Dr. Markus Heinemann im Gespräch mit einer Patientin Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Hausärzte und Kliniken kommen momentan an ihre Grenzen. Nachdem die Grippe in diesem Jahr besonders früh über Stuttgart hereingebrochen ist, treibt nun auch noch das Norovirus mit Brechdurchfall-Erkrankungen sein Unwesen. Eine Besserung ist in den nächsten Wochen nicht in Sicht.

Stuttgart - Der Spender mit Desinfektionsmittel im Vorraum der Rotebühlpraxis von Markus Heinemann wird momentan stark beansprucht. Der Arzt selbst drückt allein schon 50 bis 60 Mal am Tag auf den Spender: „Ich rate allen Patienten, sich mehrmals am Tag mit einer gegen Viren wirksamen Lösung die Hände zu desinfizieren“, sagt er. Momentan ist seine Praxis in der Rotebühlstraße mit hustenden und schniefenden Patienten überfüllt. Die Grippewelle hat Stuttgart dieses Jahr besonders früh und besonders heftig getroffen.

Bei den neuen Grippekranken in Baden-Württemberg sind in der vergangenen Woche nach Angaben des Landesgesundheitsamtes vom Montag bei 1371 Personen Influenzaviren nachgewiesen worden. Dies sind fast 300 Fälle mehr als noch in der Woche zuvor. Damit steigt die Zahl der Infektionen seit Jahresbeginn auf insgesamt 3686 an.

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Die wöchentlichen Infektionszahlen bei den klassischen Grippekranken liegen bereits höher als bei der Grippewelle vor zwei Jahren: Im Winter 2013 wurden nach Angaben des Robert Koch-Institutes (RKI) bis zu 1038 Menschen pro Woche positiv auf Influenzaviren getestet. Von Anfang Januar bis Mitte Februar waren es damals insgesamt 2385 Menschen gewesen.

„Die Grippewelle steigt normalerweise rasant während der Faschingszeit“, sagt Heinemann. Doch dieses Jahr haben die Grippe-Patienten bereits zwei Wochen vorher seine Praxis gestürmt. „Wir müssen damit rechnen, dass es zu mehr Todesfällen durch die Influenza kommt, als im vergangenen Jahr“, warnt er. Gefährdet seien Menschen mit Vorerkrankungen oder Ältere.

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Auch in den Krankenhäusern des Klinikums Stuttgart kämpft man mit dem erhöhten Patientenaufkommen durch die Grippe. „Wir sind erheblich belastet und geraten an Kapazitätsgrenzen“, sagt Prof. Jürgen Graf, Klinischer Direktor am Klinikum Stuttgart. Auch beim eigenen Personal habe es viele Ausfälle gegeben. In der Notaufnahme werde zwar kein Patient abgewiesen, doch das Klinikum habe die Patienten teilweise zwischen Katharinenhospital, Bürgerhospital und dem Krankenhaus Bad Cannstatt umverteilen müssen, um jedem ein Bett anbieten zu können.

Doch nicht nur die Grippe – auch das Norovirus treibt in Stuttgart momentan sein Unwesen. Seit Jahresbeginn meldeten die Behörden 160 Magen-Darm-Erkrankungen durch das Norovirus. „Erkrankungen durch das Norovirus haben im letzten Jahrzehnt zugenommen“, sagt Heinemann. In diesem Jahr kann er allerdings keine ungewöhnliche Häufigkeit der Brechdurchfall-Erkrankung feststellen.

Dr. Markus Klett, Vorsitzender der Ärzteschaft Stuttgart, kann den Andrang in seiner Praxis in Bad Cannstatt kaum bewältigen. „In diesem Jahr sind die Patienten massenhaft an Grippe erkrankt“, sagt er. Im Vergleich zu den vergangenen Jahr behandle er viel mehr Fälle. Bei einigen besonders bedauernswerten Patienten würde zu dem Fieber noch ein Magen-Darm-Virus hinzukommen. Dass er an seine Kapazitätsgrenzen kommt, liegt seiner Meinung nach auch an dem Mangel an Hausärzten, der Stuttgart und die Region bereits erreicht hat und sich in den kommenden Jahren noch schlimmer bemerkbar machen wird. „Bei solchen Erkrankungswellen bekommen wir deutlich zu spüren, dass nicht mehr genügend Allgemeinmediziner zur Verfügung stehen“, sagt der Arzt, der seit 30 Jahren seine Praxis betreibt und mit Sorge die aktuellen Entwicklungen betrachtet. Die wenigsten jungen Ärzte wollen, so wie er, zwölf bis 14 Stunden am Tag arbeiten, wenn mal wieder eine Grippewelle die Hausarztpraxen und Kliniken überflutet. Muss er dann auch noch wie jetzt in den Faschingsferien Urlaubsvertretungen von Kollegen übernehmen, kommt der Arzt an die Grenze seiner Belastbarkeit.

In den kommenden Wochen ist allerdings noch keine Besserung in Sicht. Experten rechnen weiterhin mit vielen Krankheitsfällen. Schuld an dem heftigen Grippeausbruch kann laut Klett die Variation eines Viren-Stamms sein, der sich erst in den letzten Monaten verändert hat. „Damit ist der Impfstoff nicht mehr so wirksam gewesen“, sagt Klett. Dennoch empfiehlt er seinen Patienten, sich gegen Grippe impfen zu lassen.