Ausgezeichnet: Iris Berben als „Hanne“ Foto: NDR/Volker Roloff

Selten dürfte es in der bald 60-jährigen Geschichte des Grimme-Preises vorgekommen sein, dass die Auswahl der Preisträger so starke aktuelle Bezüge aufweist. Das Thema Flucht nach Europa zum Beispiel prägt gleich drei der prämierten Produktionen in drei verschiedenen Kategorien.

Stuttgart - Selten dürfte es in der bald 60-jährigen Geschichte des Grimme-Preises vorgekommen sein, dass die Auswahl der Preisträger so starke aktuelle Bezüge aufweist. Das Thema Flucht nach Europa zum Beispiel prägt gleich drei der prämierten Produktionen in drei verschiedenen Kategorien. Am Dienstag gab das Grimme-Institut die Preisträger bekannt. Vergeben werden die 17 Auszeichnungen in vier Kategorien am 27. März in Marl, wo das Institut seinen Sitz hat.

Ein Spezialpreis „für das Konzept einer europäischen Erzählung“ geht zum Beispiel in der Kategorie Fiktion an die Serie „Eden“. Gleich zum Auftakt der deutsch-französischen Koproduktion wird eine Familie aus Deutschland beim Urlaub auf einer griechischen Insel mit dem Thema Flucht konfrontiert: Ein Boot mit Flüchtenden kommt am Strand an, wo die Touristen gerade ihr Eis schlecken. Die Betreiberin eines Flüchtlingscamps sowie zwei Wachleute gehören zu den Protagonisten von „Eden“, und Headautor Constantin Lieb und Regisseur Dominik Moll hätten während der Arbeit wohl kaum vermutet, dass gerade diese Aspekte sich noch Jahre später als hochaktuell erweisen werden.

Film über die SeaWatch3 unter den Siegern

Dank großen Reporterglücks hatten die NDR-Autoren Nadia Kailouli und Jonas Schreijäg exklusiven Zugang zu einer Geschichte rund um das Thema Flucht. Sie bekommen einen Preis für den Dokumentarfilm „SeaWatch3“, der jene Mission des privaten Seenotrettungsschiff rekapituliert, an deren Ende im vergangenen Sommer die Konfrontation zwischen Kapitänin Carola Rackete und dem damaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini stand. Als Rackete und ihre Besatzung tagelang vergeblich auf Unterstützung einer europäischen Regierung warteten, da waren Kailouli und Schreijäg die einzigen Journalisten auf dem Schiff.

Das Thema Seenotrettung findet auch in der Kategorie Unterhaltung Niederschlag. Einen Preis erhält hier „Joko & Klaas Live – 15 Minuten“. Die beiden Macher, die nach Recherchen des NDR wegen des fragwürdigen Einsatzes von Schauspielern in einer anderen Sendung („Late Night Berlin“) gerade in der Kritik stehen, stellten im vergangenen Jahr die bei der Spiel-Show „Joko und Klaas gegen Pro Sieben“ gewonnenen 15 Minuten drei Menschen zur Verfügung, „die Themen mitbringen, die so’n bisschen mehr Aufmerksamkeit verdient haben“.

Preise für Umgang mit Rechtsextremismus

Die prämierte erste Folge von „Joko & Klaas Live – 15 Minuten“ lieferte den berührendsten TV-Moment 2019: Pia Klemp erzählt von einer Mission als Kapitänin des Rettungsschiffs Iuventa: „Tagelang fuhr ich mit einem toten zweijährigen Jungen in der Tiefkühltruhe in internationalen Gewässern auf und ab, weil kein europäisches Land ihn retten wollte, als es noch möglich war, und sie uns dann einen sicheren Hafen verwehrten.“ Sie habe sich damals gefragt, was sie der Mutter, die ebenfalls an Bord war, „über den Friedensnobelpreisträger EU“ sagen solle.

Punktgenau in die Zeit passt auch die Auszeichnung für das ARD-Politikmagazin „Monitor“ in der Rubrik Besondere journalistische Leistung. Die WDR-Sendung wird für ihre „kontinuierliche und haltungsstarke Berichterstattung über Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus“ prämiert. Stellvertretend für das „Monitor“-Team bekommt den Preis Redaktionsleiter und Moderator Georg Restle, der, so die Jury, „in seinen Kommentaren eine klare Haltung zeigt und verdeutlicht, dass die Bedrohung für die Demokratie, die Freiheit und die Menschenrechte real und gefährlich ist, der dennoch nie Panik macht“. Er nutzte die Pressekonferenz zur Preisverleihung auch gleich, um darauf hinzuweisen, dass es angesichts der gesellschaftlichen Lage an der Zeit sei, die 2005 um 15 Minuten Sendezeit gekürzten Politikmagazine der ARD wieder auf 45 Minuten zu verlängern.

Comeback für Dominik Graf

Während Jan Böhmermann, der schon fünf Grimme-Preise in der Kategorie Unterhaltung gewonnen hat, in diesem Jahr leer ausgeht, feiert der Rekordpreisträger Dominik Graf ein Comeback. Für den Film „Hanne“, in der Iris Berben ein Frau spielt, die bei einer Routineuntersuchung mit einem Leukämieverdacht konfrontiert wird, bekommt er seinen elften Grimme-Preis. Die Jury Fiktion hob die besondere Struktur des Films hervor: „Hanne“ ist durch Kapitelüberschriften gegliedert, die der Regisseur mit seiner markanten tiefen Stimme selbst vorliest. „Solche Experimentierfreude ist sehr selten geworden im Fernsehen.“