Ein Auto steht verbotenerweise auf einem Behindertenparkplatz. Die Frage, wer diese Parkplätze alles nutzen darf, könnte bald ein Thema werden. Foto: Michael Steinert

Die Göppinger Kreisbehindertenbeauftragte Claudia Oswald-Timmler hat eine Petition gegen Pläne aus dem Sozialministerium in Berlin initiiert. Aus ihrer Sicht drohen Schwerbehinderten erhebliche Verschlechterungen.

Göppingen - Was wäre, wenn Rollstuhlfahrer künftig nicht mehr behindert genug wären, um das Recht zu haben, ihr Auto auf einen Behindertenparkplatz zu stellen? Oder wenn junge Dialysepatienten einen höheren Behinderungsgrad – und damit mehr Unterstützung – bewilligt bekommen würden, als ältere, weil Nierenerkrankungen im Alter ja recht verbreitet sind? Oder wenn sich Behinderte rechtfertigen müssten, die nach einer Behandlung nicht die theoretisch bestmögliche Verbesserung ihres Gesundheitszustands erreichen würden?

„Das ist so ein Skandal, da musste ich einfach etwas tun“, schimpft Claudia Oswald-Timmler. Die Kreisbehindertenbeauftragte kämpft zusammen mit zwei Mitstreiterinnen mit einer Petition gegen Pläne aus dem Bundessozialministerium, die nach ihrer Ansicht die Unterstützung für viele Behinderte reduzieren würde. Konkret geht es um die Überarbeitung der Versorgungsmedizin-Verordnung, die zum Beispiel regelt, wie hoch der Grad einer Behinderung eingestuft wird und welche besonderen Hilfen und Rechte Menschen mit einer Behinderung eingeräumt werden, damit sie an der Gesellschaft teilhaben können. Auch Gewerkschaften und Sozialverbände wehren sich gegen die Pläne, weil sie Verschlechterungen für die 7, 8 Millionen Menschen in Deutschland befürchten, die eine anerkannte Schwerbehinderung haben, also einen Behinderungsgrad von 50 Prozent und mehr.

Die Gewerkschaften springen den Behindertenverbänden bei

„Hoyerswerda, Bremerhaven, Dresden, oh, hier ist eine Unterschrift aus Stuttgart“, liest Oswald-Timmler vor, während sie sich durch einen Stapel Post arbeitet, der sich auf ihrem Schreibtisch türmt. Die Resonanz auf die Petition sei „gigantisch“. Schriftlich sind bereits mehr als 4000 Unterschriften bei ihr und ihren Mitstreiterinnen aus Hildesheim und Bremen eingegangen. Online sind es bereits mehr als 13 600 Unterzeichner. „Wir bekommen jeden Tag mehr Post“, erzählt die Behindertenbeauftragte. „Was mich besonders freut, ist, dass sich auch viele Bürger beteiligen, die nicht betroffen sind.“ So hätten viele Kollegen aus dem Landratsamt unterzeichnet, vor kurzem sei ein Mitarbeiter einer Degginger Firma in Arbeitsklamotten vorbeigekommen und habe einen ganzen Packen Unterschriften abgegeben, die in seinem Unternehmen gesammelt worden seien.

Dass die Petition so gut läuft, mag auch damit zusammenhängen, dass sich viele Gewerkschaften auf die Seite der Behindertenverbände gestellt haben und damit auch die Petition von Oswald-Timmler unterstützen. Sie befürchten vor allem, dass viele Betroffene ihren bisherigen Schwerbehindertenstatus verlieren könnten und damit den besonderen Kündigungsschutz, zusätzliche Urlaubstage oder das Recht, zwei Jahre früher in Rente zu gehen. Auch der Kreisbehindertenring hat sich hinter Oswald-Timmler gestellt. „Es ist wichtig, dass man darauf hinweist, dass bestimmte Änderungen problematisch wären“, sagt Heike Baehrens, die SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Kreisbehindertenring. Deshalb hält sie die Petition für eine gute Idee.

Bundestagsabgeordnete Heike Baehrens ist zuversichtlich

Allerdings ist Baehrens zuversichtlich, dass es am Ende keine Verschlechterungen für die Betroffenen geben wird. Das Sozialministerium habe stets darauf hingewiesen, dass es nicht darum gehe, jemanden schlechter zu stellen. Aber die Versorgungsmedizin-Verordnung sei mittlerweile mehr als 20 Jahre alt. In dieser Zeit habe es so viele medizinische Verbesserungen, neue Hilfsmittel für Behinderte und Fortschritte bei der Barrierefreiheit gegeben, dass man dies berücksichtigen wolle.

Außerdem gehe es auch darum, künftig zwischen Kindern und Erwachsenen zu unterscheiden. „Kinder brauchen eine besondere Betrachtung und dürfen nicht wie kleine Erwachsene behandelt werden“, erklärt sie. All dies solle die Reform erreichen. Baehrens zeigt sich zuversichtlich, dass die Kritik der Verbände und Betroffenen in Berlin gehört wird. Oswald-Timmler ist da skeptischer: „Es gibt zwar zum Beispiel neue Hilfsmittel, aber die kann sich nicht jeder leisten. Und es kommt auch nicht jeder damit zurecht.“ Der Gesetzgeber könne nicht einfach davon ausgehen, dass bei jedem alles optimal laufe. „Wie oft ist im wahren Leben schon alles optimal?“