Bauingenieur, Archäologe und Templer: Gottlieb Schumacher Foto: Schumacher Institut, Uni Haifa

Das abenteuerliche Leben des Gottlieb Schumachers: Von der Uni Stuttgart ins gelobte Land.

Stuttgart - Gottlieb Schumacher ist vergessen, zumindest an der Universität Stuttgart. Dabei war ihr Absolvent als Bauingenieur, Archäologe und Templer vor über 100 Jahren eine der prägenden Figuren im damaligen Palästina.

Gottlieb Schumacher war ein umtriebiger Mann und ein Multitalent. Er war Mitbegründer von Haifa, erster Ausgräber des biblischen Megiddo, Eisenbahnpionier im Nahen Osten; er erhielt den Titel eines königlich württembergischen Baurats und war amerikanischer Vizekonsul in Palästina. Und er ging "über den Jordan". Schumachers Reisebericht "Across the Jordan" ist jetzt als Neudruck wieder erschienen. Darin beschreibt er ausführlich einen Ort, der zuletzt in den Schlagzeilen aufgetaucht ist: Deraa, auch Daraa oder Dar'a genannt.

"Überall sieht man die Ruinen antiker Gebäude und neuerer Hütten, die verlassen und zerfallen sind", schildert Schumacher 1884 den Ort in Südsyrien. Möglicherweise sieht es dort, wo vor ein paar Wochen der Aufstand gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad begann, auch heute so aus.

Auf ins gelobte Land

Verlässliche Angaben über die aktuelle Lage in Deraa und deren 120.000 Einwohner gibt es nicht. Seit dort Panzer eingerückt, seit die Wasser-, Strom- und Telefonleitungen gekappt sind, gibt es nur noch Gerüchte. Von Hunderten Toten ist die Rede, von beschossenen Moscheen. Möglicherweise tobt in Deraa ein Kleinkrieg in einer ausgedehnten alten Höhlensiedlung. Die erste Beschreibung dieser Unterwelt stammt von Schumacher. Diese Stadt im Untergrund ist bis zu 20 Meter tief in den Fels geschlagen und umfasst Räume, Gänge, Zisternen und Lüftungsschächte.

Im Lauf seiner Geschichte war Deraa, das antike Adraa, immer wieder ein Spielball der Mächte und der Mächtigen. Ein halbes Jahrhundert vor Schumachers Besuch war die Stadt menschenleer. Der Grund waren Blutrache und einfallende Stämme von der arabischen Halbinsel. Im biblischen Edrai, der Residenz des Königs Og von Basan, besiegten die Israeliten unter Führung von Moses in blutiger Schlacht die Riesen.

Als Gottlieb Schumacher 1884 über den Jordan ging, hatte er Großes im Sinn. Der Bauingenieur suchte eine Trasse für eine Bahnstrecke zwischen Haifa und Damaskus, die das Tal des Jordan 246 Meter unter Normalnull queren und bei Deraa in die geplante Hedschasbahn zwischen Damaskus und Medina münden sollte. Geldmangel stoppte beide Projekte. Erst Jahrzehnte später, als der deutsche Kaiser imperiale Ansprüche im Nahen Osten durchsetzen wollte, wurden die Bahnstrecken realisiert, zum Teil auf der von Schumacher geplanten Trasse. 1908 ist Deraa ein Bahnknoten und damit, am Vortag des Ersten Weltkriegs, strategisch enorm wichtig. Wenige Jahre später wird der britische Agent Thomas Edward Lawrence durch seine Anschläge auf die Hedschasbahn als Lawrence von Arabien zur Legende werden.

Gottlieb Schumacher wurde am 21.November 1857 in Zanesville, Ohio, geboren. Sein Vater Jakob aus Tübingen war 1848 mit zwei Brüdern in die USA ausgewandert. Der strenggläubige Pietist hatte sich früh den Freunden Jerusalems angeschlossen, aus denen später die Templergesellschaft hervorging. Als 1869 die langgehegten Pläne der Templer, nahe der heiligen Stätten in Palästina Kolonien zu errichten, greifbar schienen, packten auch die Schumachers ihre Sachen. Vater Jakob, die aus Wüstenroth stammende Mutter Julie und der zwölfjährige Gottlieb machten sich auf ins gelobte Land - und fanden zunächst nicht das Paradies.

Chefingenieur der IV. osmanischen Armee

Der Flecken am Mittelmeer hieß Caifas, Hepha oder Kayfa. Die Böden sind ausgelaugt und steinig. Die Feldfrüchte wollen nicht wachsen, der Wein verkümmert. Obwohl die Kolonisten "wie Helden mit dem Fieber kämpfen", heißt es in einer Chronik, "wurden Mann und Weib massenhaft weggerafft". Auch die Mutter stirbt. Noch bevor Gottlieb mit 18 Jahren als Gymnasiast nach Stuttgart geschickt wird, zeichnet er 1876 den ersten Plan der Kolonie. Sie zeigt Parzellen mit etwa 40 Häusern und Nebengebäuden. Gottlieb nennt den Ort Haifa. Der Name wird sich durchsetzen.

In Stuttgart besucht Gottlieb die Baugewerkschule, später das Königliche Polytechnikum. Das Studium an der Technischen Hochschule schließt er 1881 als Bauingenieur und Architekt ab. Zurück in Haifa wird er binnen kurzer Zeit zum gefragten Experten für Brücken- und Straßenbau, für Kartografie, für die Exploration und für Archäologie. Zudem werden dem Vorsteher der Templergemeinde neun Kinder geboren.

Im Auftrag der Osmanen vermisst Schumann, der neben Deutsch und Englisch auch perfekt Französisch, Arabisch und Türkisch spricht, den Golan und Nordsyrien. Er baut für Rothschild einen Weinkeller bei Jaffa, das russische Hospiz in Nazareth und den Kaiserdamm von Haifa, auf dem er zum Empfangskomitee gehört, als Wilhelm II. am 25. Oktober 1898 das Heilige Land betritt. Er baut die Fassade des sagenhaften omayyadischen Wüstenschlosses Mschatta ab, das der Sultan dem Kaiser zum Geschenk macht und seit 1903 als ein Glanzstück frühislamischer Kunst das Pergamonmuseum in Berlin schmückt.

Chefingenieur der IV. osmanischen Armee

Im Auftrag des Deutschen Palästina-Vereins gräbt Schumacher 1903 bis 1905 als erster Wissenschaftler in Megiddo, dem biblischen Amageddon, wo die Apokalypse des Johannes die Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse beschreibt.

Später findet sich Schumacher unvermittelt selbst auf dem Schlachtfeld wieder. Als Chefingenieur der IV. osmanischen Armee muss er für die Wasserversorgung des Heeres sorgen. Nach dem Krieg landet Schumacher bei den Briten auf einer schwarzen Liste und muss ausreisen. In Schwäbisch Gmünd gründet er ein Unternehmen zur Verwertung des Ölschiefers und muss, nach einem Schlaganfall 1922 gelähmt, lange auf die Rückkehrerlaubnis nach Palästina warten. Am 26. November 1925 stirbt Gottlieb Schumacher in Karmel.

Die Erinnerung an ihn wird in dem 1987 gegründeten Gottlieb-Schumacher-Institut der Uni Haifa wachgehalten, die sich der Erforschung des christlichen Beitrags zum Wiederaufbau Palästinas im 19.Jahrhundert widmet. An der Uni Stuttgart taucht der Name Schumacher bis heute nicht in der Liste berühmter Alumni auf.

Gottlieb Schumacher: Across the Jordan. Being an Exploration and Survey of Part of Hauran and Jaulan (1886), Neudruck Cambridge University Press 2010.