In dieser Plantage bei einem Unternehmen in den Niederlanden wird Cannabis für den Export an deutsche Apotheken angebaut. Foto: ANP

Wer Gras als Medizin nutzt, hat sich bislang in einer rechtlichen Grauzone bewegt. Jetzt gilt: Schwerkranken muss der Zugang zu Marihuana erlaubt sein, wenn es keine andere Therapiemöglichkeit gibt.

Bonn/Mannheim - Sein Mittel gegen Schmerzen gedeiht im Badezimmer: 130 Cannabispflanzen züchtet ein 53-jähriger Multipler-Sklerose Patient in seiner Wohnung in Mannheim – alles nur für den Eigenbedarf und alles legal. Der Mannheimer ist der erste Patient, dem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Anbau erlaubt hat. Das bestätigte ein Sprecher der Bonner Behörde am Sonntag. Im Frühjahr hatte das Bundesverwaltungsgericht die Behörde verpflichtet, den Anbau zu erlauben. Dieses Urteil wird nun umgesetzt.

Wer medizinisches Cannabis aus der Apotheke besorgt, hat hohe Kosten

Es wird wohl nicht lange dauern, bis sich auch weitere schwerkranke Patienten beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte um eine solche Ausnahmegenehmigung bemühen werden. Denn anders als in vielen Staaten der USA , in Großbritannien, Kanada, Israel oder in den Niederlanden gilt Cannabis hierzulande als Suchtmittel. Besitz, Anbau und Handel sind verboten. Zwar gibt es in Deutschland mehr als 900 Patienten, die Cannabis als Medikament verwenden dürfen. Sie müssen es aber bisher in der Apotheke kaufen, die Kosten übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen nicht. Das ist nicht billig: Für das Gramm fallen in der Apotheke rund 15 Euro an.

Die hohen Kosten von 1500 Euro pro Monat waren auch der Grund, warum der Mannheimer Patient vor Gericht gezogen ist und durch mehrere Instanzen geklagt hatte. Eine Versorgung auf diesem Wege, so der Mann, könne er sich nicht leisten.

Cannabis lindert die Symptome bei einer Vielzahl von Krankheiten

Grundsätzlich halten Schmerz-Experten das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für eine gute Entscheidung. Denn die heilsame Wirkung der Cannabis-Pflanze habe sich nicht nur bei der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose gezeigt, sondern auch zur Behandlung von chronischen Schmerzen, Nervenschmerzen, bei grünem Star zur Reduzierung des Augeninnendrucks, bei ADHS, Epilepsie und dem Tourette-Syndrom eingesetzt. Verwendet werden Cannabisextrakte, Cannabisblüten oder einzelne Cannabinoide – das sind Mittel auf Cannabisbasis. Angewandt wird Cannabis auch gegen Übelkeit und zur Appetitsteigerung bei Krebs- und Aidspatienten, sowie bei Rheuma. Ein zweiter Vorteil der Entscheidung, dass Patienten auch zuhause Marihuana anbauen dürfen, ist: Weil in Deutschland der Anbau verboten ist, beziehen die Apotheken ihr medizinisches Kraut aus dem Ausland – wo es häufig zu Lieferschwierigkeiten kommt.

Die befürchtete Rauschwirkung und auch der Suchtfaktor, die der Konsum von Cannabis mit sich bringen kann, werden von Experten als kein großes Problem angesehen: Zum einen sei es nicht das Ziel der Patienten, in Rausch zu geraten, sondern ihr Leiden zu mindern, heißt es seitens der Schmerzambulanz der medizinischen Hochschule in Hannover. Hinzu kommt, dass es natürlich eines medizinischen Screenings bedarf: Dabei wird nicht nur geprüft, ob andere Therapeutika komplett ausgeschlossen werden können, sondern auch, ob der Betroffene über eine gewisse Suchtneigung verfügt. „Ist das der Fall,wird generell von einer Behandlung mit Medikamenten, von denen eine Suchtgefahr ausgehen könnte, abgesehen.

Wie wirkt Cannabis?

Gras als Medizin

Cannabis sativa, so der lateinische Name der Heilpflanze, wurde schon im alten China als Medikament verwendet: In Tinkturen verarbeitet wurde Cannabis gegen Hühneraugen eingesetzt, den Blätterextrakten wurde eine wohltuende Wirkung zugeschrieben. Im Mittelalter wurde Cannabis dann gegen Husten, Gelbsucht und Gicht eingesetzt.

Der Höhepunkt der Cannabis-Forschung war um das Jahr 1900. Die Präparate, die damals von Pharmafirmen hergestellt wurden, setzte man gegen Krämpfe, Schmerzen, Appetitlosigkeit bei Schwerkranken und als Schlafmittel ein. In den 50er Jahren wurden die Cannabis-Medikamente mehr und mehr durch synthetische Arzneimittel ersetzt. Seit 1972 ist Cannabis hierzulande dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt – eine Folge einer UN-Konvention von 1961, die Cannabis als narkotische Droge klassifiziert.

Von der heutigen Cannabis-Forschung weiß man, dass die Pflanze bis zu 66 verschiedene Substanzen namens Cannabinoide enthält, darunter die wichtigsten Stoffe Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Die heilsame Wirkung von Cannabis beruht darauf, dass der menschliche Körper Stoffe produziert, die den Cannabinoiden recht ähnlich sind. Somit finden die Cannabinoide im Körper auch passende Andockstellen, sogenannte Rezeptoren, an die sich die Cannabis-Wirkstoffe heften können. Diese finden sich im zentralen Nervensystem und in vielen anderen Organen. Heftet sich ein Cannabis-Wirkstoff dort an, werden Angst, Stress und Schmerzen gemildert. Ein zweiter wichtige Rezeptor sitzt in den Immunzellen von Lunge und Darm. In Verbindung mit Cannabis beeinflussen sie das Immunsystem und wirken antientzündlich. Bei manchen Menschen fehlen diese Rezeptoren allerdings – bei ihnen kann Cannabis diese medizinischen Wirkungen nicht entfalten. (wa)