Der selbst in dieser Region ungewöhnlich heiße Sommer lässt den Streit ums Wasser eskalieren. Die Infrastruktur ist vielerorts ohnehin völlig marode.
Istanbul. - Seit Wochen werden im Iran, im Irak und auf der arabischen Halbinsel regelmäßig bis zu 53 Grad Celsius gemessen, nachts sinkt das Thermometer selten unter 30 Grad. Stromausfälle legen Pumpstationen lahm, und mancherorts ist in den vergangenen Monaten der Regen ausgeblieben, so dass Flüsse und Stauseen weniger Wasser liefern, als zur Versorgung der Bevölkerung nötig wäre. Gluthitze und Wassermangel fachen innen- und außenpolitische Konflikte an. Ein Überblick.
Im Iran wird viel Wasser verschwendet
Im Iran protestierten seit Mitte Juli Tausende gegen den Wassermangel und die häufigen Stromausfälle. Flüsse sind vertrocknet, Felder verdorrt, Vieh stirbt weg, in hunderten Ortschaften soll es kaum mehr Trinkwasser geben. Die Bevölkerung macht die Regierung dafür mitverantwortlich. Bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden oppositionellen Menschenrechtlern zufolge zehn Menschen getötet. Laut Amnesty International schossen Beamte mit scharfer Munition auf Demonstranten. Begonnen hatten die Unruhen in der ölreichen Provinz Khusestan in der Provinzhauptstadt Ahvaz an der Grenze zum Irak, griffen dann aber auch auf andere Landesteile über.
Die Behörden behaupten, die Wasservorräte seien wegen der ungewöhnlichen Dürreperiode knapp geworden. In einigen Landesteilen ist nach Behördenangaben nur 15 Prozent der sonst üblichen Menge an Regen oder Schnee gefallen. Regimegegner werfen der Regierung vor, das Land mit Korruption und Misswirtschaft zu ruinieren. Riesige Wassermengen werden in Landwirtschaft und Industrie verschwendet: Die Effizienz des Wasserverbrauchs auf Feldern und in Fabriken liegt nach offiziellen Zahlen bei 30 Prozent, weit unter dem weltweiten Durchschnitt von 75 Prozent. Zwei von drei der mehr als 80 Millionen Iraner leben der US-Denkfabrik Atlantic Council zufolge in Gebieten, in denen Grundwasser knapp wird.
Auch im Irak sind die Menschen wütend
Auch im benachbarten Irak gehen die Menschen seit Wochen auf die Straße. Demonstranten in Basra im Süden des Landes und in der Hauptstadt Bagdad protestieren gegen die langen Stromausfälle, die mitten in der Sommerhitze die Klimaanlagen und die Wasserversorgung lahmlegen. Obwohl der Irak zu den ölreichsten Ländern der Welt gehört, hat der Staat es nach den Zerstörungen durch die US-Invasion von 2003 nicht geschafft, das Stromnetz und andere wichtige Teile der Infrastruktur zu modernisieren.
Ein drastischer Rückgang der Niederschläge beim nördlichen Nachbarn Türkei schafft weitere Probleme: Die biblischen Ströme Euphrat und Tigris, die in der Türkei entspringen und deren Wasser im Irak für die Versorgung von Millionen Menschen genutzt wird, führen weniger Wasser als in früheren Jahren. Irakische Behörden werfen der Türkei vor, Wasser aus den beiden Strömen in Stauseen zurückzuhalten; Ankara weist dies zurück. Verschärft wird die Lage durch einen Streit mit dem Iran, der den Irak mit Strom und mit Gas zur Stromerzeugung versorgt. Laut Medienberichten schuldet der Irak dem Nachbarn vier Milliarden Dollar für die Energie-Importe – deshalb stellten die Iraner vor einigen Wochen die Lieferungen vorübergehend ein.
Im Libanon werden die Wassermengen rationiert
Ähnliche Probleme gefährden die Wasserversorgung im Libanon. Der Staat hat kaum noch Geld, um Energieeinfuhren zu bezahlen. Deshalb gingen in den vergangenen Wochen zwei Kraftwerke vorübergehend vom Netz. Die Stromausfälle von bis zu 22 Stunden pro Tag und der Geldmangel zwangen Wasserwerke zur Rationierung der Wassermengen für Privathaushalte. Das Kinderhilfswerk Unicef warnt, die Wasserversorgung im Libanon könne für die Mehrheit der Bevölkerung innerhalb von vier bis sechs Wochen komplett zusammenbrechen. Die Folgen wären katastrophal, denn schon jetzt lebt jeder zweite Libanese wegen der seit Jahren andauernden schweren Wirtschafts- und Finanzkrise unterhalb der Armutsgrenze. Zusätzliche Gefahr droht durch einen Waldbrand, der sich seit Tagen im Norden des Landes ausbreitet. Das Feuer sei riesig und nähere sich besiedelten Gebieten, sagte Landwirtschaftsminister Abbas Mortada der Nachrichtenagentur AFP.
In der Türkei fehlt es an Löschflugzeugen
Die große Hitze löste an den Mittelmeer- und Ägäisküsten der Türkei schwere Waldbrände aus, die mindestens acht Menschen töteten, mehrere Dörfer und Stadtviertel zerstörten und Einwohner wie Touristen zur Flucht zwangen – in einigen Fällen konnten die Menschen den nahenden Flammen nur noch per Boot über das Meer entkommen. Zwar sind sommerliche Waldbrände in der Türkei nicht ungewöhnlich. Die Opposition warf der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan aber vor, in den vergangenen Jahren den Brand- und Waldschutz eklatant vernachlässigt zu haben. Deshalb habe es an Löschflugzeugen für die Waldbrandbekämpfung gefehlt.
Teures Wasser aus dem Tanklastwagen
Im Nordosten von Syrien gibt es ebenfalls Streit ums Wasser. Die UNO schlug vor kurzem Alarm, weil die Pumpstation Alouk an der Grenze zur Türkei ausgefallen war. Die Station pumpt normalerweise Grundwasser in einen Stausee, der die syrische Stadt Al-Hasakah versorgt. Doch Alouk arbeitet nicht mehr. Bis zu einer Million Menschen sind laut Unicef betroffen. Die Bewohner der Gegend werden notdürftig mit Wasser aus Tanklastwagen versorgt.
Die Probleme mit Alouk begannen im Jahr 2019: Damals marschierten türkische Truppen und verbündete Milizen in den Nordosten Syriens ein, um die Kurdenmiliz YPG aus dem Grenzgebiet zu vertreiben. Alouk steht seitdem unter türkischer Kontrolle, doch der Strom für die Pumpstation kommt aus dem nahen YPG-Gebiet. Die Kurden werfen der Türkei vor, Alouk immer wieder abzuschalten und so die Bevölkerung der Gegend zu erpressen. Ankara macht dagegen die YPG und das Assad-Regime in Damaskus für die Unterbrechung der Stromversorgung für Alouk verantwortlich.
Auch in anderen Teilen Syriens müssen die Menschen mit Wasserknappheit zurechtkommen. Die Hilfsorganisation Action against Hunger schätzt, dass 15,5 Millionen Syrer ungenügenden Zugang zu sauberem Wasser haben. Weil nach mehr als zehn Jahren Krieg große Teile der Infrastruktur zerstört sind, haben Dörfer und Städten oft über Tage kein Wasser. Viele müssen ihr Trinkwasser von Tanklastwagen kaufen – und das in einem Land, in dem 13 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.