Schwieriges Tandem: Es gibt nicht nur finanzielle Fragen, die über den „Grexit“ entscheiden – auch die geopolitischen Foto: dpa-Zentralbild

Griechenlands Schuldendrama gerät zum Nervenkrieg. Wer gibt als Erster nach?, so lautet die Frage. Premier Tsipras will den Streit um neue Milliardenhilfen auf den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommender Woche tragen. Doch geht es überhaupt noch ums Geld? – eine Einschätzung.

Berlin/Athen - In den Debatten um die umstrittenen weiteren Griechenlandhilfen kommt plötzlich ein Argument ins Spiel, das mit der finanziellen Lage Athens nichts zu tun hat. Neuerdings raunen manche Staatschefs gerne von „übergeordneten politischen Erwägungen“, gerne auch von der „geostrategischen Bedeutung Griechenlands“. Auch Kanzlerin Angela Merkel streut solche Hinweise ein. Was ist damit gemeint? Tatsächlich gehört es zu einem staatsmännisch verantwortungsvollen Handeln, immer auch die Erwägung aller Konsequenzen einer Entscheidung mitzubedenken. Für die Euro-Zone wäre ein Austritt Griechenlands sehr wahrscheinlich finanziell verkraftbar. Aber finanzielle Auswirkungen sind eben nicht die alleinigen Konsequenzen. Zu berücksichtigen sind auch die politischen Folgen. Die sind wesentlich schlechter kalkulierbar.

Die Folgen für Europa: Von der Kanzlerin stammt der Leitsatz „Scheitert der Euro, scheitert Europa“. Das ist mehr als eine hohle Politikerfloskel. Tatsächlich war auch für den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl, einen der Väter des Euro, immer klar, dass die gemeinsame Währung ein Weg sein soll, die europäischen Völker enger zusammenzubringen. Ein „Grexit“ bedeutete, dass zum ersten Mal in der Geschichte der EU ein Integrationsschritt wieder zurückgenommen würde. Das könnte auch euroskeptische Kräfte in anderen europäischen Staaten mächtig ermutigen. Davon gibt es wirklich genug: In vielen Ländern werden rechtspopulistische Parteien stark, die auf eine Renationalisierung der Politik setzen. Aber auch linke Strömungen wie „Podemos“ in Spanien sind von der europäischen Idee nicht vollends überzeugt. Hinzu kommt, dass in Großbritannien ein Referendum über den Verbleib in der EU ins Haus steht. Auch dort könnten sich die Europa-Skeptiker bestärkt fühlen. Ein Austritt der drittstärksten Volkswirtschaft in der EU wäre aber ein schwerer Schlag für ein gemeinsames Europa.

Die geopolitische Bedeutung Griechenlands: Es mag angesichts der gegenwärtigen Debatten erstaunen, aber Griechenland ist ein Anker der Stabilität – politisch gesehen. Ringsumher toben teils erbitterte Konflikte, teils schwelen Auseinandersetzungen, die jederzeit heiß werden können. Aus Nordafrika kommen Flüchtlingsströme, in Syrien, Libyen toben die Kämpfe und expandiert der Terror des Islamischen Staats. Aber auch auf dem Balkan gibt es Dauerspannungen zwischen Serben und Kosovaren, droht Mazedonien im Chaos zu versinken. Würde (ein bankrottes) Griechenland zu einem weiteren Unsicherheitsfaktor, droht im Südosten Europas, am Kreuzungspunkt zwischen Balkan, Nordafrika und Nahem Osten, eine völlig unüberschaubare Lage – bester Nähboden für Gewalt, Terror und organisierte Kriminalität.

Die Rolle Russlands: Dieses entstehende Machtvakuum könnte für das Russland Wladimir Putins eine große Versuchung sein. Putin könnte sich den Griechen als Retter andienen. Es gibt traditionell eine prorussische Strömung in der griechischen Politik. Putin könnte mit Krediten und Energielieferungen locken. Dabei hat Moskau ein übergeordnetes strategisches Interesse: Bislang hat Russland nur einen, ohnehin nicht besonders stabilen Marinestützpunkt im Mittelmeer – im syrischen Tarsus. Dort aber versinkt zurzeit alles im Chaos. Die Aussicht auf einen Stützpunkt in Griechenland wäre für Moskau verlockend, für die Nato ein Albtraum. Das Thema „Häfen“ hatte die Troika selbst auf die Tagesordnung gesetzt mit ihrer Forderung, Athen solle seine großen Häfen privatisieren – wenngleich es dabei natürlich um zivile Nutzung ging.

Energie: Und schließlich geht es um Energie. Auch das nämlich könnte ein russischer Hebel sein, Athen in das eigene Interessensgebiet zu integrieren. Wie alarmiert Washington ist, zeigte jüngst die Reaktion auf eine Russlandreise von Premier Alexis Tsipras. Ein hoher Diplomat wurde nach Athen geschickt, um die Regierung von allen Versuchen abzubringen, in ein gemeinsames Gasprojekt mit Moskau einzusteigen. Die USA planen, eine eigene Pipeline über Aserbaidschan nach Westeuropa zu leiten.