Weites Flanellhemd, Bucket-Hat – so kann der Granola-Style aussehen. Foto: Unsplash/Tatiana Rodriguez

Der Hipster hat ausgedient, und Granola-Boys lösen sie im heutigen Stadtbild ab. Aber es geht ihnen nicht um Kleidungsstücke, sondern um die großen Fragen unserer Zeit – und um die Sehnsüchte einer ganzen Generation.

Outdoorjacken haben einen schweren Stand in Deutschland. Sie standen lange für den Durchschnittsdeutschen, der auf vieles Wert legt, aber nicht Coolness. Alman-Style, würden manche sagen. Aber in der Generation Z der zwischen 1995 und 2010 geborenen Menschen hat sich das geändert. Die Outdoorjacke ist zum zentralen Erkennungsmerkmal der Granola-Boys und -Girls geworden. Granola, was?

Manche halten Granola-Boys und -Girls für die Nachfolgerinnen und Nachfolger der Hipster, die aber ohnehin seit mindestens zehn Jahren totgesagt werden und in feinziselierten Weiterentwicklungen trotzdem noch überall sind. Dazu kommt, dass kaum ein Hipster je ein Hipster sein wollte – möglicherweise eine größere Parallele zu den Granola-Leuten. Aber was macht jemanden eigentlich zum Granola-Boy oder Granola-Girl?

Aus Müslifressern wurden Granola-Boys

Granola-Boys und -Girls tragen gerne weite und etwas zu kurze Hosen, solide Stiefel und natürlich Outdoorjacke oder Fleece. Die nächste Wanderung, das nächste Mikroabenteuer in der Natur, irgendwas zwischen Stuttgarter Monte Scherbelino und Zugspitze muss immer spontan machbar sein, am Rucksack ist gerne per Karabiner eine Blechtasse angehängt. Holzfällerhemden tauchen gerne auf, die Oberteile sind einfach, die Farben dezent und natürlich, die Materialien nachhaltig. Getragen werden Marken mit Ökoimage: Patagonia, North Face – und wenn die Wanderstiefel ausgezogen werden, lüften die Füße in Birkenstocks durch. Auch die Ernährung spielt eine wesentliche Rolle: Gesund, regional, und unterhalb Bio macht es niemand.

Als Nachhaltigkeit noch uncool war, seien Ökos als „Müslifresser“ bezeichnet worden, sagt Kristin Hahn, Professorin für Modetheorie und Fashion Studies an der Hochschule Macromedia. Davon ist der Granola-Boy – wortwörtlich „Knuspermüslijunge“ – sprachlich nicht weit weg, klingt aber so natürlich besser. In der Bezeichnung spiegle sich die Haltung einer Generation wieder, der Nachhaltigkeit, Naturverbundenheit und Gesundheitsbewusstsein wichtig sei, sagt Hahn. Ihr Lifestyle sei ein Statement für diese Sachen, sagt Hahn: „Es geht eigentlich gar nicht um Mode.“

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Mode als Mittel gegen die Identitätskrise

Auch der Modesoziologe Thomas Kraft sieht beim Granola-Style einen Bezug zu den großen Themen unserer Zeit. „Was ich anziehe, kommuniziert etwas über mich“, sagt er. Über Mode werde so auch Identität verhandelt. „Wenn ich mit meinen jungen Studierenden über die Klimakrise rede, merkt man, da haben viele schon aufgegeben. Sie sagen: ‚Was sollen wir denn noch machen, uns hört ja keiner zu?‘ Zu wissen, wir gehen auf den Abgrund zu, und es bewegt sich niemand, stürzt Menschen auch in eine Identitätskrise. Dann zu sagen: Ich versuche wenigstens zu zeigen, dass ich kein oberflächlicher Mensch mehr sein möchte und mich mit Outdoorklamotten bewusst unmodisch durch die Stadt bewege, anstatt mir alle zwei Wochen neue Klamotten zu kaufen – das kann helfen in so einer Situation.“ Dazu schafft man Zusammengehörigkeit mit anderen Menschen, die sich ähnlich kleiden.

Das Ganze sei von Widersprüchen begleitet, sagt Kraft. „Outdoorkleidung ist eine tolle Sache – aber damit eine Jacke wasserdicht wird, braucht es chemische Veredelung. Hochwertige Outdoorklamotten sind wichtig bei einer Alpenüberquerung, aber völlig überdimensioniert, wenn ich damit in der Stadt rumlaufe oder in den Club gehe – aus Nachhaltigkeitssicht würde ich sagen, ist das keine gute Idee.“

Die Generation Z hat sich längst von den Hipstern gelöst

Aber sind Granola-Boys und -Girls jetzt so etwas wie die neuen Hipster? „Ich würde den Lifestyle nicht direkt mit Hipster gleichsetzen – alles hat seine Zeit“, sagt die Professorin Kristin Hahn. Es sei eher eine Fortentwicklung vorangegangener Trendbewegungen im 21. Jahrhundert, die alle von der Generation Z geprägt worden seien – VSCO und Normcore hießen solche Trends. „Die Generation Z ist bekannt dafür, sich durch vollkommen neue Charakteristika auszuzeichnen, die nur noch wenig mit vorherigen Generationen gemeinsam haben.“

Der Granola-Lifestyle spiegle eher Bedürfnisse und Sehnsüchte einer Generation wider, sagt Hahn: „Die Sehnsucht nach einem einfachen Leben in der Natur – fernab von Digitalisierung, Großstädten, Lärm, sozialem Druck und Klimakrisen. Der Traum von Abenteuern in der Natur – bevor sie verschwindet“, sagt Hahn. Die Sorge um die Welt ist also wichtiger, als einem Trend nachzulaufen. Ob man dafür eine neue teure Outdoorjacke braucht, kann man natürlich trotzdem hinterfragen.