Ein Arbeiter entfernt die Straßensperrung auf der Gotthardpassstraße. Foto: dpa/Urs Flueeler

Nun ist die Gotthardpass, ein Klassiker der Alpenpässe, wieder offen: Was im Sommer vielen Reisenden ein imposantes Bergpanorama beschert, sorgt nicht zuletzt auch für die Entlastung des staugeplagten Tunnels.

Einsiedeln - Christi Himmelfahrt heißt in helvetischem Kirchendeutsch „Auffahrt“. Und eine Auffahrt der besonderen Art war es jüngst, als Autos, Velos und Motorräder am vergangenen Feiertag das erste Mal wieder über die Gotthardpassstraße fuhren. Diese ist nur im Sommer geöffnet.

Selbst in Corona-Zeiten mit noch geschlossenen Grenzen nach Italien ist und bleibt die Gotthardpassstraße eine Faszination – momentan vor allem für Schweizer Ausflügler ins Tessin. Oder zum Hospiz auf der Passhöhe. Dabei wollten schon – wie Ötzi – vor rund 5000 Jahren die Menschen das Gotthard-Massiv überwinden, um Handel zwischen Nord und Süd zu treiben.

Wie etwa die Säumer: Bauern, die einen Zuverdienst suchten. Sie überwanden mit Lasttieren wie Eseln und Pferden über halsbrecherische Pfade den Gotthard. 1218 passierten sie den ersten Holzsteg über die Schöllenenschlucht zwischen Göschenen und Andermatt. 1830 war dann die aktuelle Passstraße über den Gotthard erbaut und Postkutschen verkehrten zwischen Flüelen und dem Tessin: 20 Stunden brauchten sie dafür. Über den 2100 Meter hohen Pass dauert es heute mit dem Auto eine Dreiviertelstunde.

Noch viel schneller – nur eine Viertelstunde – geht es durch den 1970 begonnenen, 17 Kilometer langen Gotthardstraßentunnel, der nach zehn Jahren Bauzeit 1980 für den Verkehr geöffnet wurde. Doch die scheinbar schnelle Reisezeit trügt.

„Tropfenzählersystem“ im Tunnel

Denn längst hat der internationale Transitverkehr den Gotthardtunnel an seine Grenzen gebracht: Sechs Millionen Fahrzeuge pro Jahr fahren durch die Röhre – nur über den Brenner sind es mehr. Und seit 2001 bei einem Lastwagenunfall elf Menschen in dem im Gegenverkehr zu befahrenden Tunnel ums Leben kamen, stauen sich praktisch jeden Tag kilometerlang die Kolonnen vor dem Nordportal im Kanton Uri und dem Südportal im Tessin. Grund: Ein „Tropfenzählersystem“ lässt pro Stunde per Ampelregelung nur noch 1000 Autos aus Sicherheitsgründen durch. Wobei ein LKW drei Autos entspricht. Und es hat viele Lkws am Gotthard.

Die Schweizer Politik lässt die einheimischen und europäischen Autofahrer und Ferienreisenden besonders über Ostern und während der Sommerferien vor dem Gotthard gerne in den Staus schmoren – protegiert sie doch grundsätzlich den Bahnverkehr.

Der erste Gotthard-Eisenbahntunnel entstand zwischen 1872 und 1880, der erste Straßentunnel erst 100 Jahre später. Mit dem Mega-Milliarden-Schienenprojekt, dem Gotthard-Basistunnel, soll die Herrschaft der Schiene am Gotthard nun endgültig zementiert werden. Mit 57 Kilometern ist er der längste Eisenbahntunnel der Welt, er wurde 2016 eingeweiht.

Beim Bahnverkehr fehlen die guten Anschlüsse im Ausland

Zwar sind Zugreisende von Zürich nun tatsächlich eine halbe Stunde schneller in Bellinzona und Mailand. Doch bekanntlich steht es schlecht um die Schienenkapazitäten außerhalb der Schweiz in Deutschland und Italien. Konsequenz: Der größte Teil des Güterverkehrs läuft nach wie vor auf Lastwagen durch den Gotthardstraßentunnel. Die Staus hören nicht auf.

Wohl haben die eidgenössischen Verkehrsplaner mittlerweile ein Einsehen mit den Autofahrern. Bis 2029 soll eine zweite Straßenröhre neben der bestehenden durch das Gotthard-Massiv gebohrt werden. Noch diesen Sommer ist der Baustart geplant. Doch für ein Ende der Staus wird der zweite Tunnel nicht sorgen.

Kein Ausbau „hochrangiger Straßen“ in den Bergen

Denn die Politiker in Bern wollen nicht wie etwa beim 6,7 Kilometer langen Pfändertunnel in Vorarlberg durch einen Ausbau doppelte Fahrspuren pro Röhre realisieren und damit mehr Verkehrsfluss garantieren. Jeweils nur einspurig soll der Verkehr künftig pro Tunnel den Gotthard durchqueren. Aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell heißt.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Verkehrspolitik der Schweiz lehnt grundsätzlich einen weiteren Ausbau „hochrangiger Straßen“ in den Bergen ab – so wie es in der mitunterzeichneten internationalen Alpenkonvention von 1991 in Stein gemeißelt wurde. Nachhaltiger, Lärm und Abgas reduzierender Verkehr sei angesagt. Eine ökologisch hehre Mobilitätsstrategie, die tagtäglich an der Realität des Straßenverkehrs am Gotthard scheitert. Auch in Zukunft.