Frisch sollen die Zutaten in der Spitzengastronomie sein. Doch das reicht nicht... Foto: dpa

In der Region Stuttgart gibt es 22 Sternerestaurants. Trotzdem sind die Lokale nur selten ausgebucht. Doch wer neue Gäste für die Sterneküche will, muss über alte Gewohnheiten nachdenken, kommentiert unser Gastro-Experte Matthias Ring.

Stuttgart - Kann man denn bald nirgendwo mehr vernünftig essen?!“ So etwas hört man von Kollegen, wenn man sich damit beschäftigen muss, dass es immer mehr Sterne in der Region gibt. Doch, man kann – vielleicht sogar in den 22 Restaurants, die unsere Liste zeigt. Aber was ist mit den Adressen für die „normalen“ Gäste, die nicht 300 Euro für einen Abend zu zweit investieren können oder wollen? Die gibt es natürlich zuhauf, denn man muss auch klar sagen: Sternerestaurants sind die große Ausnahme. Und häufig sind sie eine Welt, die vielen verschlossen bleibt.

Dabei rufen doch alle Gourmetführer den Trend zum „casual fine dining“ aus. Und wo bitte gibt es das in Stuttgart? So gut wie nirgends, es sei denn, man is(s)t als Gast schon sehr selbstbewusst. Denn casual fine dining bedeutet nicht nur, dass man ohne Anzug und Krawatte speisen darf. Nein, der Trend soll auch heißen, dass man unkompliziert essen kann, ohne großes Gedöns und ohne großes Menü. Aber die Realität sieht meist so aus, dass man vier Stunden am Tisch sitzt – und das muss bezahlt werden. Aber will das wirklich jeder? Wären nicht auch eine Vorspeise, ein Hauptgericht und ein geteiltes Dessert möglich? Dann könnte der Tisch vielleicht sogar zweimal an einem Abend belegt werden.

Wollen wir uns bedingungslos ausliefern?

Zugegeben, eine logistische Herausforderung, die man lieber mit Zwangsmenüs zu umgehen sucht. Sei es mit der À-la-carte-Preispolitik oder mit einem einzigen Menü „zur Wahl“, gerne auch als Überraschung. Da kann man sich dann darüber austauschen: „Meine Gänseleber ist wunderbar schmelzig. Und wie ist deine?“ – „Meine ist ekelhaft fettig.“ Sorry, wollten wir uns bedingungslos ausliefern, was durchaus spannend sein kann, gingen wir wenn schon, denn schon nach Berlin, wo es mit geballter Faust heißt: Gegessen wird, was auf den Tisch kommt – und das kommt „brutal lokal“ nicht von weiter her als 90, 60, 50 Kilometer. Oder wie wär’s mit einem Gourmettrip nach Hamburg zu Kevin Fehling mit seinem Chef’s Table? Ein Tisch, ein Menü – aber drei Sterne!

So gesehen herrscht bei aller Vielfalt der acht Sterneküchen in Stuttgart der Mainstream. Und aus dem würden wir uns gerne was aussuchen. So lange aber überkommene Rituale wie Gänseleber als fragwürdiger Auftakt oder Käsewagen als mächtiges Finale eines Fünf-Gänge-Menüs immer und immer wieder aufgeführt werden, wird es wenig neue Gäste geben. Zumindest nicht solche, die „vernünftig essen“ wollen.