Ein Obdachloser in Athen – viele Griechen leiden unter der Sparpolitik. Foto: AP, Lg/Kovalenko

Bei den Hilfsprogrammen für die Griechen sei vieles falsch gelaufen, glaubt der griechische Botschafter in Deutschland, Theodoros Daskarolis. Er warnt zudem davor, die Flüchtlingskrise als beendet anzusehen.

Stuttgart - Bei den Hilfsprogrammen für die Griechen sei vieles falsch gelaufen, glaubt der griechische Botschafter in Deutschland, Theodoros Daskarolis. Er warnt zudem davor, die Flüchtlingskrise als beendet anzusehen.

Herr Botschafter, aus Sicht der Staaten im Norden Europas scheint die Flüchtlingskrise praktisch beendet. Die Grenzen sind zu, es kommen kaum mehr Menschen hier an. Ist das auch die Sicht von Griechenland?
Nein, das stellt sich in Griechenland völlig anders dar. Der Krieg in Syrien und die Krisen im Nahen Osten und in Libyen setzen sich fort. Zudem haben wir weiter große Schwierigkeiten in Afrika. Die Krise ist also nicht vorbei. Verändert hat sich aber, dass Europa sich entschieden hat, das Problem gesamteuropäisch anzugehen.
Zu dieser gesamteuropäischen Lösung gehört, dass die Flüchtlinge von Griechenland und Italien aus auf ganz Europa verteilt werden sollen. Das funktioniert aber nicht. Ungarn zum Beispiel weigert sich, Menschen aufzunehmen.
Die Verteilung ist ein großes Problem. Dennoch: Man hat endlich einen gesamteuropäischen Mechanismus erarbeitet. Nehmen wir das Abkommen mit der Türkei, das relativ gut funktioniert. Dadurch können die Flüchtlingsströme von der türkischen Küste in Richtung griechische Inseln reduziert werden. Zudem werden Wege erarbeitet, wie man die Ursachen der Flüchtlingskrise bekämpfen kann.
Kommen diese Abkommen und Aktionen nicht reichlich spät?
Das stimmt, es hätte früher reagiert werden müssen. Griechenland, Italien und Malta haben schon vor zehn Jahren die Partner in Europa darauf hingewiesen, dass diese Menschen nicht die Fahrt über das Mittelmeer wagen, um im Süden der EU zu bleiben. Leider hat sich zehn Jahre lang niemand um unsere Warnungen gekümmert.
Eine Krise mit Ansage?
So kann man das nennen. Wir hätten die Fluchtursachen schon lange bekämpfen können. Jetzt sind die finanziellen, die politischen und sozialen Kosten viel höher.
Griechenland steht noch vor einer anderen Herausforderung: der Schuldenkrise. Auch da hängt Athen vom Wohl und Wehe anderer EU-Länder ab.
Griechenland hat mit den Geldgebern einen Reformkurs vereinbart, und die aktuelle Regierung hat viel mehr Reformen durchgeführt als frühere Regierungen in Athen. Jetzt muss gelten: Pacta sunt servanda. Ich bin überzeugt, dass sich unsere Anstrengungen auszahlen werden.
Reformen heißt für die einfachen Menschen, dass sie immer tiefere Einschnitte hinnehmen müssen. Wie hält das Volk das aus?
Für die Menschen ist das sehr schwierig. Oft lebt eine ganze Familie von der staatlichen Rente etwa des Großvaters, die im Schnitt etwa 600 Euro beträgt. Im Fall der griechischen Hilfsprogramme ist vieles falsch gelaufen. Das haben inzwischen auch Ökonomen des IWF erkannt. Man muss den politischen Mut haben, diese Fehler zu korrigieren.
Sie meinen einen Schuldenschnitt?
Ich würde eher von einer Reduktion der Schulden sprechen. Ich weiß nicht, warum diese Sache in Deutschland so stark tabuisiert und dämonisiert ist. Man sollte sich daran erinnern, dass beim Londoner Abkommen im Jahr 1953 die Staaten Europas sehr großzügig zu Deutschland waren, was dessen eigene, nicht gerade geringe Schulden anbelangte – und das war der einzig richtige Weg. Denn die Bundesrepublik hat sehr schnell zu Wohlstand gefunden und hat sich auch politisch stabilisiert. Ich bin sicher, wenn Griechenland jetzt die Chance gegeben wird, steht das Land im Sommer 2018 wieder auf eigenen Beinen.
Im Moment wird vieles in grauen Farben gemalt. Welches sind die Lehren, die Europa aus diesen Krisen ziehen kann?
Wichtig ist es, innerhalb Europas wieder eine Balance finden. Der Brexit war für alle ein Schock, er ist aber auch eine Gelegenheit, sich weiterzuentwickeln. Man muss alarmiert sein, wenn Marine Le Pen in Frankreich elf Millionen Stimmen bekommt. Wir müssen Emmanuel Macron bei seinen angekündigten Reformen unterstützen. Schaffen werden wir all die Herausforderungen aber nur gemeinsam.
Momentan machen aber eher die politischen Kräfte von sich reden, die die Union auseinandertreiben.
Griechenland versucht, dem entgegenzuarbeiten. Wir wollen zeigen, dass ein Land auch in schwierigen Zeiten stabil bleiben kann: politisch, sozial und wirtschaftlich. Das ist nicht einfach. Wir leben in dem Bewusstsein, Europa gegenüber eine große Verantwortung zu haben. Griechenland befindet sich im Moment in einer Region der Instabilität. Wir versuchen aber, unsere Stabilität in umliegende Länder zu exportieren, damit sich auch dort etwas verändert.