Herbert Grönemeyer bei der CD-Präsentation im Grill Royal in Berlin Foto: Stefan Höderath

An diesem Freitag erscheint „Dauernd jetzt“, das neue Album von Herbert Grönemeyer. Vorab hat er die Platte in einem Berliner Szene-Steakhaus Journalisten und Promis vorgespielt.

Berlin - Er wäre ja lieber ein Arthur geworden. „Arthur Grönemeyer“, lässt er es auf der Zunge zergehen, „der Name hätte mir besser gestanden.“ Davon, dass daraus nichts wurde, lässt sich Herbert Grönemeyer an diesem Abend jedoch nicht die Stimmung trüben. Grundsympathisch, hervorragend gelaunt und trotz allen Superberühmtseins irgendwie immer noch Ruhrpott-kumpelhaft genug wirkend, um sofort mit ihm drei Bier trinken gehen zu wollen, präsentiert der Auch-schon-58-Jährige sein neues Album „Dauernd jetzt“. Es ist das 14. Studioalbum (gar das 18., wenn man die englischsprachigen Veröffentlichungen mitzählt), und es ist nicht sein schlechtestes.

Veranstaltungen wie diese sind rar geworden. Die Plattenfirma, deren Chef Frank Briegmann Grönemeyer in seiner Begrüßungsrede als „Deutschlands größten Künstler“ bezeichnet, hat das komplette Grill Royal gemietet, jenes Szene-Steakhaus in Berlin-Mitte mit hohem Wichtigtuer-Faktor. Promis wie Heike Makatsch oder Klaas Heufer-Umlauf sind gekommen, leitende Label-Angestellte und jede Menge Medienvertreter – wer will es sich in Zeiten knapper Budgets schon entgehen lassen, wenn ihm der Champagner direkt aus der Magnum-Flasche kredenzt wird?

Grönemeyer, der das Lokal unter kräftigem Beifall betritt, nachdem die Anwesenden einmal das komplette Album – die Luxusversion mit 16 Stücken – durchhören durften, hat Lust auf die Show, das merkt man ihm an. Er kommt in Jeans und Jackett, von Nahem wirkt der Kopf besonders groß auf dem untersetzten, vollschlanken Leib. Aufgeregt sei er, denn „Abende wie dieser haben für mich eine große Bedeutung“. Früher sei er da lockerer gewesen. Verkrampft wirkt er aber auch jetzt nicht. „Ich gelte ja aufgrund meiner Texte als extrem feinfühlig“, behauptet er und erzählt, wie er einmal schwer verkatert in Österreich von drei Journalistinnen interviewt wurde, die ihn morgens auf nüchternen Magen einen „Frauenversteher“ nannten.

"Oh oh oh" - klingt, wie es seit 35 Jahren klingt

Seit zweieinhalb Jahren lebt Herbert Grönemeyer wieder in einer Beziehung, er sei sehr glücklich, verriet er in einem Interview. Überraschend ist es also nicht, dass er der Liebe viel Raum gibt auf „Dauernd jetzt“. „Fang mich an“, eine spärlich instrumentierte Fast-Ballade mit Zeilen wie „Wie du streunst, dich verläufst, Tag und Nacht vermischst / Wie du in mein Meer stichst, geflissentlich, alles für mich“ dürfte ebenso von der neuen Partnerin inspiriert sein wie das elegante, von der akustischen Gitarre geprägte Stück „Ich lieb mich durch“. „Oh oh oh, ich lieb mich durch zu dir“, singt Grönemeyer, und das „Oh oh oh“ klingt dabei exakt so, wie es seit 35 Jahren bei ihm klingt.

„Erklär dir zum tausendsten Mal, wie sehr glücklich du mich machst“: Kein Zweifel, die Liebe ist zurück im Leben des Mannes, dessen Schicksal so bewegte – 1998 starben binnen weniger Tage sein Bruder und seine Frau Anna Henkel (die Mutter seiner inzwischen erwachsenen Kinder Marie und Felix) an Krebs, aus der Trauer entstand das Album „Mensch“, das sich in Deutschland 3,7 Millionen Mal und damit so oft wie kein anderes in der Chartgeschichte verkaufte.

Wie immer spürt der Musiker, der seit dem vor 30 Jahren erschienenen „4630 Bochum“ sämtliche Alben auf Platz eins setzte, den Befindlichkeiten der Deutschen nach. „Der Löw“ zum Beispiel, gemeint ist Jogi, ist der Song zum WM-Titel. „Ich habe mich tierisch gefreut“, so Grönemeyer, der ja schon 2006 mit „Zeit, dass sich was dreht“ WM-Erfahrung sammelte. „Aus dem Euphoriegefühl nach dem Brasilien-Halbfinale schrieb ich einen Text mit allen 23 Namen drin, nach dem Finale fand ich den aber peinlich und schrieb ihn um.“ Dass die Lyrik dieser Vierter-Stern-Mitgröl-Rockhymne gleichwohl plakativ ausfällt („Das Leben, das geht steil“/ „Es war der Moment der Ewigkeit“), bringt das Sujet offenbar mit sich.

Oft überschätze man seine Texte ja sowieso, sagt Grönemeyer, der das neue Album wieder mit Stammproduzent Alex Silva überwiegend in Berlin aufnahm und dort fast das ganze letzte Jahr verbrachte, während er sich an seinem eigentlichen Hauptwohnsitz London nur selten habe blicken lassen. „Man muss aufhören, jedem meiner Worte eine Bedeutung zu geben. Manchmal steht so ein Wort nur da, weil dort vorher eine Lücke war.“ Immerhin gibt es für alle, die auch diesmal wieder von seinen manchmal raugepressten Zeilen genervt sind, ein hübsches, elektronisches Instrumentalstück. „Annäherung“ heißt es und entstand ursprünglich für den Soundtrack von Anton Corbijns Kinofilm „A Most Wanted Man“, in dem Grönemeyer, der „gerne wieder einen Film drehen“ würde, „weil ich auch optisch sehr stark wirke“, eine kleine Rolle hat.

Badehosenfotos bei Facebook? Verboten!

Auf zwei Liedern verlässt Herbert Grönemeyer die persönlich-befindliche Ebene und begibt sich mitten ins gesellschaftlich-soziale Getümmel. „Uniform“ ist eine Art Kampflied gegen die Entblößungsgeilheit im Internet. „Erst der Mythos macht den Menschen schön“, glaubt er und befürchtet, dass Macher in den Internetfirmen „machtwahnsinnig werden, obwohl sie wie entspannte Nerds wirken“. Grönemeyer selbst sei weder bei Facebook noch sonstwo und verbiete seinen Kindern, „dass sie Badehosenfotos von mir posten“. An seiner Wut über die iTunes-Aktion seines Freundes Bono hält er fest. „Man darf Musik nicht verschleudern, sondern muss deutlich machen, dass sie einen Wert hat.“

Für den meisten Gesprächsstoff sorgt, auch im Grill Royal, das Lied „Unser Land“. Grönemeyers kritische Uptempo-Liebeserklärung an Deutschland endet nach einigem verbalen Hin und Her zwischen „Wir verlieren uns in Gleichgültigkeit“, „Wer gehört schon gerne an den Rand“ oder „Die wahre Tücke steckt im Detail“ mit dem versöhnlichen Fazit „Es ist schon auch leicht, hier zu sein. Trotz Friede, Freude, Selbstzufriedenheit. Es bleibt Liebe auf den zweiten Blick. Auf nach vorn, schau auch zurück.“

„Wir sind als Land jetzt 25 Jahre alt und aus der Pubertät raus“, sagt Grönemeyer, „wir müssen uns der Beziehung zu unserem Land mit all seinen Ecken und Macken stellen.“ Eine Art Ruck-Song zum silbernen Einheitsjubiläum also, wobei die junge Generation eh schon weiter sei. „Die denken alle schon total europäisch“, hat er beobachtet.

Der Hit auf „Dauernd jetzt“? Eher nicht „Morgen“, die recht ruhige, erste Single, auch wenn sie innig ist und erneut der Liebe huldigt. Vielleicht „Verloren“, eine traurige Ballade im Elton-John-Stil, auf der Grönemeyer mit besonders tiefer Stimme singt. Eventuell auch „Einverstanden“, ein griffiger Positive-Gefühle-Song, der von Ruhrgebiets-Genossin Annette Humpe geschrieben wurde.

Am prägnantesten jedoch ist „Wunderbare Leere“, das Quasi-Titelstück und eine der wenigen offensiven Nummern einer von verhaltenen, eher tempoarmen und introvertierten Songs bestimmten Platte. „Wunderbare Leere“ rockt, man will es nicht anders ausdrücken. Plötzlich sieht man das Stadion vor sich, wie es ausflippt zu Sätzen wie „Heute mache ich mir keine Sorgen, ich fass sie morgen wieder an“. „Der Inhalt entspricht meinem Lebensgefühl“, sagt Grönemeyer. „Ich war sehr zum Leidwesen meiner Eltern nie der Mensch, der einen Plan hatte. Ich kann wunderbar müßig gehen und unheimlich gut rumsitzen. Meine Art zu leben ist es, den Moment zu genießen und das Glück einfach mal dauern zu lassen.“

Und so endet der Frage-und-Antwort-Teil versöhnlich. Herbert Grönemeyer, so viel steht nun fest, geht es ausgezeichnet, die deutsche Seele ist aufgeräumt, glücklich, im Lot. Er selbst drückt es anders aus, grönemeyerischer: „Ich schaffe es, zwischendurch zu denken: Du bist ganz in Ordnung.“

Oder anders: Ein Herbert zu sein ist auch nicht schlecht.

Herbert Grönemeyers neues Album „Dauernd jetzt“ (Grönland/ Universal) erscheint am 21. November. Am 18. Mai 2015 tritt Grönemeyer in Stuttgart in der Schleyerhalle auf. Es gibt noch Eintrittskarten unter 07 11 / 2 55 55 55 oder www.easyticket.de.