Verliert bei den griechischen Wählern an Rückhalt: Alexis Tsipras Foto:  

Seit letzter Woche liegt die konservative Altpartei Nea Dimokratia laut einer Umfrage erstmals vor Syriza. Das Gros der Meinungsforscher konstatiert ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Athen - Er ist zurückgetreten, um wiedergewählt zu werden. Das Credo von Griechenlands Ex-Premier Alexis Tsipras heißt: „Diesmal vier Jahre lang durchregieren ohne den Ballast einer Minderheit in der eigenen Fraktion.“ Schließlich hatte die innerparteiliche Syriza-Opposition gegen seine ungeliebte Fortsetzung des rigorosen Spar- und Reformkurses rebelliert, indem sie jenes dritte Kreditprogramm niederstimmte, das Tsipras nach mehrmonatigem Verhandlungsmarathon mit Griechenlands Gläubigern EU, EZB und IWF ausgehandelt hatte.

Wer aber unmittelbar nach dem Rücktritt geglaubt hatte, Tsipras würde die Wahl am 20. September im Spaziergang gewinnen, sieht sich eines Besseren belehrt. Zwar sahen Umfragen im August Tsipras’ Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) mit bis zu vier Prozentpunkten vor der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND). Was für eine Regierungsbildung besonders wichtig ist, weil die stärkste Partei einen Bonus von 50 Mandaten in der 300 Sitze umfassenden Vouli, Athens Parlament, kassiert.

Oppositionschef Meimarakis soll inzwischen populärer sein als Tsipras

Doch seit Anfang vergangener Woche liegt die Altpartei ND in Umfragen erstmals vor Syriza. Das Gros der Meinungsforscher konstatiert ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Tsipras muss um seinen Wahlsieg zittern. Der nach dem Abgang von Ex-Premier Antonis Samaras neue, betont volksnahe ND-Führer Evangelos Meimarakis soll mittlerweile populärer als Tsipras sein.

Kenner der Athener Politszene sind sich einig: Syriza, besser: „Tsipriza“ – also das, was von Syriza übrig geblieben ist –, wird es schwerfallen, am Wahlabend als Sieger ins Ziel zu kommen. Eine Wiederholung des Wahltriumphs vom 25. Januar, als von 9,94 Millionen Wahlberechtigten bei einer Wahlbeteiligung von 63,6 Prozent 2,24 Millionen Syriza-Wahlzettel in den 19 509 Urnen landeten, scheint ausgeschlossen.

Die von der Syriza-Spitze bei der Ankündigung der Neuwahl kolportierte Prognose, Syriza – einst Kleinstpartei versprengter Salon-Bolschewisten – werde das Traumergebnis von 36,3 Prozent sogar übertreffen und erstmals die absolute Mehrheit der Parlamentsmandate erreichen, wird da nicht nur von Demoskopen ins Reich der Fantasie verwiesen. Im Gegenteil: Syrizas’ tiefer Fall, womöglich weit unter 30 Prozent, ist viel wahrscheinlicher – was aller Voraussicht nach den schmerzlichen Verlust des 50-Mandate-Bonus zur Folge hätte.

Auch zur rechtsextremen Morgenröte dürften enttäuschte Syriza-Wähler abwandern

Die Gründe für den Absturz sind vielfältig. Erstens dürfte die Tsipras-Partei viele Stimmen an gleich fünf Parlamentsparteien verlieren, ohne signifikant neue Anhänger hinzugewinnen zu können. Denn rechts von ihr werden nicht nur die ND und die Pasok-Sozialisten wieder alte Stammwähler „repatriieren“, die ihnen ob der zuvor betriebenen Sparpolitik frustriert den Rücken gekehrt hatten. Beide können sich freuen, hat Tsipras doch mit seiner abrupten Kehrtwende die bis vor kurzem völlig diskreditierten Altparteien auf einen Schlag politisch und moralisch rehabilitiert.

Auch zur rechtsextremen Goldenen Morgenröte dürften von Tsipras maßlos Enttäuschte abwandern. Selbst die neue „Fluss“-Partei könnte von Syrizas Absturz leicht profitieren. Einstige Syriza-Anhänger dürften nicht zuletzt zu der von den Syriza-Abweichlern gegründeten Volkseinheit (LAE) wechseln. Überdies ist laut Umfragen damit zu rechnen, dass viele frustrierte Syriza-Wähler am 20. September zu Hause bleiben. Ein Problem, mit dem ausgerechnet die wieder machthungrige ND diesmal offenbar nicht zu kämpfen hat.

Der ND kommt bei dem Projekt „Rückkehr zur Macht“ zudem zugute, dass sie im Mitte-rechts-Spektrum diesmal unangefochten dominieren wird. Denn der bisherige Juniorpartner in der Regierung Tsipras, die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel), die als ursprünglich vehemente Spargegner im Januar noch knapp fünf Prozent der Stimmen erreichten, die nun aber geschlossen den neuen Tsipras-Kurs mittragen, werden beim bevorstehenden Urnengang wohl ihr Waterloo erleben. Der Sprung über die Drei-Prozent-Hürde zum Einzug ins Athener Parlament dürfte für Anel diesmal zu hoch sein.

Viele fragen sich: Warum soll man Tsipras no ch einmal wählen?

Auf der linken Seite tummeln sich gleich ein halbes Dutzend Parteien von der Mitte des politischen Spektrums bis linksradikal, ein jeweils sicherer Einzug ins Parlament inklusive. Bei einer so starken Fragmentierung im linken Spektrum mehr Stimmen als die nun im konservativen Lager dominierende ND zu erreichen, scheint für „Tsipriza“ daher ein schier unmögliches Unterfangen.

Die Hoffnung vieler Krisenopfer auf eine starke Syriza-Regierung ist geplatzt. Und der 41-jährige Senkrechtstarter Alexis Tsipras, die Verkörperung jener Hoffnung, sieht nun ziemlich alt aus. Und so fragt sich das Gros der Griechen nun: Weshalb soll man Tsipras noch einmal wählen?