Fango ist ein klassisches Heilmittel, das einst in Italien erfunden wurde.

Fango ist ein klassisches Heilmittel, das einst in Italien erfunden wurde. Das Wort bedeutet übersetzt so viel wie "heilkräftiger Schlamm". Klassischerweise wird dafür echter vulkanischer Mineralschlamm verwendet, angerührt aus eigens abgebautem Gesteinsmehl.

Von Susanne Rehm

Wie Softeis quillt die graubraune Masse aus dem Edelstahlrohr auf ein ausgebreitetes Leintuch. Claudia Darly schlägt die Stoffseiten nach innen und formt eine Art Matte aus dem heißen, frisch angerührten Fango. Das Ganze auf einer Liege platziert, Patient mit dem Rücken draufgelegt, fertig.

"Der Fango hat eine Temperatur von 54 Grad Celsius. Das ist ein ganz schöner Unterschied zur Körpertemperatur von 36 Grad und wird dennoch als sehr angenehm empfunden", erklärt die Masseurin und medizinische Bademeisterin. Und sie behält recht. Nach wenigen Sekunden gewöhnt sich die nackte Rückenhaut an die Hitze, die Schulterknochen drücken das formbare Paket mit dem Wunderschlamm im Inneren zu einer bequemen Unterlage zurecht. Langsam steigt die wohlige Wärme in den Körper, lockert die Glieder - und bringt einen ganz nebenbei noch tüchtig zum Schwitzen. Nach zwanzig Minuten sind wir nicht nur herrlich entspannt, sondern auch gefühlt ein Kilo leichter. Mindestens.

"Fango ist ein archaisches Heilmittel, das jedoch große Wirkung hat", erklärt Christoph Stöcker, Geschäftsführer der Rehaklinik Bad Boll. Die Gemeinde am Fuße der drei Kaiserberge Hohenstaufen, Rechberg und Stuifen ist einer von nur vier Orten in Deutschland, in denen Fango hergestellt wird. Das Heilmittel hat in Boll eine lange Tradition: Eine frühe Form wurde bereits von Dr. Johannes Bauhinus entwickelt. Der Leibarzt des Herzogs Friedrich I. von Württemberg schwor schon im 16. Jahrhundert auf Kuren mit Schlamm. Dreihundert Jahre lang aber war der 5000-Seelen-Ort zwischen Kirchheim unter Teck und Göppingen vor allem für Badekultur bekannt.

"1595 wurde das Boller Schwefelwasser entdeckt. Herzog Friedrich beauftragte daraufhin den berühmten Baumeister Heinrich Schickhardt mit der Errichtung eines Badegebäudes mit Lustgarten", erzählt Christoph Stöcker. Der damals angelegte Brunnen existiert übrigens noch immer, er liegt im Zentrum des heutigen Kurhauses. Die Gäste strömten des entzündungshemmenden Wassers wegen nach Bad Boll - bis in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein "zweites Geschenk der Natur", so Stöcker, entdeckt wurde: der Boller Jurafango. Inzwischen gibt es sogar noch ein drittes: das Boller Thermalwasser, in dem man im 2008 neu eröffneten Badhaus schwimmen kann.

Während der Fangoanwendung - ob pur aufgetragen oder in Leinen gewickelt - dringen die Mineralstoffe des Naturprodukts in die Haut ein und wirken in Kombination mit der Wärme entkrampfend, entzündungshemmend und schmerzlindernd. Die Muskeln werden entspannt, das Bindegewebe gelockert, die Durchblutung gefördert. Fangopackungen gelten als bewährte Therapiemaßnahme bei Gelenkentzündungen, Zerrungen und Ähnlichem. Bad Boll ist daher auch eine orthopädische Klinik, spezialisiert auf Patienten mit Knie- oder Hüftproblemen.

"Bei uns jedoch bekommt man noch den echten, natürlichen Fango", sagt Christoph Stöcker und erzählt, dass mancherorts ein wenig gemogelt werde - da sind Fangopackungen mit Naturmoor gefüllt oder es wird sogenannter Parafango verwendet. Dazu wird vulkanisches Gesteinsmehl mit Paraffinöl anstatt mit Wasser vermischt. Der Nachteil dabei: Das Paraffin umschließt die mineralischen Wirkstoffe im Fango so fest, dass diese nicht in den Körper eindringen können. Dafür sind diese Schlammpackungen deutlich günstiger, denn sie können sterilisiert und so wiederverwendet werden. Boller Fango hingegen wird nur einmal benutzt und dann entsorgt. Privatkunden können das alte Material in den Kompost werfen oder sogar ihre Blumen damit düngen, die Kurklinik lässt ihren gebrauchten Fango dahin bringen, wo er herkam: auf das Gelände der Bad Boller Fango-Werke.

Das ortsgebundene Heilmittel wird nur etwa anderthalb Kilometer Luftlinie vom Kurpark entfernt hergestellt, zwischen Industriegebiet Hintersehningen und den Aywiesenhöfen. Die Produktionsstätte ist wesentlich kleiner, als der Name vermuten lässt: Mehr ein Steinbrüchle als ein Steinbruch, kleiner als mancher Supermarktparkplatz. Ein idyllisches Fleckchen, von Maisfeldern umrahmt, mit einem kleinen See, der sich am Grund des Steinbruchs gebildet hat. Daneben steht eine mit Eternitschindeln verkleidete Produktionshalle. Seit 70 Jahren wird hier Fango produziert.

An der Methode hat sich seither fast nichts geändert. Mit einem Abbruchhammer werden die Schieferplatten aus dem Steinbruch geschlagen, mit dem Radlader zur Mühle gefahren, wo sie von Fremdstoffen befreit und zu feinem Pulver mit genau festgelegter Körnchengröße zermahlen werden. In Tüten abgepackt wird das Pulver anschließend an Apotheken, Therapiezentren und Massagepraxen ausgeliefert.

In der Halle lagert das zu feinem Staub zermahlene Gestein in überdimensionalen Einkaufstaschen, den Big Packs. "In so einen Sack passen 500 Kilogramm", erklärt Gerhard Frasch, der technische Leiter der Kurklinik, "davon verbrauchen wir vier Stück in der Woche, also zwei Tonnen."

Der Vorrat in der Halle reiche noch einige Monate, sowohl für den Eigenbedarf als auch für den bundesweiten Verkauf, so Frasch. Daher sei in solchen Phasen das Gelände menschenleer. "Der Abbau findet nach Bedarf statt, nur wenige Male im Jahr und nur im Sommer", sagt Gerhard Frasch. Kein Wunder, schließlich hat die Produktionshalle keine Heizung. Wer hier im Winter arbeitet, müsste sich gleich eine Fangopackung in der Kurklinik auflegen lassen.