Die Geister längst ausgestorbener Tiere sprechen aus diesen Zelten zu den Menschen. Foto: Horst Rudel

Die Installation „The Carrion Cheer – A Faunistic Tragedy“ der Künstler Matthias Böhler und Christian Orendt in der Kunsthalle funktioniert wie eine griechische Tragödie. Sie besteht aus neun Zelten, aus denen jeweils eine der Tierarten spricht.

Göppingen - Nicht nur über die Augen erschließt sich die aktuelle Ausstellung in der Göppinger Kunsthalle, sondern vor allem auch über die Ohren. Der eigenartige Gesang, der aus den neun Zelten erklingt, schwillt immer wieder zur Vielstimmigkeit an und umhüllt die Besucher wie ein Mantra. In diesem Camp scheinen Raum und Zeit aufgehoben. „The Carrion Cheer – A Faunistic Tragedy“ lautet der Titel dieser Installation von Matthias Böhler und Christian Orendt. Das noch junge Künstlerduo befinde sich in einem höchst spannenden Moment seines Schaffens und stehe kurz davor, „durch die Decke zu gehen“, sagt Werner Meyer, der Direktor der Kunsthalle. Er muss es wissen, er hat schon viele zeitgenössische Künstler nach Göppingen geholt, noch bevor die breite Öffentlichkeit auf sie aufmerksam wurde.

Der Titel, der sinngemäß mit „Jubelgesang der Kadaver – Eine faunistische Tragödie“ übersetzt werden kann, lässt einiges erahnen. In jedem der Zelte ist ein ausgestorbenes Tier zu Hause, das aus dem Geisterreich zu den Menschen spricht. Um diese Tiere wiederauferstehen zu lassen, bedienen sich Matthias Böhler und Christian Orendt auch der High Technology. In jedem der Zelte, die aus braunen Häuten zu bestehen scheinen, tatsächlich aber aus bearbeitetem Papier sind, befinden sich fünf miteinander vernetzte Computer. Mit deren Hilfe werden die Köpfe der Kreaturen, die im Original vielleicht fünf Zentimeter groß sind und aus einfachsten Materialien modelliert wurden, animiert und auf Wasserdampf projiziert.

Die Tierköpfe wirken dreidimensional

Der Effekt ist verblüffend: Die Tierköpfe wirken dreidimensional, und es ist, als ob Riesenalk, schweinsfüßiger Nasenbeutler, Carolina-Sittich und wie sie sonst noch heißen ihrem Gegenüber erschienen. Auge in Auge sprechen sie zum Betrachter. Dabei wirken sie ein wenig starr wie Nachrichtensprecher aus der Anfangszeit des Fernsehens. „Die Kunst macht möglich, was sonst nicht möglich ist: dass die Tiere, die von der Erde verschwunden sind, uns besuchen“, sagt Meyer. Und obwohl die Vorrichtungen, die Tiere lebendig werden zu lassen, nicht versteckt sind, ist es möglich, sich der Illusion hinzugeben, oder, wie die Kuratorin Melanie Ardjah es formuliert: „Ich weiß, es ist eine Projektion, trotzdem kann ich mich darauf einlassen.“

Eine Tragödie der Tierwelt führt diese Installation also auf – mit kathartischer Wirkung, wie Meyer sagt. Es geht um den Umgang des Menschen mit der Natur, um seinen Drang, den Fortschritt immer weiter voranzutreiben – auf Kosten der Kreatur, und, wie die Tiere unmissverständlich klarmachen, letztlich auch auf seine eigenen Kosten. Denn die Aussicht, dass der Mensch irgendwann einmal selbst einer ausgestorbenen Spezies angehört, schwingt in dem Raunen mit. Im Innern sind die Wände der begehbaren Zelte mit karikaturähnlichen Bildern bemalt, die die Geschichte der betreffenden Spezies erzählen. So sieht man sie in Käfigen: gerupft, aufgespießt, erschossen, in einer Falle oder im Kochtopf.

Grundton ist nicht moralisierend

Wie in der antiken griechischen Tragödie interagieren verschiedene Protagonisten und ein Chor. Sprecher, darunter auch Opernsänger, liehen ihre Stimmen den Tieren. Die Komposition stammt von Ingmar Saal. „Die Sprache ist enorm wichtig“, sagt Melanie Ardjah. Dennoch sei es nicht essenziell, alle Worte zu verstehen. Für das Verständnis der Installation sei es viel entscheidender, sich auf den Singsang einzulassen, aus dem sich nach und nach einige Textfetzen herausschälten, wie „dead and gone“ oder „to serve your needs“.

So traurig diese Tragödie auch ist, das Kunstwerk ist nicht niederschmetternd. Der Grundton sei nicht moralisierend, sagt Melanie Ardjah. Die Tiere verhielten sich versöhnlich. „Sie erscheinen, um ihren Gesang der ewigen Vergebung mit dem Menschen zu teilen.“

Künstlergespräch und Malzeit-Special

Die Installation „The Carrion Cheer – A Faunistic Tragedy“ des Künstlerduos Matthias Böhler und Christian Orendt ist noch bis zum 23. September in der Göppinger Kunsthalle zu sehen. Die Schau ist eine Kooperation mit dem Halsey Institute for Contemporary Art in Charleston (USA). Die Kunsthalle öffnet dienstags bis freitags von 13 bis 19 Uhr, an Samstagen und Sonntagen von 11 bis 19 Uhr. Der Eintritt kostet 2 Euro, ermäßigt 1 Euro.

Matthias Böhler, Jahrgang 1981, und Christian Orendt, Jahrgang 1980, arbeiten seit elf Jahren zusammen. Sie studierten an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und der Akademie der Bildenden Künste in Wien, bevor sie an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg graduierten. Arbeiten von ihnen waren unter anderem im KW Institute for Contemporary Art in Berlin und in der Kunsthalle in Schweinfurt zu sehen.

Am Mittwoch, 5. September, nähern sich Kai Bleifuß, Melanie Ardjah und Sarah-Jaila Groiß von 19 Uhr an der Ausstellung aus literarischer Sicht. Am Sonntag, 23. September, spricht Werner Meyer, Direktor der Kunsthalle, mit den Künstlern. An diesem Tag wird auch der Katalog zur Ausstellung präsentiert. Die Veranstaltung beginnt um 18 Uhr.

Tierisch spannend verspricht das Malzeit-Special am Samstag, 25. August zu werden; es ist für Kinder im Alter von sechs Jahren bis elf Jahren. Zusammen mit den Künstlerinnen und Kunstpädagoginnen Elsa Farbos und Marion Jäger schauen sich die Kinder die Installation in der Kunsthalle an. Im Atelier dürfen sie dann die gewonnenen Eindrücke in Ton und Gips verarbeiten. Eltern sollten ihre Kinder bis Mittwoch, 22. August, anmelden unter kunstvermittlung@goeppingen.de oder unter der Telefonnummer 0 71 61 / 6 50 - 42 13. Die Veranstaltung dauert von 11 Uhr bis 14 Uhr. Die Teilnahme kostet 10 Euro.