Die Forschungsstelle Glücksspiel hat den gesamten Glücksspielmarkt von illegalen Internetangeboten über Lotto bis zum Roulettespiel in Casinos im Blick Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Der Ökonom Tilman Becker hat vor 15 Jahren eine Forschungsstelle an der Universität Hohenheim gegründet, die bundesweit einzigartig ist. Er hält sie inzwischen quasi ehrenamtlichen am Leben. Warum macht er das?

Hohenheim - Eigentlich ist Tilman Becker im Ruhestand. Dass der viele Jahre als Professor an der Universität Hohenheim tätige Ökonom trotzdem weiter regelmäßig ins Hohenheimer Schloss kommt, liegt an seinem Steckenpferd: dem Glücksspiel. Der Experte für Agrarmärkte und Agrarmarketing am Uni-Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre ist kein Zocker, sondern in den vergangenen 15 Jahren zu einer Instanz in Sachen Glücksspielforschung geworden. Als geschäftsführender Leiter einer Forschungsstelle ist er dem Glücksspiel in einem milliardenschweren Markt auf der Spur.

Es sind vor allem zwei Gründe, warum Becker die Forschungsstelle derzeit quasi im Ehrenamt am Leben hält und sich für deren Zukunft engagiert: „Wenn ich morgen aufhöre, ist derzeit ein Überleben der Forschungsstelle noch fraglich. Dies dürfte sich jedoch mit der zugesagten strukturellen Förderung der Forschungsstelle durch das Wissenschaftsministerium ändern“, sagt er und ergänzt. „Und ich halte meinen gesellschaftlichen Beitrag, den ich so leisten kann, für wichtig.“

Als er das Institut gegründet hat, „gab es im Glücksspielbereich kaum unabhängige wissenschaftliche Forschung“, sagt Becker. Es gebe zwei Grundhaltungen zum Thema: Die einen glaubten, Glücksspiel sei böse, die anderen, Glücksspiel sei gut. Doch so einfach sei das nicht. Ebenso wenig sei es beim Glücksspiel zielführend, alles bis ins kleinste Detail zu regulieren oder eben einfach dem Markt zu überlassen, wie es die Freunde des Liberalismus’ forderten. „Man muss vielmehr einen geeigneten und sinnvollen Rahmen für Angebote schaffen“, sagt Becker. Er selbst war auf das Thema Glücksspiel gestoßen, als er sich mit dem Verbraucherschutz beschäftigte. Die Forschung zum Glücksspiel habe bis dahin kaum eine Rolle gespielt, sagt Becker. „Ich habe daher versucht, alle relevanten Personen, die sich in ihrem Fachgebiet damit beschäftigen, zusammenzubringen: Ökonomen, Juristen, Psychologen oder Suchtwissenschaftler.“

Ist Glücksspiel gut oder böse?

Bedauerlich und frustrierend aus Beckers Sicht: Vernunft und Verantwortungsbewusstsein bleiben in Politik und Gesellschaft oft auf der Strecke. So würde gegen illegale Anbieter von Online-Glücksspielen wenig unternommen, während man Angebote wie Bingo in Seniorenheimen verbiete, wenn die Einrichtung keine Glücksspiellizenz habe. Da müssten grundlegende Änderungen her.

Er ist nicht nur damit beschäftigt, die Glücksspielstrukturen im Blick zu halten und unter anderem die Politik mit seinem Fachwissen bei der Suche nach Lösungen bei der Regulierung zu beraten. Becker versucht zudem, die Forschungsstelle mit ihren Strukturen an der Uni Hohenheim „dauerhaft zu etablieren“. Er ist optimistisch, dass es gelingen kann, in Verhandlungen mit dem Land eine Leitungsstelle zu etablieren. Die zwei wissenschaftlichen Mitarbeiter werden indes über einen Förderverein finanziert. Dem gehören zahlreiche Experten an, aber auch Unternehmen aus der Glücksspielbranche. „Das wird immer wieder kritisiert“, sagt er. Eine gewisse Nähe zu Glücksspielunternehmen sei verwerflich, heißt es dann. Becker selbst hält die Zusammenarbeit auf allen Ebenen für wichtig. Nur so könne gesamtgesellschaftlich etwas erreicht werden. Es sei schließlich belegt, dass Lotto ein relativ geringes Suchtpotenzial biete, während Online-Glücksspiele schnell zur Abhängigkeit führen könnten. Spielcasinos wie im Möhringer SI-Centrum hätten heute „gute Suchtpräventionskonzepte“ und Mechanismen, wie Spieler geschützt werden könnten.

So könnte Online-Glücksspiel effektiver geahndet werden

Die Forschungsstelle Glücksspiel in Hohenheim betreibe keine Grundlagenforschung, sondern versuche, den Transfer des vorhandenen Wissens unter anderem für Gesetzgebungsverfahren zu unterstützen, so Becker. Zuletzt hat sie Vorschläge gemacht, wie illegales Online-Glücksspiel effektiver geahndet werden kann. Durch Schaffung einer gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder sowie Änderungen des Rennwett- und Lotteriegesetzes und des Strafgesetzbuchs, um den Betreibern illegaler Angebote juristisch besser beizukommen.

Ein generelles Verbot von Glücksspielen, wie es immer wieder mal gefordert wird, hält Becker nicht für sinnvoll. „Die Leute wollen spielen, es macht keinen Sinn das einfach zu verbieten“, sagt Becker, der selbst Gesellschaftsspiele wie „Die Siedler von Catan“ mag. Glücksspiel mache ihn nur bedingt an. „Ich bin zu sehr vernuftgesteuert und weiß zu genau, dass ich auf Dauer nur verliere“, so Becker.