Wirklichkeit und ... Foto: Hörner

Grau in Grau: Seit kurzem hat die Bibliothek 21 eine zweite Haut aus Glasbausteinen.

Stuttgart - Zumindest bis zur Eröffnung im Herbst 2011 macht der Kulturkubus im Europaviertel eine eher traurige Gestalt. Erst die Innenraumbeleuchtung wird den Millionenbau zum Strahlen bringen - ob so hell wie auf den Visualisierungen, ist noch offen.

Mancher Besucher, der mit dem Zug in die Landeshauptstadt kommt, reibt sich die Augen. Mitten im Niemandsland, auf einer Art Feldherrnhügel, empfängt ihn ein gewaltiger Betonquader. Knapp 40 Meter lang, breit und hoch.

Wer genauer hinschaut, erfährt, um welchen Rohbau es sich im Zentrum des neuen Europaviertels hinter dem Hauptbahnhof handelt: "Bibliothek" ist in dem Betonfries unterhalb des Dachfirsts eingelassen, neben deutsch auch auf Englisch, Arabisch und Koreanisch. Letzteres als Hommage an den Schöpfer des 79 Millionen Euro teuren Gebäudes, den Architekten Eun Young Yi.

Ohne Licht von Innen wirken die Glasbausteine grau und stumpf

Die Erklärung scheint notwendig, seit die Außenverkleidung des neunstöckigen Gebäudes komplettiert ist. Solange noch kein Kunstlicht das Innere des Neubaus erhellt, wirken die Glasbausteine der Fassade stumpf und leblos. Bei bewölktem Himmel verschwimmen Beton und Bausteine zur grauen Wand, was die Wuchtigkeit des Komplexes betont. Auf "Hochbunker" oder "Gefängnis" statt auf Medientempel tippen Ahnungslose beim Anblick der Bibliothek 21. "Wieder ein toter Klotz mehr auf dem Riesenareal, das ein lebendiges Wohn- und Geschäftsquartier werden soll", schimpft Corinna Kreder, die von ihrem Sekretariatsarbeitsplatz an der Türlenstraße den Bau verfolgen kann. Dabei versprachen die Visualisierungen, mit denen Architekt Yi sein Werk im Planungsstadium vorstellte, etwas völlig anderes: Auf den Computerbildern strahlt sein Solitär ganz in Weiß.

"Ich habe auch gedacht, es glänzt ein bisschen mehr", sagt Ingrid Bussmann, die Leiterin der Bibliothek 21, die sich ihren künftigen Arbeitsplatz etwas schillernder vorgestellt hat. Kritik an der Architektur sei ihr zu Ohren gekommen, ergänzt die Direktorin der Stadtbücherei, die im Herbst 2011 vom Wilhelmspalais ins Europaviertel umziehen soll. Doch Bussmann zeigt auch Verständnis für die farblose Monumentalität. "Archaische Architektur und introvertierte Fassade sind Absicht und Vision von Professor Yi."

Wuchtig-grau statt strahlend weiß

Wuchtig-grau statt strahlend-weiß, so wird der Neubau ohne Ausreden auch im Stuttgarter Rathaus gesehen. "Die Bibliothek ist ein starker Stein- ein Gebäude gegen den Trend, das Haltung zeigt", unterstreicht Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD), der vor zehn Jahren mit im Preisgericht saß. "Nach außen in den Stadtraum hinein steht das Haus selbstbewusst da: Ein öffentlicher Solitär im neuen Stadtteil, der sich als Kubus auf sich selbst bezieht und mit zwei zusätzlichen Geschossen über die durchschnittliche Dachebene ragt", bewertete die Jury damals Yis Siegerentwurf.

Für den Solitär, "der sich teilweise von städtebaulichen Vorgaben befreit", soll vor allem die Rathausspitze um OB Wolfgang Schuster votiert haben, während die Architekten im Gericht opponierten. Zudem setzte sich Yi nur mit einer Stimme Vorsprung gegen Peter Böhm durch. Der Kölner Architekt wollte die Bibliothek 21 aus Weißzementbeton mit lamellenartiger Außenfassade bauen, "die eher einen heiteren anziehenden Charakter symbolisiert", so die Jurywertung damals.

Bibliothek 21 als strahlendes Beispiel von Baukunst

Auf Anfrage unserer Zeitung nimmt Architekt Yi Stellung zu aufkeimender Kritik: "Dass die zeitgenössischen Menschen an die leichten und häufig kommerziell wirkenden Gebäude gewöhnt sind, ist mir längst bekannt", so Yi. "Der Mensch braucht aber mehr als solche Leichtsinnigkeit." Er bestätigt, dass die Fassade keinen Anstrich mehr erhalten soll. Sie sei so konzipiert, dass der "Charakter der gewählten Materialien authentisch wiedergegegeben wird."

Der Bau wird heller wirken, wenn die Leuchten in Lese- und Medienräumen brennen. Von ihnen soll reichlich Kunstlicht nach außen fallen. "Das ist spannend", so Bibliothekschefin Bussmann. Zudem werde das Umfeld am Mailänder Platz ansprechender gestaltet sein, ergänzt sie. Ob alles so schön wird wie auf den Computerbildern, bleibt abzuwarten. "Wir erstellen die Visualisierungen nach Plänen des Architekten", betont Erich Wolf, Geschäftsführer des Stuttgarter Visualierungsunternehmens Aldinger & Wolf, das die Digitalbilder produziert hat. Die Computer berechneten das Erscheinungsbild der geplanten Gebäude unter Berücksichtigung von verwendeten Baustoffen und Standortfaktoren wie der Lichtintensität, so Wolf.

"Visualisierungen haftet es an, dass sie die Wirklichkeit manchmal übertreffen", weiß Matthias Hahn aus jahrzehntelanger Erfahrung als Baubürgermeister. Nach ihrer Eröffnung werde die Bibliothek 21 dennoch zu einem strahlenden Beispiel von Baukunst werden, glaubt Hahn.