Die Bauarbeiten für den Gotthard-Basistunnel laufen auf Hochtouren. Foto: © AlpTransit Gotthard AG

Mit interaktiver Grafik - Seit 16 Jahren wird bereits gearbeitet, in knapp neun Monaten soll der Gotthard-Basistunnel fertig sein. Bisher läuft alles nach Plan. Ein Besuch auf der Baustelle des Milliardenprojekts.

Erstfeld - Warm anziehen müssen sich die Arbeiter auch heute nicht. Die Temperatur im Berg beträgt konstant 28 Grad – und das, obwohl die gigantischen Lüfter längst laufen. „Die beste Klimaanlage sind immer noch die Züge aus dem Norden, weil sie kühle Luft vor sich herschieben“, scherzt Dino Alfaré. Der Bahntechnikleiter im längsten Eisenbahntunnel der Welt erinnert sich an andere Zeiten: „Als die Tunnelbohrmaschinen liefen, wurde es hier unten bis zu 50 Grad warm. Da hat niemand gefroren.“

Hier unten – gemeint ist die Großbaustelle des Gotthard-Basistunnels in der Schweiz, die wie ein Bergwerk anmutet. Verschlungene Lüftungsschächte, Fluchtstollen, Zwischengänge und Wartungswege lassen die 57 Kilometer langen Gleisröhren wie eine Nebenstrecke wirken. Das Licht ist schummerig, obwohl alle paar Meter ein Baustellenstrahler steht. Die scheinbar endlose Röhre wirkt verlassen. Hier und da geht ein Windzug durch die trockene, staubige Luft. Ein Quietschen ist in der Ferne zu hören, eine Stimmung wie in der Geisterbahn.

In Wahrheit laufen die Arbeiten auf Hochtouren. Zu Spitzenzeiten waren bis zu 2400 Personen rund um die Uhr im Tunnel beschäftigt – heute sind es noch einige Hundert. Doch in dem Bauwerk, das fast so lang ist wie die Autobahnstrecke zwischen Freiburg und Offenburg, gehen die schon mal unter. Die Distanzen sind so weit, dass viele Arbeiter ihre Wege mit dem Fahrrad zurücklegen. Wer einen Hammer braucht, die Thermoskanne sucht oder das Plumpsklo („Mobi-Toi“) aufsucht, muss dafür schnell ein paar Kilometer zurücklegen.

Am 1. Juni 2016 soll der Gotthard-Basistunnel in Betrieb gehen

Den Autotunnel durchs Gotthard-Massiv gibt es seit Jahrzehnten – nun kommt im Zuge des Schienenausbaus eine moderne Eisenbahnstrecke hinzu. Seit 1999 laufen die Bauarbeiten; am 1. Juni 2016 sollen die ersten Züge durch die Alpen rollen. „Wir sind stolz darauf, dass wir bisher alle Eckpunkte erreicht haben“, sagt Marco Hirzel, Projektleiter des Konsortiums Transtec Gotthard. Es spricht von einer „logistischen Meisterleistung“ und betont, dass in den kommenden Monaten zahlreiche Testfahrten und Notfallübungen anstünden. Und Schulungen. „Wir müssen 2900 Bahnmitarbeitern erklären, wie der Tunnel funktioniert“, sagt Hirzel.

Wie komplex die Technik ist, zeigt sich an der Multifunktionsstelle Sedrun. Der Mini-Bahnhof soll nur im Notfall zum Einsatz kommen, etwa wenn ein Zug brennt und evakuiert werden muss. Die Station ist hell erleuchtet; es gibt einen Bahnsteig, ein Abstellgleis und Fluchtwege, die in die Parallelröhre führen. „Dort herrscht Überdruck, so dass keine giftigen Gase eindringen können“, erklärt Technikchef Alfaré. Wärmebildkameras sollen im Notfall genau erfassen, an welcher Stelle ein Zug brennt, damit das Lüftungssystem sich automatisch darauf einstellt. Zudem verläuft eine Wasserleitung quer durch den Tunnel.

11,2 Milliarden Euro wird der neue Gotthard-Tunnel voraussichtlich kosten

Zwei solcher Multifunktionsstellen gibt es im Tunnel; auf der restlichen Strecke befindet sich alle 325 Meter ein Querschlag, der die beiden Röhren verbindet. Zu Fuß sollen sich Reisende aber nicht auf den Weg ins Freie machen: „Wir evakuieren mit einem anderen Zug“, erklärt Alfaré, denn das sei schneller und sicherer. Damit Durchsagen im Notfall auch verstanden werden, wurden die Wände der Fluchtstollen mit schallabsorbierendem Putz überzogen – High Tech, die ihren Preis hat. Rund 11,2 Milliarden Euro wird der Tunnel nach aktuellen Schätzungen kosten.

Sogar ein kleines Wasserkraftwerk befindet sich unter der Erde. „Eigentlich ist es nur ein Spielzeug“, sagt Paolo Pollicini, der die Wassersysteme im Tunnel überwacht. „Der Strom, der hier hergestellt wird, reicht gerade einmal für 200 Familien.“ Trotzdem, sagt Pollicini, sei die Einrichtung sinnvoll. „Warum sollten wir das nicht nutzen? Das Wasser brauchen wir ja sowieso.“ Es ist nötig, um stets Löschwasser zur Verfügung zu haben – und rauscht von Sedrun 800 Meter in die Tiefe.

Frühere Pläne sahen sogar eine Haltestelle im Tunnel vor, die per Aufzug ans Skigebiet angebunden ist. Wegen der enormen Kosten wurde die „Porta Alpina“ jedoch verworfen. „Dennoch ist die touristische Nutzung eine faszinierende Idee“, sagt Olivia Ebinger vom Bundesamt für Verkehr. „Wenn es die Technik irgendwann erlaubt, findet sich vielleicht ein Investor.“ Bis dahin bleibt der Besucherraum eine dunkle Höhle mit einem Fenster. Die 200 km/h schnellen Züge müssen fürs Erste ohne Beobachter auskommen.