Höhenflüge bietet „The Mirror“ auf mehreren Ebenen. Für die Europatournee ist statt des Soundartisten Ekrem Eli Phoenix (rechts) die Sängerin Megan Drury dabei. Foto: Gom/Andy Phillipson

Mit Musik, Tanz und Gesang gehen die Artisten aus Adelaide ihre neue Show auffallend beschaulich an. „The Mirror“ ist ein Spiegel unsere Zeit – und gewinnt auch deshalb schnell an Tempo.

Der Name der Artisten aus Adelaide zieht. Die Zirkustruppe, die auf den schönen Namen Gravity & Other Myths (Gom) hört, hat bei ihren vergangenen Auftritten in Stuttgart offensichtlich bleibende Eindrücke hinterlassen. Und so war zum Auftakt des aktuellen, fünftägigen Gastspiels am Mittwoch die Halle im Theaterhaus trotz Ferienzeit bestens gefüllt.

 

Am Ende von 80 Minuten Schwerstarbeit gab’s wie zu erwarten Standing Ovations für die acht Akrobatinnen und Akrobaten. Auch in der neuen Show „The Mirror“ beweisen die Australier, dass sie ein entspanntes Verhältnis zur Schwerkraft haben, die ja bereits ihr Name als Mythos abtut.

Schweiß abwischen müssen sie selten

Sich auf alle möglichen und unmöglichen Arten zu dreistöckigen Menschentürmen zu stapeln und die letzte Etage kühn per Kollegenkatapult in herausfordernder Flugbahn zu erobern, wie’s ein Gom-Markenzeichen ist, können sicherlich auch andere. Es ist die Lockerheit und das freche, von jedem Tam-Tam befreite Auftreten der jungen Truppe, die ihre Kunst besonders macht. Ein Handtuch zum Schweißabwischen wird in „The Mirror“ nur an einer Stelle gereicht, und dann mit reichlich Witz.

Doch in der neuen Show müssen sich die Fans gedulden, bis das heitere Gom-Feeling da ist, bis Zurufe wie „Falling“, „Turning“, „Jumbing“ spontan Aktionen einleiten, die das chaotische Kreisen für einen kurzen Moment ordnen. Sie alle zeigen: Ein Zirkuskollektiv kann nur funktionieren, wenn sich die oben auf den unten – und umgekehrt – verlassen können. Wobei Gom mit vier starken Frauen die Schwerkraft auch für die Geschlechterverhältnisse aufhebt.

Schauspielerin Megan Drury singt in „The Mirror“ Foto: Imago/Everett Collection

Und so ist auch der Blick in den titelgebende Spiegel (eigentlich tritt er als Bildschirm auf), ein Lob auf die Gemeinschaft, das die Australier seit ihrer ersten Show „A Simple Space“ charmant anstimmen. Im Zeitalter der Selbstbespiegelung und der Selfie-Sticks, die in „The Mirror“ mit live projizierten Bildern eine wichtige Rolle spielen, kommt es im Wettstreit von Individuum und Kollektiv zu spannungsvollen Konfrontationen.

Wie gesagt: Es dauert, bis „The Mirror“ so richtig in Fahrt kommt. Die Suche von Megan Drury, die zu Beginn an einem Gettoblaster Radiosender mit passabler Musik finden will und später als Sängerin „The Mirror“ begleitet, wird da zum Sinnbild. Und so öffnen sich zwei Vorhangbahnen zwischen langen Störgeräuschen zu zögerlich auf immer neue akrobatische und tänzerische Motive.

Passend zum Abspielgerät setzte Soundkünstler Ekrem Phoenix für „The Mirror“ auf Synthie-Pop der 1980er Jahre, taucht seine Songcollage aber monoton in Finsternis. Zum Glück darf Megan Drury mit grandioser Stimme zeigen, dass sie mehr als Moll kann. Bis dahin lastet der in Melancholie getränkte Unterton auch auf den Akrobaten. Vor allem als Tänzer scheinen sie eher unter der Schwerkraft zu leiden, als sich ihr zu entziehen. Immer wieder liegt einer am Boden, um von dort mit der menschlichen Last auf dem Rücken auf die Beine zu kommen. Wie das immer wieder kunstvoll gelingt, taugt in einer an bedrückenden Momenten nicht armen Zeit als Zeichen der Hoffnung. Allein für diese Anstrengung haben die Australier allen Applaus verdient.

Info

Termin
Weitere Vorstellungen von „The Mirror“ gibt es täglich im Theaterhaus bis einschließlich 8. September.