Schlaghosen und lange Haare: Die 13c auf Klassenfahrt in Amsterdam. Foto:  

Sie haben vor einem halben Jahrhundert Abitur gemacht. In Esslingen treffen sich Absolventen des Georgii-Gymnasiums zum Klassentreffen und erinnern sich.

Auch nach 50 Jahren muss Petra von Sobbe nach ihrem Abizeugnis nicht lange suchen. 1975 hat sie in der Klasse 13c am Esslinger Georgii-Gymnasium ihr Abitur bestanden. Jetzt gibt es ein Klassentreffen, das Bernhard Kciuk organisiert hat.

 

Viele der ehemaligen Schulkameraden sehen sich nach fünf Jahrzehnten zum allerersten Mal wieder. Einer ihrer früheren Mitschüler ist Roland Karpentier, den in Esslingen viele kennen dürften. Als Pressesprecher und Leiter des OB-Büros war der 68-Jährige über viele Jahre so etwas wie die Stimme des Rathauses.

Jungs und Mädchen in der Schule meist getrennt

Dass die beiden 1966 zusammen in eine Klasse kamen, war nicht selbstverständlich. Damals galt noch weitgehend Geschlechtertrennung nach der Grundschule. In Esslingen wurde nur am Georgii-Gymnasium bereits gemischt unterrichtet. Am Standort des heutigen Mörike-Gymnasiums war die Mädchenoberschule. Roland Karpentier erzählt, dass er von seinen Freunden der Einzige war, der nicht auf das Schelztor-Gymnasium ging, das damals noch in der Stadtmitte untergebracht und den Jungs vorbehalten war. Doch die Koedukation sollte auch in den anderen Schulen bald eingeführt werden.

Wie war der Schulalltag vor einem halben Jahrhundert? Petra von Sobbe erinnert sich, dass es weniger Nachmittagsunterricht gegeben hat, dafür der Samstag ein Schultag war. Das Gymnasium dauerte neun Jahre, und auch in der 12. und 13. Klasse gab es noch richtige Noten, berichten die beiden. Heute wird ab der Oberstufe ein Punktesystem von 0 bis 15 angewandt. Auch Leistungskurse gab es noch nicht. Die reformierte Oberstufe, auf die sich die Kultusministerkonferenz 1972 geeinigt hatte, wurde in Baden-Württemberg erst ab 1977 umgesetzt. Vier schriftliche Abi-Klausuren in den Haupt- und Wahlfächern wurden geschrieben. Bei wem die Ergebnisse zu sehr von der Anmelde-Note abwichen – nach oben wie nach unten –, musste in die mündliche Prüfung.

Roland Karpentier und Petra von Sobbe haben vor 50 Jahren Abitur gemacht. Foto: Roberto Bulgrin

„Wir haben nur aus Büchern und unseren Heften gelernt. Ab und zu wurden unter großem Aufwand auch Filme zu bestimmten Themen gezeigt“, sagt Petra von Sobbe, die später an Grundschulförderklassen unterrichtet hat. Googeln oder Nachhilfe-Videos auf Youtube – das gab es damals natürlich nicht. Nicht mal Fotokopien waren üblich. Zur Vervielfältigung wurden Matrizen verwendet, die intensiv rochen und bei denen gern mal das Blau abfärbte, erzählt die 70-Jährige. Ihre Heftführung sei offenbar so schön gewesen, dass ihr Lehrer sie darum bat, die Chemiehefte behalten zu dürfen.

Strafe mit dem Stock

Präsentationen und Gruppenarbeit, die heute an den Schulen eine immer wichtigere Rolle einnehmen, waren vor 50 Jahren kein Thema. „Es war reiner Frontalunterricht“, sagt die Esslingerin. Selbst körperliche Züchtigung hat sie zumindest bis zur Mitte ihrer Schullaufbahn noch miterlebt. Und auch Roland Karpentier hat jenen Lateinlehrer bis heute nicht vergessen, der Schüler nach draußen schickte, um Zweige abzuschneiden, die er die Unartigen dann als Stöcke spüren ließ.

Lange Haare und eine rebellische Zeit

Aber die Siebziger waren auch eine rebellische Zeit, sichtbar nicht zuletzt an den langen Haaren fast aller Jungs der Abiturklasse. „Das Establishment wurde angefeindet, und es gab viele Demos“, sagt Karpentier. Ein kleiner roter Punkt an der Windschutzscheibe etwa wurde in Esslingen zum Symbol eines wochenlangen Protests gegen höhere Ticketpreise. „Die Autos standen am Bahnhof Schlange, um Fahrgäste mitzunehmen“, erzählt er. So wurde Druck auf die Verkehrsbetriebe ausgeübt. Sein Jahrgang hat sich den Abi-Scherz erlaubt und den Fiat eines Lehrers ins Schulhaus getragen.

Zwischen Esslingen und den Fildern pendelte die Straßenbahn

Heute sind Whatsapp-Gruppen die wahrscheinlich wichtigsten Lebensadern vieler Klassen. Damals haben sich die Mitschülerinnen und Mitschüler vor allem auf dem Schulhof getroffen und ausgetauscht. Nach dem Unterricht hatte jedes Grüppchen seinen Treffpunkt, erzählen die beiden. Beliebt sei der Bahnhof gewesen, denn ab hier pendelte die Straßenbahn END, auf die viele Schülerinnen und Schüler angewiesen waren, zwischen Esslingen und den Fildern. Wer Geld hatte, sei auch mal ins Konditorei-Café Geiger im heutigen LBBW-Gebäude in der Bahnhofstraße gegangen.

Schreckgespenst der Boomer: der Numerus clausus

Die Abschlussnoten waren vor 50 Jahren wichtig. Ob bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder bei der Studienplatzvergabe – überall machten sich die geburtenstarken Jahrgänge Konkurrenz. „Der Numerus clausus war ein riesiges Thema“, sagt Roland Karpentier, der eine duale Verwaltungsausbildung eingeschlagen hat. Für sehr viele Fächer, nicht nur Medizin, gab es Zulassungsbeschränkungen. Was nach dem Abschluss kam, war 1975 zumindest für die Jungs vorherbestimmt. Sie mussten zur Bundeswehr gehen oder ihren Zivildienst ableisten.

Historie

Jubiläum
Das Klassentreffen nach 50 Jahren hat Bernhard Kciuk auf die Beine gestellt. Dafür hat er wochenlang recherchiert und viele Mitschülerinnen und Mitschüler der 13c gefunden. 18 Jubilare und ein Lehrer haben zugesagt, darunter ist auch die Stuttgarter Opernsängerin Ulrike Sonntag. Sechs Mitschüler leben nicht mehr. Auf dem Programm steht an diesem Freitag unter anderem ein Rundgang im Georgii-Gymnasium mit dem heutigen Rektor Gereon Basler.

Kurzschuljahre
Wer in den 1970er Jahren seinen Abschluss gemacht hat, der kennt noch Kurzschuljahre. Nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz wurde der Schuljahresbeginn einheitlich auf Spätsommer verlegt. Bis dahin startete in Baden-Württemberg das Schuljahr nach Ostern. Um den Übergang zu schaffen, wurden 1966 und 1967 zwei Schuljahre in weniger als eineinhalb Jahren komprimiert. Während der Corona-Pandemie hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann diese Zeit in Erinnerung gerufen, um den wegen der Schulschließungen unter Druck stehenden Prüflingen Mut zu machen.