Nicht nur eine bar sondern allgemein ziemlich viel Platz und einen wunderbar lauschigen Innenhof voller Tische und Stühle hat die Bo’teca di Vino. Foto: Manuel Wagner/Björn Springorum

Die 34 Sitzplätze seiner Bo’teca di Vino bekommt Sebastian Werning künftig locker in seinem schönen Innenhof unter. Das ist nicht der einzige Grund, weshalb er sich über die Eröffnung seines neuen, legeren Restaurants im Künstlerhaus in der Reuchlinstraße im Stuttgarter Westen freut.

Stuttgart - Sebastian Werning schaut sich verzückt in seinem neuen Laden um. Die letzten Wochen waren hart, arm an Schlaf und reich an Arbeit. Doch er strahlt. „Ich habe endlich eine Bar!“, verkündet er und zeigt auf den Tresen hinter sich, an dem unter anderem Gruibinger Bier vom Fass ausgeschenkt wird. Und nicht nur das: Er hat außerdem ziemlich viel Platz und einen wunderbar lauschigen Innenhof voller Tische und Stühle. Alles Dinge, die ihm in den letzten Jahren fremd waren.

Werning, der mittlerweile die 40 geknackt hat, führt mit der Bo’teca di Vino seit 2007 ein sehr feines, aber eben auch sehr kleines Lokal in Botnang. Das gibt er natürlich nicht auf, wird weiterhin als Patron präsent sein, wenn es geöffnet hat. Mit seinem neuen Restaurant, das den selbsterklärenden Namen Im Künstlerhaus trägt, hat er sich jetzt aber eben die Wünsche erfüllt, die ihm seine weithin bekannte Fine-Dining-Adresse nicht bieten kann. Wenn auch irgendwie ungeplant.

Das Restaurant soll ein unkomplizierter Ort sein

„Anfangs suchte ich eigentlich nur nach einer neuen Location für die Bo’teca“, verrät er. Über gemeinsame Bekannte lernte er Romy Lange und Fatima Hellberg vom Künstlerhaus kennen, ließ sich den Rohbau nach dem Auszug des vorherigen Pächters Zadu zeigen – und war sofort Feuer und Flamme. „Ich meine, die Küche in der Bo’teca hat zehn Quadratmeter“, holt er aus und zeigt zusätzlich mit den Armen, wie wenig Raum das eigentlich ist. „Da ist so viel Platz wirklich was Besonderes. Ich wusste sofort: Das hier ist nicht der Ort für die neue Boteca, sondern für irgendetwas anderes.“ Werning betont oft und gern, dass es sich bei seinem neuen Restaurant nicht um eine zweite Bo’teca handelt. „Ich wollte eine Art Bistro, ein Restaurant, das man sich öfter leisten kann als die Bo’teca.“

Wenn er privat essen geht, legt er Wert auf gute, hausgemachte Küche und gute Weine. Solch einen unkomplizierten Ort will er jetzt mit seinem Restaurant im Künstlerhaus schaffen. Die Voraussetzungen sind gut, hochwertige und bezahlbare Küche ist gefragt, aber immer noch selten, das Interesse an heimischem Wein wächst. „Zudem gibt es gerade in der Innenstadt gefühlt nur noch Franchise-Unternehmen, weil sich sonst niemand die Pacht leisten kann.“ Einfach, aber gut, eine kleine, aber ausgesuchte Speisekarte: In seinem neuen Restaurant bietet Werning eine reduzierte Variante seines filigranen, mediterran/nordafrikanisch/asiatisch inspirierten Gourmet-Stils der Boteca. „Mein Stil ist derselbe“, betont er aber gleich. Der hat sich von der ersten Station seiner Ausbildung bis zur Bo’teca ausschließlich in der Sternegastronomie herausgebildet. So etwas prägt natürlich – und schärft den Sinn für Produktqualität.

Die Speisekarte hat ein erkennbare Linie

Auf der allerersten Künstlerhaus-Speisekarte finden sich vietnamesisch gewürzter Schweinebauch, marokkanische Poularde, Kalbstafelspitz, hausgemachte Pasta – ein wenig angelehnt an die Ursprünge der Bo’teca, nur verwurzelt im Zeitgeist. Eine erkennbare Linie, eine Handschrift, die ist dem gebürtigen Bielefelder wichtig. Und: Er will seine Küche nicht unter üblichen Schlagworten verortet, sondern eher als Fusion verschiedener Traditionen und Techniken verstanden wissen. „Da war meine Zeit in Kalifornien prägend“, meint er. „Dort spielt es keine Rolle, ob jemand französisch, mexikanisch oder asiatisch kocht. Es gibt dort so viele Einflüsse aus aller Herren Länder, dass es vollkommen egal ist, welche Stilistiken da gerade zusammenkommen.

„Provenienzforschung überlässt er also den anderen. Die werden immer noch Vorlieben aus all seinen Gerichten herausschmecken können; wichtiger ist Werning aber eine kreative, internationale Küche. „Ich koche das, worauf ich Lust habe“, sagt er. Klar, den Gästen muss es immer noch schmecken und gerade das wird sich im Künstlerhaus erst noch zeigen. „Die ersten Wochen sind eine Findungsphase“, weiß er nach vielen Jahren in der Gastronomie. Er will flexibel bleiben, die Karte öfter wechseln, über kurz oder lang auch Lunch oder gar Frühstück anbieten. „Davor müssen wir uns aber erst mal alle einfinden.“

Die Eröffnung findet in aller Stille statt

Alle, das sind neben ihm vier Kräfte in der Küche und zwei im Service. Solch eine Mannschaft muss man in der heutigen Zeit erst mal finden, wie Werning sehr wohl weiß. „Die Gastronomie ist an dieser Situation selbst schuld. Es gibt mehr als genug Kollegen, die mehr Geld machen wollen, indem sie ihr Personal schlecht bezahlen“, findet er direkte Worte. Werning hatte das Glück, dass sich einige seiner neuen Kräfte sogar direkt bei ihm meldeten, als sie Wind von seiner Neueröffnung bekamen. So kann es eben auch mal gehen. „Es hat sich also gelohnt, dass ich mir noch keinen Porsche geholt habe“, scherzt er.

Ein Jahr zog sich alles hin, am Ende ging mit den letzten Genehmigungen dann wieder alles so schnell, dass Werning sein zweites Baby praktisch inkognito eröffnete. Als Testphase gar nicht schlecht, wie er einräumt. „Mir ist es so lieber als eine pompöse Eröffnung, bei der dann etwas schiefgeht.“ Zudem hatte er dann immerhin noch ein wenig mehr Zeit für die Weinkarte.„Angefangen habe ich bei über 100 Posten“, klagt er. „Ich reduzierte, bis ich irgendwann bei 80 war. Immer noch viel zu viel. Also habe ich rigoros gestrichen, was mir sehr, sehr weh getan hat“, lächelt er gequält.“ Das Ergebnis: Einige heimische Weine, eine Künstlerhaus-Sonderabfüllung vom Weingut Rux, ausgewählte europäische Winzer – übersichtlich, aber punktgenau kuratiert. Und absolut ausreichend.

Die Lichter im Innenhof gehen an, das Lokal füllt sich langsam. Für Werning ist ein solches Nachbarschaftslokal etwas ganz Neues. Das Publikum der Bo’teca nimmt einige Kilometer Anreise in Kauf, um bei ihm zu speisen. Jetzt wird es vor allem der Westen sein, der bei ihm Platz nimmt. Als Spross eines Gastronomie-Ehepaars, das zwei gutbürgerliche Restaurants in Bielefeld führt, dürfte das auch eine Reise zurück zu den Ursprüngen sein – begleitet von geeister Zuckerschotensuppe, Schweinebauch und Kalbstafelspitz.