Cécile B. Evans kombiniert in ihrem Video „Amos’ World“ Reale Bilder mit animierten Figuren. Foto: Evans

Die Villa Merkel in Esslingen hat sich für „Good Space“ eine wahrlich imposante Dependance ausgesucht: In den einstigen Königlich Württembergischen Eisenbahnwerkstätten flimmert internationale Videokunst.

Esslingen - Die einen sind in Badeschlappen unterwegs, die anderen im goldenem Pailletten-Shirt. Eine Frau zerrt einen riesigen Rollkoffer mit, der sich kaum bewegen lässt, denn die Reise führt über unwegsames Gelände. Die kuriose Schar reist nicht übers Meer, sondern durchwandert es. Mühsam marschieren die Gestalten über den Meeresgrund. Als Besucher aktueller Ausstellung ist man schon so geeicht auf die Themen Flucht und Kolonialismus, dass man das Video über die eigenwillige Unterwasserparade reflexhaft mit Flucht in Verbindung bringt: Mit Sauerstoff und Bleigewichten in ein besseres Leben.

Denn selbstverständlich will auch die neue Ausstellung der Villa Merkel die ganz großen Fragen unserer Zeit verhandeln. In „Good Space – Communities, oder das Versprechen von Glück“ geht es um Gemeinschaft und die Frage, wie der Wandel von Umwelt und Ökonomie das Zusammenleben der Menschen beeinflusst – womit man zwangsläufig auch bei Flucht und Kolonialismus landet. Martha Atienza hat ihre Videoarbeit dagegen auf ein konkretes Ereignis bezogen, einen Festzug in ihrer philippinischen Heimat, für den sich die Menschen traditionell verkleiden. Die Parade hat die Künstlerin auf den Meeresgrund verlegt, um darauf hinzuweisen, dass die Netze der Fischer immer häufiger leer bleiben. Deshalb vergeht den Menschen zunehmend die Lust an der fröhlichen Maskerade.

Der Ton hüpft durch die Halle

Andreas Baur und sein Kuratorenteam haben für ihre ambitionierte Sommerausstellung Künstlerinnen und Künstler mit kunterbunten Migrationshintergründen eingeladen, nicht nur die bürgerliche Villa Merkel, sondern auch eine wahrlich imposante Location zu bespielen: die EAW-Hallen, die gigantische Ausmaße besitzen. Dort, wo einst die Königlich Württembergischen Eisenbahnwerkstätten untergebracht waren, flimmern nun Videos auf großen Leinwänden und hat Fatma Bucak 122 Emailleschüsseln aufgestellt. Denn es tropft – mal hier, mal dort. Fröhlich hüpft der Ton durch den Raum, als regne es durchs Dach. Stimmt aber nicht, die Tropfgeräusche werden künstlich erzeugt.

„Das Virtuelle ist sehr real“, heißt es passend dazu ein paar Meter weiter. In ihrer Videoinstallation „Deep Down Tindal“ zeigt die französische Künstlerin Tabita Rezaire die dunklen Seiten des Internets auf. Die 800 000 Kilometer Kabel, die die Lichtsignale durchs Meer leiten, setzten die kolonialen Strukturen letztlich fort und reproduzierten die Vorherrschaft des Westens. Heute, so die These der Künstlerin, stiehlt das „Imperium der Macht“, Daten und Arbeitskraft mit Hilfe des Internets.

Kinder rappen wie harte Kerle

Hier jagt die Kamera an Zelten der Obdachlosen von Los Angeles vorbei, dort mixen sich Animation und Realfilm. Auch in der Villa Merkel flimmern zahlreiche Videos in den abgedunkelten Räumen – und hört man es plötzlich rappen. Doch die Jungs, die hier das harte Leben besingen, sind keine abgebrühten Kerle, sondern Kinder, zwölf-, dreizehnjährige englische Jungen, die erzählen, dass sie ausziehen mussten, weil das Haus verkauft wurde. Mikhail Karikis hat die Kinder begleitet zu den Orten, an denen sie sich gern treffen.

Nach so vielen Videoarbeiten ist es ein überraschendes Vergnügen, in der Villa Merkel dann doch auch auf ganz unmittelbare, reale Malerei zu treffen, die nach dieser virtuellen Weltreise umso sinnlicher und präsenter wirkt: Alberto Zamora Ruiz hat seine gerahmten Bilder durch Wandmalereien erweitert – auf der Wand zeigt er einen mit energischen Strichen gezeichneten Bungalow und im Rahmen einen Innenraum. Innen und außen werden raffiniert verquickt.

Die Bevölkerung kann Pflanzen vorbeibringen

Faszinierend sind auch die „Hybride“ von Gabriela Oberkofler, die mit hauchzarten Aquarellstrichen Pflanzen, Blätter oder Samenstände mit enormem Detailreichtum zeichnet. Die Stuttgarter Künstlerin befasst sich immer wieder mit der Natur und hat für die Esslinger Ausstellung das Thema Gemeinschaft ernst genommen: Vor dem Bahnwärterhäuschen soll ein Gemeinschaftsgarten entstehen. Die Esslinger sind aufgefordert, eine Pflanze vorbeizubringen und das Grün zu hegen und zu pflegen.

So spiegelt die Ausstellung die typischen Spielarten der Kunst, wie man sie derzeit sehr häufig antrifft: hier der globale Blick auf Umwelt, Flucht und koloniale Strukturen, dort ganz handfeste, partizipative Projekte mit der Bevölkerung – gewürzt mit Kuratorentheorie. Entsprechend heißt es im Esslinger Kurz-Führer, dass der „Ausstellungsessay“ entlang der Architekturen von Macht navigiere und dass Zeit-Räume ins Spiel kämen, in denen sich Technologie und Spiritualität kreuzten.

Bei den Arbeiten von Lin May Saeed geht es dagegen schlicht um Mensch und Tier. Die deutsch-irakische Künstlerin, die in Berlin lebt, legt sich nicht auf ein künstlerisches Medium fest, sondern macht Objekte, Scherenschnitte, Zeichnungen, die doch alle nur eines wollen – vor Augen führen, wie grausam der Mensch sein kann und mit welcher Brutalität er der Tierwelt mitunter zusetzt.