Vier bis fünf Tage pro Monat arbeitet Reinhold Scheel in der Grabkapelle. Foto: Rudel

Reinhold Scheel führt Besucher durch die Grabkapelle auf dem Württemberg.

Rotenberg - Reinhold Scheel liegt die Stadt zu Füßen – oder zumindest ihr östlichster Ausläufer. Der 65-jährige Fellbacher arbeitet auf der Spitze des 411 Meter hohen Württembergs, wo einst die Stammburg des Herzogtums stand und König Wilhelm I. und seine Frau Katharina begraben sind.

Scheel sitzt an der Kasse der Grabkapelle und führt Interessierte durch das Mausoleum. Ein besonderer Arbeitsplatz, vielleicht der schönste in ganz Stuttgart. Zumindest an milden Sommertagen, wenn es viele Besucher nach Rotenberg zieht und Scheel in seiner Mittagspause den beeindruckenden Ausblick vom Württemberg über das Neckartal genießen kann.

Doch die Grabkapelle hat nicht nur bei Sonnenschein geöffnet, sondern durchgängig von Anfang März bis Ende Oktober. Wenn es regnet, stürmt oder ein Gewitter aufzieht, verirrt sich kaum noch ein Spaziergänger dort hoch. Durch ihre imposante Lage ist die Grabkapelle den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert. „Dann pfeift es da oben ganz schön“, sagt Scheel. Nicht selten würden Blitze in der Nähe der Grabkapelle einschlagen. Ganz alleine mit dem toten König und der toten Königin könne der Württemberg an solchen Tagen leicht von einem der schönsten, zu „einem der unheimlichsten“ Arbeitsplätze der Stadt werden.

Anerkennung durch Arbeit in der Grabkapelle

Dennoch, Reinhold Scheel möchte seine einzigartige Arbeitsstätte nicht missen. Für den Rentner aus Fellbach ist es bereits die sechste Saison auf dem Württemberg. Vier bis fünf Tage pro Monat arbeitet der 65-Jährige in der Grabkapelle. Freut sich über jeden Besucher, der etwas über das Mausoleum, den König oder die Königin wissen will.

Scheel ist Realschullehrer für Geschichte und Theologie. Im Laufe der Jahre hat der Fellbacher aber auch in verschiedenen historischen Ausstellungen mitgearbeitet, etwa als das Alte Schloss 2006 zu 200 Jahren Königreich Württemberg einlud. Bei dieser Gelegenheit erzählte ihm Ulrich Krüger von der Schlösserverwaltung in Ludwigsburg, die auch für die Grabkapelle zuständig ist, dass für das Mausoleum noch Mitarbeiter gesucht würden.

Scheel griff zu, heute ist er über diese Entscheidung sehr glücklich. „Ich habe eine Aufgabe“, sagt der Rentner. Er wolle nicht ständig darüber nachdenken, was er den ganzen Tag mit seiner Zeit anfangen soll oder zu welchem Seniorennachmittag er heute gehen könnte. Bei seiner Arbeit in der Grabkapelle bekommt er Anerkennung. Außerdem kann er dort seiner Leidenschaft für die Geschichte nachgehen.

„Das hat der Fantasie Tür und Tor geöffnet“

Bei den Führungen kommt dem Fellbacher sein Lehramtsstudium zugute. „Man muss die Fakten so verknappen, dass die Leute auch etwas mitnehmen können“, sagt Scheel. Dabei räumt er auch gerne mal mit dem einen oder anderen historischen Mythos auf. Etwa mit der Geschichte von dem untreuen König Wilhelm I, der seiner Katharina nur aus schlechtem Gewissen eine so schöne Grabstätte errichten lies. Eine Geschichte, die laut Scheel keinesfalls bewiesen werden kann. Dagegen spreche etwa, dass Katharina ihr Testament rund ein dreiviertel Jahr vor ihrem Tod habe ändern lassen, und zwar zu Gunsten ihres Mannes. So schlecht könne die Ehe also nicht gewesen sein. Wilhelm I. habe jedoch einen großen Fehler gemacht. Er wollte nicht, dass die Nachwelt seine innersten Gedanken und Gefühle erfährt und vernichtete deshalb vor seinem Tod all seine persönlichen Aufzeichnungen. „Das hat der Fantasie Tür und Tor geöffnet“, sagt der Geschichtslehrer.

Und ganz gleich wie es der verstorbene König nun mit der Treue gehalten hat, für Scheel bleibt die Ehe zwischen Wilhelm I. und Katharina eine romantische Liebesgeschichte. Katharina kam 1815 im Zuge einer Westeuropareise nach Stuttgart, wo sie ihren Cousin, Kronprinz Wilhelm, zum ersten Mal sah. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, behauptet Scheel – zur damaligen Zeit nicht unbedingt ein verbreitetes Motiv für eine Hochzeit. Die Geschichte der Liebesheirat sorgt allerdings gleich für den nächsten Mythos. In die Außenfassade der Grabkapelle ist der Satz „Die Liebe höret nimmer auf“ eingemeißelt. Eine romantische Botschaft von König Wilhelm I. an seine Katharina? Nein, leider nicht. Der Spruch wurde beim Bau des Mausoleums von den Theologen ausgesucht und nicht vom König selbst, klärt Scheel auf.