Griechenlands neuer Finanzminister Yanis Varoufakis meidet Krawatten, gibt sich leger und fährt gerne Motorrad Foto: dpa

Ein linker Wirtschaftsprofessor mit internationalem Netzwerk steht an der Spitze des griechischen Finanzministeriums. Der Auftritt von Yanis Varoufakis provoziert. Auch im Ringen um eine Lösung der Schuldenkrise bekommen die Euro-Partner dies zu spüren.

Athen - Keine Krawatte, der Kragen seines Sakkos hochgestellt, Hände in den Hosentaschen: Yanis Varoufakis gilt in seinem Heimatland als „Popstar“ der Ökonomie. Sein Ego wird von Weggefährten als riesengroß beschrieben. Der linke Wirtschaftsprofessor habe eine scharfe Zunge und provoziere gern.

Yanis Varoufakis, 53, gebürtiger Athener – Vater früher Top-Manager in der griechischen Kupferindustrie, in zweiter Ehe verheiratet mit der Künstlerin und Galeristin Danai Stratou, die aus einer traditionsreichen Unternehmerfamilie stammt – verbrachte fast sein halbes Leben fern seiner Heimat. Ob England, Schottland, Belgien, Australien oder zuletzt Austin in Texas: der Wirtschaftsprofessor ist schon viel herumgekommen.

Schon früh wurde der kleine Yanis auf schulische Bestleistungen getrimmt. Er besuchte eine Privatschule in Athen, er hatte Privatunterricht zuhause. Sein Privatlehrer Petros Moralis wird später Minister mit den damals omnipotenten Pasok-Sozialisten, dessen Sohn Jannis Moralis ist heute Bürgermeister der Hafenstadt Piräus.

Vom Pasok-Gründer und Ex-Premier Andreas Papandreou, ebenso ein renommierter Ökonom, erhält er ein Referenzschreiben für seine Uni-Karriere in England. Da passt es ins Bild, dass Varoufakis bis heute enge Kontakte mit der Papandreou-Familie pflegt.

Vater wegen seiner linken Überzeugungen verhaftet

Schon dem Schüler Varoufakis, dessen Vater wegen seiner linken Überzeugungen in der Obristendiktatur in Griechenland verhaftet und auf eine kleine Insel verbannt worden war, imponierte der rasante Aufstieg der Pasok nach dem Fall der Junta in Athen. Doch ein „Apparatschik“ wurde er nie, weder in der Pasok, noch in irgendeiner anderen Partei. Auch dies gilt bis heute. Varoufakis widmete sich dafür mit Haut und Haaren der Wissenschaft, er schrieb Bücher. Sein Bestseller: „Der globale Minotaurus. Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft“ (2012).

Die desaströse Griechenland-Krise machte Varoufakis plötzlich berühmt. Nicht nur wegen seiner harschen Kritik an dem in Athen betriebenen rigorosen Austeritätskurs, der einen ausgeglichenen Staatshaushalt ohne Neuverschuldung anstrebt. Auch dem seiner Ansicht nach völlig verkehrten Krisenmanagement in der Eurozone lässt er kein gutes Haar. Sein Credo: „Die Austerität tötet den Patienten, statt ihn zu heilen.“

Was seinen Bekanntheitsgrad abrupt in die Höhe schnellen lässt: Varoufakis hat eine enorme Medienaffinität. Unermüdlich ist er in sozialen Netzwerken unterwegs, er ist passionierter Blogger, in unzähligen Medienauftritten im In- und Ausland macht er seine Sicht der Dinge publik. Varoufakis versteht es zudem meisterhaft, komplexe Wirtschaftsthemen auch einer Hausfrau oder einem Hilfsarbeiter verständlich zu machen.

Der Lohn: Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Griechenland triumphiert nicht nur seine Partei, das „Bündnis der Radikalen Linken“ (Syriza). Den Namen Yanis Varoufakis auf dem Syriza-Wahlzettel im zweiten Wahlkreis von Athen, dem mit rund eineinhalb Millionen Wahlberechtigten mit Abstand größten in ganz Griechenland, kreuzen auf Anhieb über 135 000 stimmberechtigte Griechen an – ein landesweiter Rekord.

Gegner der Austerität und Griechenlands verhasster Gläubiger-Troika

Doch damit nicht genug: Athens neuer Premier Alexis Tsipras, ein bekennender Gegner der Austerität und Griechenlands verhasster Gläubiger-Troika aus Europäischer (EU), Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfond (IWF), ernennt Varoufakis zum neuen Finanzminister. Yanis Varoufakis, bisher ein Leben lang ein lupenreiner Theoretiker, ist abrupt der neue „Wirtschaftszar“ im krisengeschüttelten Hellas. Plötzlich kann er seine Ideen in die Praxis umsetzen.

Doch kann er das wirklich? Fakt ist: Varoufakis ist die ultimative Verkörperung von Tsipras’ Marschrichtung beim hehren Projekt Neuanfang in Athen. Die Devise lautet: „Kein Bruch mit Europa, aber auch keine Unterwerfung (unter die Troika).“ Ein sogenannter Grexit, ein Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone, steht dabei definitiv nicht zur Disposition, so beteuert er.

Im Eiltempo wirbt Varoufakis nun in Europas Schaltzentralen für seine Vorstellungen, an diesem Donnerstag in Berlin, wo er sich mit dem deutschen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) trifft. Seine Botschaft lautet: Ein radikaler Schuldenabbau statt einem klassischen Schuldenschnitt im Fall Griechenland, das sofortige Ende der Austerität in den Krisenländern der Eurozone, dafür ein „New Deal“, sprich: öffentliche Investitionen im großen Stil, um so die darbende Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Die verhassten Troika-Kontrolleure warf der 53-Jährige bereits aus dem krisengeplagten Griechenland. Über den Aufschrei im Ausland lächelt er nur. Auf seiner Europa-Tour hört man dann wieder mildere, versöhnlichere Töne. Das Varoufakis-Prinzip: Europas Mächtige in ein Wechselbad der Gefühle versetzen.

Oder ist alles nur eine spektakuläre Rolle rückwärts, ein Purzelbaum des Griechen? Nein, sagen Experten. Varoufakis sei kein tumber Geisterfahrer, kein arroganter Provokateur, wie manche meinen. Er sei vielmehr ein kluger Stratege. Es sei kein Zufall, dass er als Professor das Fachgebiet der strategischen Spiele erforscht habe. Nun könne er als Politiker die Theorie in die Praxis umsetzen, so die Lesart.

Sein Lieblingswerk ist die „Strategie des Konflikts“ von Nobelpreisträger Thomas Schelling. Geleitet werde Varoufakis von Schellings Begriff des „Brinkmanship“, des „Spiels mit dem Feuer“, einer Politik, die bereit sei, bis zum „Rande des Abgrunds“ zu gehen. Das simple, zugleich riskante Konzept: Dem Gegner soll so viel Angst vor einem Streik, einer Scheidung, einem Konkurs oder Krieg eingejagt werden, bis er nachgibt und gegen die eigenen Interessen einem Kompromiss zustimmt.