Tatort Göppingen, 2. Oktober 2024: In einer Bar wurden drei Männer mit einer MP niedergeschossen. Foto: Marius Bulling/dpa

Eine Göppinger Führungsfigur der Schüsse-Cliquen soll für mehr als fünf Jahre hinter Gitter. Er war aber auch selbst Zielscheibe – indes starb ein Unbeteiligter.

Man nennt ihn Locke. Volles Haar, Vollbart, gepflegt. Der 25-jährige Kurde aus dem Irak gilt als Führungsmitglied der Gruppierung Zuffenhausen/Göppingen, die sich seit Jahren bewaffnete Auseinandersetzungen mit der ebenfalls multiethnischen, im Kern kurdisch geprägten Gruppe Esslingen/Ludwigsburg liefert. Wegen Drogendelikten, Waffenbesitzes und gefährlicher Körperverletzung muss er sich derzeit vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft hat am Freitag eine Haftstrafe von fünf Jahren und fünf Monaten gefordert. Einem Schuldner, der eine Strafzahlung von 5000 Euro verweigerte, soll er eine „Kugel in den Kopf“ angedroht haben.

 

Das Besondere bei dem Prozess der 18. Strafkammer: Bei dem Opfer handelte es sich um ein Mitglied aus den eigenen Reihen – einen nicht minder polizeibekannten 25-jährigen Schorndorfer, den Locke und sein ebenfalls angeklagter 31-jähriger Bodyguard im Februar 2024 am Bahnhof Göppingen in die Mangel genommen haben sollen. Für den 31-Jährigen hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer drei Jahre Haft gefordert – er soll unter anderem einem verdeckten Ermittler in Stuttgart-Wangen eine halbautomatische Schusswaffe verkauft haben.

Gleich zwei Fälle aus Göppingen werden vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich

Landgericht Stuttgart beschäftigen Fälle aus Göppingen

Im Landgericht beschäftigen sich derzeit gleich zwei Prozesse mit Gewaltstraftaten im Bereich Göppingen. Dazu gehört das Attentat in einer Bar nahe am Göppinger Bahnhof, als am 2. Oktober 2024 drei Gäste mit Maschinenpistole niedergeschossen wurden. Ein 29-Jähriger wurde in den Hinterkopf getroffen und starb. Seine 20 und 24 Jahre alten Begleiter überlebten schwer verletzt. Ein 18-Jähriger, zur Tatzeit 17, steht seit wenigen Tagen bei der 2. Jugendkammer wegen Mordes vor Gericht. In einer wegen Jugendschutzes nichtöffentlichen Verhandlung wird dem mutmaßlichen Mitglied der Esslingen/Ludwigsburg-Gruppe vorgeworfen, einen Anschlag auf die verfeindete Göppingen-Clique verübt zu haben.

Schüsse in Göppingen: Offenbar das Opfer einer Verwechslung

Allerdings: Die Männer, drei syrische Brüder, hatten mit der Clique überhaupt nichts zu tun. Sie waren offenbar das Opfer einer Verwechslung geworden. Bittere Ironie am Rande: Als der Prozess gegen den 18-Jährigen in Saal 6 des Stuttgarter Landgerichts beginnt, sitzt derjenige, den er eigentlich im Visier gehabt haben soll, nur wenige Meter entfernt in Saal 4. Beide wissen offensichtlich nichts voneinander.

Es handelt sich um Locke. Der 25-Jährige berichtet in seinem Verfahren bei der 18. Strafkammer, warum bei ihm in Göppingen eine scharfe Schusswaffe gefunden worden war – ein Teil der Anklage gegen ihn. Nach dem Anschlag auf die Bar sei ihm zugetragen worden, dass er das eigentliche Ziel gewesen sei. „Eine unangenehme Zeit“, sagt er. Ihm sei der Hass zwischen den Gruppen bekannt gewesen, sagt der 25-Jährige, der in der obersten Führungsriege der Zuffenhausen/Göppingen-Clique verkehrte, wie Gruppenfotos zeigen. „Aber dass es dann solche Anschläge gibt, war mir nicht bewusst“, sagt er. Freilich: Schon im März 2023 war auf einen Freund in Zuffenhausen geschossen worden, der seither im Rollstuhl sitzt.

Göppinger Angeklagte: Mit falschen Pässen und falschen Namen

Es heißt, dass die Polizei selbst dem 25-Jährigen mitgeteilt habe, dass er wohl das Opfer in der Bar hätte werden sollen. Volles Haar, Vollbart, gepflegt: Eigenschaften, die auch der erschossene 29-Jährige in der Bar hatte. Er saß mit dem Rücken zum Schützen. Ende September wird der Verteidiger des 25-Jährigen plädieren. Auch für den 31-jährigen Mitangeklagten, ein Bodyguard in der Göppinger Gruppe, wird ein Anwalt ein Plädoyer für eine geringere Strafe halten. Es gibt aber noch andere Fragen.

Beide sind irakische Kurden, aus ihrer Heimat geflüchtet, die lediglich mit einer Duldung in der Bundesrepublik leben. Beide waren im Besitz gefälschter Ausweise mit Aliasnamen – der eine mit bulgarischen, der andere italienischen Papieren. Der 31-Jährige ist bereits seit 2019 ausreisepflichtig. Und immer noch da – trotz fünf Verurteilungen und Haftstrafen. Das Justizministerium dazu: „Die Rückführung war bisher aufgrund fehlender Reisedokumente und der Vorgaben des Herkunftslandes zur Ausstellung von Passersatzpapieren und Rückführungen nicht möglich.“