Griechenland hat Alexis Tsipras wiedergewählt – das ist kein Grund, der neuen Regierung mehr Vertrauen als bisher entgegenzubringen.
Stuttgart - Es zählt zu den Grundsätzen pragmatischer Politik, dass das, was nicht mehr zu ändern ist, akzeptiert und – wenn’s denn sein muss – schöngeredet werden muss. So hält es die Bundesregierung, wenn sie mitteilt, nach dem überraschend deutlichen Wahlsieg von Alexis Tsipras „selbstverständlich“ davon auszugehen, dass auch die neue griechische Regierung ihre Zusagen für das dritte 86 Milliarden Euro schwere Hilfspaket einhält. So macht es die EU-Kommission, die ebenfalls „davon ausgeht“, das Tsipras zu den von ihm selbst unterschriebenen Verpflichtungen steht. Selten hat abgrundtiefes Misstrauen derart hochtrabenden Optimismus geboren.
Kein Betriebsunfall
Denn noch hat Tsipras Vertrauen nicht verdient. Hatte er vor seinem ersten Wahlsieg im Februar nicht großspurig versprochen, den harten Sparkurs in Athen zu beenden und die verhassten Kontrolleure der öffentlichen Gläubiger EU, EZB und IWF hochkant aus dem Land zu werfen – dann aber nicht im Ansatz liefern können? Hat Tsipras die Griechen nicht nach Strich und Faden belogen, als er sie über seinen Konfrontationskurs wählen und abstimmen ließ, wissend, ihrem Willen nicht folgen zu können? Aber die Hellenen sind zum großen Teil bereit, ihm das zu verzeihen. Nicht einmal die Spaltung seiner Partei Syriza konnte ihm etwas anhaben. Deshalb wird Tsipras erster Triumph nicht als Betriebsunfall in die jüngere griechische Geschichte eingehen.
Tsipras steht, wenn auch angeschlagen, noch immer für eine saubere Zukunft. Die Abrechnung mit den voreilig Morgenluft witternden Altparteien wie der konservativen Nea Dimokratia, mit ihrer jahrzehntelangen Vetternwirtschaft und eingefleischten Korruption war ihnen erneut wichtiger als das hohe Risiko, weiter von einem linksradikal-rechtspopulistischen Bündnis gelenkt zu werden, das in den sieben Monaten seiner Amtszeit nur eines bewiesen hat: dass es nicht regieren kann.
Auch in diesem Jahr wird die griechische Wirtschaftsleistung um mindestens zwei Prozent sinken. Die Importe fielen allein im Juli um 32, die Exporte um acht Prozent. Die Industrieproduktion ging im Juli im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat um 1,6 Prozent zurück. Das hat Auswirkungen auch im Alltag. Der Einzelhandelsumsatz sank im Juni um 1,7 Prozent, die ohnehin brachliegende Bautätigkeit stürzte weiter um 14,8 Prozent ab.
Das Trauerspiel geht weiter
An der Athener Börse – die nach der Verhängung der Kapitalverkehrskontrollen stattliche fünf Wochen geschlossen war – setzt sich das Trauerspiel fort. Der Generalindex schloss Ende vergangener Woche bei mageren 697 Punkten, 37 Prozent tiefer als vor einem Jahr. Zudem steckt das Land in einer Deflationsfalle. Im August fielen die Preise um 1,5 Prozent und sinken damit seit zweieinhalb Jahren Monaten kontinuierlich. Und die Arbeitslosigkeit? Sie verharrt nicht nur bei 24,6 Prozent, sondern stieg im Juli sogar an – erstmals in einem klassischen Urlaubsmonat.
Und da stellt sich Tsipras noch am Wahlabend hin und behauptet, das griechische Volk stehe „heute als Synonym für Widerstand und Würde“. Reformen, ruft Tsipras, aber auch: Schuldenerleichterung. Da lebt er dann auf, jenes Doppelzungenpathos, das das Land immer tiefer in die Krise treibt und die Schuld dafür vor allem bei anderen sucht. Warum auch nicht? Tsipras, der Spieler, hat vom Wähler neue Karten bekommen. Also darf er nach seinem Stabilität vorgaukelnden Amtseid hoffen, mit den Geldgebern erfolgreich um eine Verlängerung der Rückzahlungsfristen weiterpokern zu können. Und am Ende werden sie in Brüssel und Berlin dann auch diese Partie schönreden.