Numerisch-relativistische Simulation zweier einander umkreisender und verschmelzender Neutronensterne. Dargestellt sind die Dichteverteilungen der beiden Neutronensterne bei der Kollision. Foto: dpa/Max-Planck-Institut für Gravitat

Gerade erst wurde der direkte Nachweis von Gravitationswellen mit dem Physik-Nobelpreis gewürdigt. Nun zeichneten Forscher erneut ein spektakuläres Gravitationswellen-Signal auf.

Hanford/Livingston/Pisa - Astronomen haben erstmals Gravitationswellen von der Kollision zweier Neutronensterne aufgezeichnet. Ebenfalls zum ersten Mal konnten die Folgen eines solchen Ereignisses mit zahlreichen Teleskopen beobachtet werden. Am 17. August 2017 registrierten die Detektoren der beiden LIGO-Observatorien in den USA und des VIRGO-Instruments in Italien rund 100 Sekunden lang winzige Kräuselungen (Wellen) in der Raumzeit. Fast zeitgleich erschien ein Gammastrahlenblitz. Ein weltweites Netzwerk von Astronomen richtete daraufhin 70 Teleskope auf die Ursprungshimmelsregion. Auch deutsche Wissenschaftler sind an dem Erfolg beteiligt.

Die Forscher haben durch die Aufzeichnungen eine Reihe neuer Erkenntnisse über Neutronensterne, die dichtesten bekannten Sterne im Universum, gewonnen. Verschiedene Signale zeigen zudem das Vorkommen von Gold, Platin und anderen chemischen Elementen, die schwerer sind als Eisen, in der Umgebung der Kollision an. Die Wissenschaftler sehen dies als deutlichen Hinweis darauf, dass ein Großteil der schweren Elemente beim Zusammenstoß oder der Verschmelzung von Neutronensternen entsteht.

Albert Einstein hatte Gravitationswellen vorhergesagt

„Es ist enorm aufregend, ein seltenes Ereignis zu erleben, das unser Verständnis der Funktionsweise des Universums verändert“, sagte France Córdova, Direktorin der amerikanischen National Science Foundation (NSF). Die NSF finanziert die baugleichen LIGO-Observatorien in Hanford (Washington) und Livingston (Louisiana), die vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und dem California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena betrieben werden.

Erst kürzlich war die Vergabe des Physik-Nobelpreises 2017 für die Messung von Gravitationswellen am LIGO im Jahr 2015 verkündet worden. Albert Einstein hatte Gravitationswellen vor 100 Jahren in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt. Nachdem viermal die Verschmelzung von Schwarzen Löchern registriert wurde, wiesen die Signale diesmal auf kollidierende Neutronensterne hin. Wichtig war, dass auch der gerade wieder in Betrieb genommene europäische Gravitationswellendetektor VIRGO in der Nähe von Pisa (Italien) die Wellen aufzeichnete. Dadurch konnten die Forscher die Himmelsregion, in der der Ursprung der Gravitationswellen vermutet wurde, stark eingrenzen.

Eine weitere Eingrenzung ermöglichte ein sogenannter Gammastrahlenblitz, den die Weltraumteleskope „Fermi“ und „Integral“ etwa zwei Sekunden nach Ende des Gravitationswellensignals registrierten. Gammastrahlenblitze sind extrem energiereiche elektromagnetische Strahlung. Die Astronomen vermuteten sofort einen Zusammenhang zwischen den Signalen und nach einer kurzen Analyse wurden Astronomen an zahlreichen Observatorien informiert.

70 Observatorien auf der Erde und im Weltall

Etwa zehn Stunden nach Erfassung der Gravitationswellen entdeckten Astronomen in Chile mit einem Lichtteleskop einen neuen Lichtpunkt bei einer Galaxie im Sternbild Wasserschlange (Hydra). Insgesamt wurden 70 Observatorien auf der Erde und im Weltall auf die Signalquelle in einer Entfernung von etwa 130 Millionen Lichtjahren gerichtet. Genutzt wurde das elektromagnetische Spektrum von der Röntgenstrahlung über ultraviolettes, sichtbares und infrarotes Licht bis hin zu Radiowellen. Die Analyse der Daten wird die Astronomen noch lange beschäftigen.

„Dieser erste Nachweis der Gravitationswellen von verschmelzenden Neutronensternen ist für sich allein genommen schon extrem spannend“, erklären Karsten Danzmann, Bruce Allen und Alessandra Buonanno vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Potsdam in einer Institutsmitteilung. „Aber die Kombination mit Dutzenden von Folgebeobachtungen im elektromagnetischen Spektrum macht es wirklich revolutionär.“ Das Institut, auch Albert-Einstein-Institut (AEI) genannt, ist ein Kooperationspartner des LIGO-VIRGO-Verbundes. Es lieferte die hochempfindliche Lasertechnik im Kern der drei Observatorien, einen Teil der Analysesoftware und war auch an der Auswertung der Daten beteiligt.

„Neutronensterne sind die kompliziertesten Objekte im Universum“, sagte Danzmann der dpa. Diese Himmelskörper bleiben übrig, wenn ein massereicher Stern in einer Supernova explodiert. Bei einem Durchmesser von etwa 20 Kilometern besitzen sie das Zweifache der Masse der Sonne oder 700 000 Erdmassen. Ein Teelöffel voll Neutronensternmaterial entspricht der Masse von rund eine Milliarde Tonnen. Bei dieser Materiedichte werden theoretischen Modellen zufolge die Elektronen in die Protonen gedrückt, so dass der Stern fast ausschließlich aus Neutronen besteht. Doch viele physikalische Details sind noch nicht geklärt.

Wissenschaftler haben neue Rätsel zu lösen

Deshalb setzen Danzmann und seine Kollegen auf die sogenannte Multi-Messenger-Astronomie, wie die Forscher die Kombination aus Gravitationswellen- und elektromagnetischen Signalen nennen. Vielleicht könnten damit sogar bisher unbekannte Arten von Himmelskörpern gefunden werden. Als weitere Aspekte nennt Bruce Allen vom AEI eine völlig neue Möglichkeit, die Expansion des Weltalls - die Hubble-Konstante - zu messen und eine passende Zustandsgleichung für Neutronensterne zu entwickeln.

Dass kurze Gammastrahlenblitze von Neutronenstern-Kollisionen stammen können, war bislang nur vermutet worden - nun liegt ein klarer Hinweis vor. Weshalb der Blitz um mehrere Größenordnungen schwächer ausfiel als theoretisch zu erwarten gewesen wäre, gibt den Wissenschaftlern neue Rätsel auf. Allen vermutet, dass die Erde nicht direkt in der Stoßrichtung des Gammastrahlenblitzes lag und dass die Signale nur aufgefangen wurden, weil das Ereignis mit 130 Millionen Lichtjahren „recht nah“ an der Erde stattfand.

Eine andere Theorie hat Mansi Kasliwal vom Caltech. Demnach haben die beiden Neutronensterne bei ihrer Annäherung Material in der Größenordnung von 10 000 Erdmassen abgestoßen, das die beiden Sterne wie ein Kokon umgibt. Weil die Gammastrahlenblitze durch diesen Kokon sehr abgeschwächt würden, erscheine ihr Signal auf der Erde relativ schwach. Welche Theorie sich letztendlich durchsetzen wird, ist offen. In jedem Fall bezeichnen Astronomen GW170817, wie die Neutronensternkollision offiziell genannt wird, schon jetzt als das am besten untersuchte kurzlebige Ereignis im Universum.