Griechenland bleibt vorerst im Euro. Foto: ANA-MPA

Der Chef des arbeitgebernahen Instituts der Wirtschaft (IW), Michael Hüther, glaubt, dass der griechische Regierungschef Alexis Tsipras dazu gelernt hat.

Berlin - Herr Hüther, Griechenland soll in den nächsten drei Jahren 80 bis 86 Milliarden Euro bekommen. Reicht dies aus, nicht nur für den Schuldendienst, sondern auch um die Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen?
Das reicht aus, wenn Griechenland vor allem wieder eine Stabilität beim Regierungshandeln gewährleisten kann. Nur so können Investoren einschätzen, wie sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entwickeln. Das Schlimme der letzten Zeit ist ja, dass nichts mehr vorhersehbar war. Da darf man sich nicht wundern, wenn kein Unternehmer bereit ist, sein Geld in Griechenland zu investieren. Es muss also neben all den fälligen Maßnahmen wie der Öffnung der Märkte und Privatisierung auch eine Stabilisierung der Erwartungen für die Privatakteure geben. Da schätze ich die Chancen, die von diesem Drei-Jahres-Paket ausgehen, als hoch ein.
Verschärfen denn nicht die kurzfristig zu ergreifenden Maßnahmen wie Erhöhung der Umsatzsteuer und Rentenkürzung die Probleme, indem dem Binnenmarkt noch mehr Kaufkraft entzogen wird?
Das Problem ist derzeit nicht der Entzug von Kaufkraft. Der Binnenmarkt ist vielmehr zum Stillstand gekommen und zwar auf Grund der verlorenen Monate, die die Regierung Tsipras zu verantworten hat. Wenn keiner mehr Zutrauen haben kann, agiert niemand mehr. Andererseits müssen jetzt dringend Maßnahmen getroffen werden, damit der Staatshaushalt in einigermaßen erkennbarer Zeit in eine stabile Situation gebracht wird. Da muss man manchmal auch die Steuern erhöhen. Ich bin nicht so pessimistisch, setze vielmehr große Hoffnung in das zurückkehrende Vertrauen der wirtschaftlichen Akteure.
Welche Reformen auf dem Arbeitsmarkt und anderen Gebieten sind notwendig, damit das Land mittelfristig wettbewerbsfähiger wird?
Hauptsächlich geht es darum, die bereits eingeleiteten, aber dann ausgesetzten Reformen konsequent umzusetzen. Es gab ja eine Absenkung der Arbeitskosten, die aber nicht in gleichem Maße in Preissenkungen umgesetzt wurden. Das spricht dafür, dass die Wettbewerbsintensivität auf den Dienstleistungs- und Gütermärkten mangelhaft ist. Das neue Paket sieht nun auch vor, diese Märkte stärker zu öffnen. Die Produktmärkte sind immer noch hoch reguliert, ohne Wettbewerb lohnt eine Investition aber nicht. Hinzu kommen muss ein besseres und effektiveres Handeln des Staates und der Verwaltung. Schließlich müssen noch Privatisierungen stattfinden, denn so werden neue unternehmerische Möglichkeiten geschaffen.
Was halten Sie davon, dass diese Privatisierungen unter europäischer Aufsicht stattfinden sollen?
Mit diesem Schritt soll ja den berechtigten Bedenken der Kritiker begegnet werden, die kein Vertrauen in die politischen Akteure in Athen haben. Wenn man nun die Privatisierungen über einen Fonds abwickelt, der unabhängig agiert, aber in Abstimmung mit den europäischen Institutionen, dann ist dies ein Transfer von Glaubwürdigkeit nach Griechenland. Nur so waren Länder wie die skandinavischen Staaten und Deutschland bereit, dem Kompromiss zuzustimmen. Ich halte diesen Schritt aber auch sachlich für geboten, weil die Privatisierungen aus dem politischen Tagesgeschäft herauskommen und Mittel erwirtschaftet werden, die investiert werden sollen.
Trauen Sie Alexis Tsipras zu, dass er den Willen und die Kraft aufbringt für den drastischen Kurswechsel?
Wenn er etwas anderes gewollt hätte, hätte er die letzten fünf Monate Möglichkeiten gehabt, es anders zu versuchen. Es hat etwas länger gedauert, bis Tsipras in der Realität angekommen ist. Klar ist doch: Nach dem Referendum und nach der Rede im Europaparlament ist Tsipras und den griechischen Akteuren in der Sache nichts anderes eingefallen. Das Reformpaket, das sie Donnerstag abend vorgelegt haben, ist ja letztlich das Forderungspaket der Euro-Gruppe. Man geht jetzt sogar noch darüber hinaus. Tsipras hat in den Abgrund geblickt, an dessen Rand er das Land manövriert hat. In so einem Abgrund kann kein Politiker erfolgreich regieren. Er weiß inzwischen, dass es nicht reicht, die Bevölkerung hinter sich zu haben. Er hat lernen müssen, dass niemand Griechenland Geld schenkt.