Ein Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Potsdam erläutert anhand einer Projektion einer Computersimulation die Ausbreitung von Gravitationswellen. Foto: dpa

Einstein sagte die Gravitationswellen vor 100 Jahren voraus. Indirekte Beweise für die Wellen, die den Raum verbiegen können, gibt es bereits. Haben Forscher jetzt den direkten Nachweis gefunden?

Stuttgart/Washington - Um Punkt 16.30 Uhr Mitteleuropäischer Zeit soll es soweit sein: die Verkündigung DES Jahrhundertereignis der Physik. Und das, obwohl das 21. Jahrhundert gerade erst 15 Jahre, zwei Monate und elf Tage alt ist. Mit der Verkündung von Superlativen aus der Welt der Wissenschaft sollte man vorsichtig sein, wie viele Beispiele aus der Vergangenheit zeigen. Doch dieses Mal könnte es tatsächlich eine Sensation sein, die amerikanische Gravitationsphysiker in Washington der Welt mitteilen werden - und die die Welt und unseren Blick auf das Universum verändern könnten.

Einsteins kosmische Wellen

Es geht um nichts Geringeres als um das größte Geheimnis des Universums, das der Mensch je enthüllt hat: die kosmischen Gravitationswellen. Albert Einstein, der genialste aller Wissenschaftler, hatte ihre Existenz 1915 in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie nachgewiesen. Theoretisch. Bisher war es noch niemandem vergönnt, diese rätselhaften kosmischen Phänomene experimentell und direkt nachzuweisen. Und damit für alle Welt zu bestätigen, dass es sie überhaupt gibt.

Selbst Einstein glaubte nicht daran, dass man seine Berechnungen jemals objektivieren könnte. Dieser Beweis ist jetzt offenbar Physikern des sogenannten Ligo-Konsortiums gelungen. Bei Ligo handelt es um eine amerikanische Forschungseinrichtung, welche die beiden größten Detektoranlagen der Welt zur Messung von Gravitationswellen betreibt.

Die Super-Hightech-Anlagen befinden sich in den US-Bundesstaaten Louisiana und Washington, in den Städten Livingston und Hanford. Gemeinsam bilden sie das Advanced Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory.

Kompliziert? Das ist noch untertreiben

Klingt kompliziert – und ist es auch. Im Internet häufen sich schon seit einigen Wochen die Gerüchte über eine angebliche astronomische Sensation. US-Forscher sollen demnach die vor 100 Jahren von Einstein vorhergesagten Gravitationswellen direkt nachgewiesen haben. Die Entdeckung wäre mit großer Sicherheit einen Nobelpreis wert: Denn sie würde nicht nur Einsteins Vorhersage bestätigen, sondern auch ein neues Beobachtungsfenster ins Universum öffnen.

Was sind Gravitationswellen und wie entstehen sie?

Gravitationswellen entstehen, wenn Massen beschleunigt werden. Gigantische Massen, die sich kein Mensch vorstellen kann. Massen zum Beispiel, die bei der Explosion von Sternen am Ende ihrer Lebenszeit entstehen. Die dabei ausgesendeten Gravitationswellen stauchen und strecken die Raumzeit, ähnlich wie die Wellen, die entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft und sich dann die Seeoberfläche kräuselt.

Für den späten Donnerstagnachmittag (11. Februar, 16.30 Uhr MEZ) haben die Astrophysiker vom Ligo-Observatorium in den USA die Pressekonferenz angekündigt – so auch viele Forscher in anderen Städten, darunter das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. Auf diese Konferenz blicken Physiker in aller Welt schon seit Tagen fieberhaft.

Die Suche nach den All-Wellen

Gravitationswellen gehören zu den spektakulärsten Vorhersagen Einsteins. Jeder beschleunigte Körper sendet seiner Theorie zufolge diese Gravitationswellen aus, die umso stärker sind, je mehr Masse der Körper hat. Allerdings sind sie in der Regel so winzig, dass man sie nicht messen kann. Seit über 50 Jahren versuchen sich Physiker dennoch an einem direkten Nachweis. Alle vermeintlichen Erfolgsmeldungen entpuppten sich bislang allerdings als nicht haltbar.

Der US-Physiker Joseph Weber von der Maryland University war 1958 der Erste, der die Wellen mit Hilfe von Resonanzdetektoren nachzuweisen versuchte. Das Messprinzip ist in etwa gleich geblieben, wenn auch mittlerweile extrem komplexer.

Es gibt es kaum Zweifel an der Existenz der Gravitationswellen. 1974 hatten die beiden US-Astronomen Russell Alan Hulse und Joseph Taylor ein Doppelsystem aus zwei besonderen Neutronensternen entdeckt, die sich eng umkreisen. Ihre Umlaufzeit nimmt langsam ab, was sich exakt mit dem Energieverlust durch Gravitationswellen erklären lässt. Für diesen noch indirekten Nachweis bekamen die beiden Wissenschaftler 1993 den Physik-Nobelpreis.

Die lange Suche nach den Wellen

Gerüchte, Vermutungen, Theorien

Bereits im Januar verbreitete der US-amerikanische Physiker Lawrence Krauss von der Arizona State University in Tempe Gerüchte darüber, dass eines der empfindlichsten Instrumente der Welt tatsächlich Gravitationswellen nachgewiesen haben könnte. Krauss schrieb schon im vergangenen September im Kurznachrichtendienst Twitter von „Gerüchten über einen Gravitationswellen-Nachweis am Ligo-Detektor“, dem sogenannten Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatoriums in den USA.

Im Januar legte Krauss dann spektakulär nach: „Mein früheres Gerücht über Ligo ist von unabhängigen Quellen bestätigt worden. Bleiben Sie dran! Gravitationswellen sind möglicherweise entdeckt worden!! Aufregend.“ Krauss ist jedoch nicht an Ligo beteiligt und hat nach eigenen Worten auch mit keinem der etwa 900 Ligo-Forscher selbst gesprochen, wie er dem US-Fachjournal „Science“ verriet.

Auch deutsche Physiker sind beteiligt

Doch nicht nur die Ligo-Forscher, sondern auch zahlreiche andere Physiker suchen nach Beweisen für Gravitationswellen. 20 Kilometer südlich von Hannover betreibt seit 2001 ein deutsch-britisches Forschungsprojekt den Detektor GEO600. In Italien steht eine Anlage mit dem Namen VIRGO. Und auch die Japaner sind mit ihrem TAMAS 300 den Wellen auf der Spur. Übrigens: Die Lasertechnologie, die bei Ligo verwendet wird, stammt auch aus Deutschland.

Im Dezember startete die Europäische Weltraumorganisation Esa ein Mega-Projekt zum Erforschen der Gravitationswellen im All. Der Satellit „Lisa Pathfinder“ soll neue Technik für ein in etwa 20 Jahren geplantes großes Weltraumobservatorium testen, mit der diese Wellen künftig aufgespürt werden könnten. „Die Grundlagenforschung dient dem besseren Verständnis der Welt, in der wir leben“, meinte Esa-Generaldirektor Johann-Dietrich Wörner damals.

Einsteins letztes Geheimnis

Gravitationswellen sind das letzte noch unbewiesene Element der Einsteinschen Relativitätstheorie. Sie entstehen – wie gesagt – immer dann im Universum, wenn sich große Massen beschleunigt bewegen. Also etwa, wenn die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne kreist. Allerdings sind diese Wellen so schwach, dass sie nicht zu messen sind.

Ganz anders sieht es bei Sterne-Explosionen – Supernovas – oder zusammenstoßenden Neutronensternen und Schwarzen Löchern aus. Schwarze Löcher sind eines der größten Geheimnisse der Physik – und bisher nur theoretische Konstrukte. Sollten sich die Ankündigungen aus den USA bewahrheiten, würden diese Staubsauger des Weltalls erstmals als real nachgewiesen werden.

Die Signale stammen von zwei Schwarzen Löchern

Das Signal, das die US-Forscher aufgeschnappt haben, stammt nämlich von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern. Ein solcher Vorgang gehört zu den energie- und massereichsten im gesamten Universum. Die dabei freigesetzten Gravitationswellen und die in ihnen enthaltene Energie ist so gigantisch groß, dass sie kurzzeitig mehr Energie freisetzt als das Licht aller Sterne im beobachtbaren Universum zusammengenommen.

Die Fusion solcher Schwarzer Löcher – so entfernt sie auch von der Erde stattfindet – liefert Signale von Gravitationswellen, die zu den stärksten gehören und am besten messbar sind.

Man muss sich das optisch so vorstellen: Schwarze Löcher sind quasi runde Objekte aus reiner, leerer und verbogener Raumzeit. So lautet die Definition von Albert Einstein. Sie ähneln Seifenblasen, die sich aufeinander zubewegen, erklärt der französische Gravitationsphysiker Thibault Damour vom Institut des Hautes Etudes bei Paris. Wenn sie sich näher kommen, verformen sie sich und bilden irgendwann eine einzige große Blase, die nach der Fusion wieder die perfekte Kugelform annimmt.

Science Fiction und Physik

Kreisrunde Wellen auf feinem Sand

Bei diesem Vorgang werden – ähnlich wie bei elektromagnetischen Wellen – Signale ausgesendet, eben die besagten Gravitationswellen. Wenn man sich das Ganze optisch vorstellt, würde es aussehen wie kreisrunde Wellen aus feinem Sand. Und tatsächlich handelt es sich bei den Gravitationswellen um gekräuselte Wellen in der Raumzeit, die sich konzentrisch von einem Punkt im All ausbreiten.

Die dunkle Seite des Universums

Gravitationswellen sollen Aufschluss geben über die bislang dunkle Seite des Universums, die man bislang nicht messen konnte. Die bisherigen Erkenntnisse der Astronomie beruhen auf elektromagnetischer Strahlung, die aber nur circa fünf Prozent des Universums sichtbar macht. Der riesige Rest, die Dunkle Materie und Dunkle Energie, sind dagegen für den Menschen unsichtbar. Das könnte sich nun ändern.

Science Fiction und Gravitationsphysik

Wie aktuell die Forschungen der Gravitationsphysiker sind, zeigt auch der Science-Fiction-Film „Interstellar“ aus dem Jahr 2014. Es gibt keinen Film (abgesehen vielleicht von Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“), bei dem die Astrophysik eine so entscheidende Rolle spielt.

In dem amerikanisch-britischen Film geht es um ganz Großes: schwarze Löcher und Wurmlöcher, Reisen in andere Galaxien und die Relativität der Zeit. Die Gravitation des Schwarzen Loches, das im Film „Gargantua“ heißt, ist so gewaltig, dass einer Stunde auf dem Planeten in seiner Nähe sieben Jahre auf der Erde entsprechen.

Raumzeit, Gravitation und Zeitreisen

Eben diese Relativität der Zeit habe der Physik-Nobelpreisträger Albert Einstein (1879-1955) erkundet, erklärt Metin Tolan, Professor für Experimentelle Physik an der Technischen Universität Dortmund. „Im Jahr 1905 hat er herausgefunden, dass Raum und Zeit miteinander zusammenhängen. Die Zeit ist nicht irgendetwas Absolutes und für alle gleich. Wenn man sich schnell bewegt, vergeht die Zeit objektiv langsamer. Man altert auch langsamer im Vergleich zu jemanden, der sich nicht so schnell bewegt.“

Ein Beispiel: Der Flug nach Alpha Centauri, dem uns mit vier Lichtjahren am nächsten gelegenen Stern: „Das Licht braucht von dort vier Jahre, um zur Erde zu gelangen“, so Tolan. „Wenn die Lichtgeschwindigkeit von knapp 300. 000 Kilometern pro Sekunde die größte Geschwindigkeit ist, die im Universum erreichbar ist, dann wäre man offenbar mindestens vier Jahre unterwegs. Dem ist aber nicht so. Wenn man sich nämlich mit 99,9999 Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegen könnte, würden auf dieser Reise nur drei Tage vergehen. Tatsächlich würde die Zeit also viel langsamer verlaufen.“

Eine neue Ära der Menschheit?

Man sieht: Sollten die US-Forscher nicht zu viel versprochen haben – was nicht das erste Mal wäre –, könnte dies der Beginn einer neuen Ära in der Geschichte der Menschheit sein. Die Auswirkungen auf Wissenschaft und Forschung wären unabsehbar. Aber auch die Konsequenzen, die sich aus den noch zu machenden Entdeckungen für die Raumfahrt ergeben könnten, wären sensationell. Man darf gespannt sein.

Info: Detektor - was ist das?

Was ist ein Detektor für Gravitationswellen?

Ligo ist ein Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium, das in den USA für den Nachweis von Gravitationswellen gebaut worden ist. Der Detektor besteht aus zwei rechtwinklig zueinander angeordneten Armen, die jeweils vier Kilometer lang am Boden verlaufen und schnurgerade sind. Im Inneren laufen Laserstrahlen, mit denen sich eine Änderung der Armlängen zueinander extrem genau messen lässt.

Treffen Gravitationswellen diese Anlage, stauchen und strecken sie die Arme unterschiedlich um winzige Beträge. Das Lasersystem soll dabei noch Längenänderungen erfassen, die rund zehntausend Mal kleiner sind als ein Wasserstoffatomkern.

Seit 2002 auf der Suche nach der großen Welle

Das Ligo-Konsortium betreibt zwei nahezu identische Detektoren in Hanford (US-Staat Washington) und 3000 Kilometer davon entfernt in Livingston (Louisiana). Erstmals ging das Observatorium 2002 auf Suche, zunächst erfolglos. Von 2010 an wurden die Detektoren dann aufgerüstet, unter anderem mit Technik, die im Rahmen des deutschen Experiments GEO600 bei Hannover entwickelt worden ist. Seit September 2015 hat dieses „Advanced Ligo“ (auch aLigo gernannt, ein weiterentwickeltes Ligo) eine deutlich verbesserte Empfindlichkeit.