Mit den drei Architektenbüros, denen die Jury „gleichwertige“ Preise zuerkannt hat, will die Stadt nun drei Monate weiterverhandeln; im Herbst soll der Sieger ausgerufen werden.

Die Preisträger sind das Stuttgarter Architektenbüro Wulf sowie die Münchner Büros Auer/Weber und Henn, dazu die jeweils angeschlossenen Landschaftsarchitekten. Eine Idee ist den Konsortien gemeinsam: Alle drei wollen die abweisende Klinkerfestung mit viel Glas zur Stadt- und Sichtseite hin aufbrechen. Auer/Weber und Henn schneiden riesige Galerie-Bänder horizontal in die Kulturfestung; Wulf gliedert Glas und Klinker vertikal und rundet den Bau – wodurch das Erscheinungsbild irgendwo zwischen Kolosseum und Gasometer zu liegen kommt, und oben ist alles bewehrt mit Zinnen. Eher kronenartig gezackt soll der Gasteig nach Auer/Weber künftig gen Himmel ragen und unten mit einer Freitreppe an die Isar angebunden werden – so weit das Äußere. Die innere Umgestaltung, die neue Aufteilung der Säle und gar die akustische Ertüchtigung des mit etwa 2400 Plätzen in seiner Größe unveränderten Konzertsaals – das alles ist noch eine ganz andere Sache.

Eine Arche für die Musik

In zwei Jahren sollen die Baufirmen anrücken – sofern angesichts der gigantischen Münchner Bau-Manie überhaupt noch welche frei sind. Fünf Jahre werden sie für den „neuen“ städtischen Gasteig brauchen, während gleichzeitig der Freistaat Bayern hinter dem Ostbahnhof seinen eigenen, rundum verglasten Konzertsaal hochziehen will. Und wo bleiben die heutigen Nutzer des Gasteigs während der Bauzeit? Sie ziehen um auf das Gelände des ehemaligen Heizkraftwerks Süd, etwa dreieinhalb Kilometer flussaufwärts, am anderen Ufer der Isar. In starker „Nachverdichtung“ – ein Gesamtmünchner Programm dieser Jahre – sollen dort sechsstöckige Gebäude für Stadtbibliothek und Volkshochschule entstehen. Und die Philharmoniker bekommen ein Konzerthaus mit 1800 Plätzen in Holzbauweise. Für die Interimsbauten hat der Münchner Stadtrat (fürs Erste) gut neunzig Millionen Euro genehmigt. Womöglich kommt man aber billiger davon. Der Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner, vormals Intendant des Gärtnerplatztheaters, also erfahren in Großsanierungen, rechnet nämlich damit, die musikalische Arche nach der Münchner Nutzung weiterverkaufen zu können.

Jetzt muss die Isar-Metropole nur vom teuren Hamburger „Elphi“-Syndrom verschont bleiben. Zwar sind die Skeptiker im Augenblick leiser geworden, aber es gibt immer noch Leute, die das „Worst-Case-Szenario“ befürchten: die Erkenntnis im Lauf der Baumaßnahmen, dass eine so gewaltige Umgestaltung des Gasteigs ohne einen Totalabriss nicht geht. Die dann drohende Kostenexplosion mag sich keiner vorstellen.