Handgefertigte Perltaschen waren teuer – die Wirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre ließ den Markt zusammenbrechen. Auf den Taschen waren viele unterschiedliche Motive zu sehen. Foto: Museum im Storchen

Perltaschen aus der Hohenstaufenstadt waren in den 1920er Jahren ein gefragter Luxusartikel. Das städtische Museum im Storchen erinnert mit einer Sonderausstellung an die kurze, aber ruhmreiche Geschichte dieses textilen Geschäftszweigs.

Göppingen - Bei weitem nicht nur nette „Blumenmüschderle“ haben die Perlstrickereien in Göppingen zu bieten gehabt. Das zeigt die Ausstellung „Mode aus Göppingen. Perltaschen – ein Exportschlager in den 1920er Jahren“, die bis zum 19. August im städtischen Museum im Storchen zu sehen ist. In den Vitrinen werden exquisite Modelle gezeigt, die vor allem auf dem amerikanischen Markt der letzte Schrei waren und die für die gesamte Branche Maßstäbe setzte. Auf manchen Exponaten sind wie auf einer Postkarte Stadtansichten, malerische Winkel und Sehenswürdigkeiten aus ganz Europa verewigt. Einige der Strickereien beschäftigten sogar Künstler, die eigens Entwürfe fertigten.

Die Blütezeit der Perltaschenindustrie in Göppingen begann nach Ende des Ersten Weltkriegs. Bereits im Jahr 1924 gab es in der Stadt mehr als 40 Hersteller. Die größeren von ihnen beschäftigten in ihren Unternehmen 500 Personen und mehr, zumeist Heimarbeiterinnen, die die schwierige Arbeit für einen kargen Lohn erledigten. Doch auch als Unternehmerinnen waren Frauen in diesem neu erblühenden textilen Geschäftszweig erfolgreich, die Schwestern Emma Katharina Blessing und Klara Schmid etwa oder Hedwig Kurrle, die Begründerin des Roku-Kunstgewerbes. Auch Hedwig Banemann, die im Dezember 1941 zusammen mit ihrer Familie von den Nationalsozialisten nach Riga deportiert und im März des darauf folgenden Jahres im Wald von Bikernieki ermordet wurde, stellte Perltaschen her.

Weltwirtschaftskrise mit fatalen Folgen

Die Mehrzahl der Betriebe wurde freilich von Männern geführt, die zuvor häufig in völlig anderen Berufen tätig waren, wie der Friseur Fritz Dreher oder der Versicherungskaufmann Johannes Härter. Manche von ihnen kehrten in ihre alten Berufe zurück, nachdem mit Beginn der 1930er Jahre mit Perltaschen kein Geld mehr zu verdienen war. Die Börsenkrach an der Wall Street im Oktober 1929 und die darauf folgende Weltwirtschaftskrise hatten die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Württemberg zum Erliegen gebracht.

Unter den Herstellern der eleganten Täschchen findet sich auch der Name Karl Seyfang. Als es keinen Markt mehr für seine Produkte gab, bewies er erneut unternehmerisches Geschick. Er setzte mit großem Erfolg auf die Glasproduktion und gründete im Jahr 1930 die Gralglashütte in Göppingen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins wenige Kilometer entfernte Dürnau übersiedelt und mittlerweile auch schon Geschichte ist. Industriell gefertigte Glaswaren verdrängten die Gralglas-Produkte vom Markt.

Die Ausstellung stellt nicht nur die einzelnen Strickereien vor. Es wird auch gezeigt, wie aufwendig und mühsam die Herstellung dieser Taschen war. In einer der Vitrinen sind Mustervorlagen und ein Perlenschrank ausgestellt, der einst bei einer Heimarbeiterin in Holzhausen stand. In den vielen kleinen Schubfächern waren die filigranen venezianischen Glasperlen nach Farben sortiert.

So groß die Fingerfertigkeit der Perlfasserinnen und Perlstrickerinnen auch war, reich wurden die Frauen durch diese Tätigkeit nicht. Ihr karger Lohn hätte niemals ausgereicht, selbst eine dieser eleganten Taschen oder Beutel zu kaufen. Wenn überhaupt, konnten sie sich nur fehlerhafte und grob gearbeitete Stücke leisten oder aber billige maschinengewebte Perltaschen aus dem Erzgebirge, die die exklusiven Göppinger Modelle in den Dreißigerjahren langsam verdrängten.

Erste Blütezeit in Schwäbisch Gmünd

Die Göppinger Perlstrickereien produzierten vorwiegend für den Weltmarkt, den sie sich erobert hatten. Die kunstvoll gearbeiteten Taschen und Beutel wurden vor allem in die Vereinigten Staaten, aber auch nach England, Frankreich, Spanien und Italien exportiert, wo sie reißenden Absatz fanden.

Entsprechend gibt es vor allem in den USA Sammlungen, die die hohe Qualität und Vielfalt der Perltaschenproduktion in Göppingen bezeugen. So zeigt das Stadtmuseum auch Leihgaben von Kathy Glaeser aus dem amerikanischen Williamsville. Weitere Leihgeber sind Sabina B. Schürenberg aus Tübingen, eine profunde Kennerin der schwäbischen Perlstrickerei, sowie das Museum im Prediger in Schwäbisch Gmünd, das bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Hochburg der Perlstrickerei war. Der Staat Württemberg hatte diesen Gewerbezweig infolge der Hungerjahre 1816 und 1817 als Arbeitsbeschaffungsprogramm für die notleidende Bevölkerung aufgelegt. Nach einer ersten Blüte wurde von 1870 bis 1910 nur noch in Rechberg und in zwei Gmünder Betrieben gearbeitet, bevor die Göppinger Fabrikanten von 1910 an eine zweite Blütezeit einläuteten.

Umfangreiches Begleitprogramm

Sabina B. Schürenberg hält am Dienstag, 5. Juni, um 19.30 Uhr einen Vortrag über die Perlstrickerei in Göppingen. An den Sonntagen, 24. Juni, 15. Juli und 19. August finden jeweils um 13 Uhr Sammlergespräche statt. Kinder im Alter von acht bis elf Jahren dürfen am 31. Juli und am 9. August von 10 bis 13 Uhr selbst mit Perlen hantieren. „Die Qual der Wahl – Perltaschenmotive, eine Erinnerung an Europa“ lautet am 2. August um 19.30 Uhr der Titel ein weiterer Vortrag von Sabina B. Schürenberg. Ein informatives Heft über die Perltaschen-Produktion in Göppingen ist im Stadtmuseum erhältlich. Der Text ist in Deutsch und Englisch zu lesen.

Die Ausstellung ist bis zum 19. August zu sehen. Das Stadtmuseum ist dienstags bis samstags von 13 bis 17 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 17 Uhr geöffnet.